ESG, Nachhaltigkeit, Sustainable Finance – kaum ein zweiter Themenbereich wurde in jüngerer Vergangenheit derart umfassend diskutiert, kommentiert und kritisiert. Gleichzeitig ist in regulatorischer Hinsicht eine klare Tendenz hin zu erhöhter Standardisierung und Formalisierung zu beobachten. Die zunehmenden regulatorischen Vorschriften im Bereich Nachhaltigkeit wirken sich nun auch auf Vorgaben zur aufsichtsrechtlichen Prüfung von Finanzdienstleistern aus. Ein Beispiel hierfür ist die Anpassung der Musterprüfberichte für Verwalter von Kollektivvermögen und Fondsleitungen.
Kürzlich hat die Finanzmarktaufsicht (Finma) die Musterprüfberichte und damit auch die Vorgaben an Prüfgesellschaften für Verwalter von Kollektivvermögen und Fondsleitungen angepasst. Eingeführt wurden dabei unter anderem auch verschiedene neue Passagen, in denen der Prüfer die Einhaltung von Vorschriften bei der Verwaltung von kollektiven Kapitalanlagen mit dem Prädikat «nachhaltig» bestätigen muss. Mit dieser Anpassung werden verschiedene bereits 2021 publizierte Erwartungen der Finma an die beaufsichtigten Institute im Bereich Nachhaltigkeit nun formell zum Bestandteil der aufsichtsrechtlichen Prüfung. Nachfolgend werden die neuen Anforderungen dargestellt und aufgezeigt, wie dieses Vorgehen exemplarisch für die Einführung neuer Regulatorien steht.
Die Autoren
Fabian Schmid, Partner, Leiter Regulatory & Compliance Financial Services, Grant Thornton.
Boris Hofer, Director, Regulatory & Compliance Financial Services, Grant Thornton.
Review der Abläufe
Institute, die Anlagefonds mit Nachhaltigkeitsbezug verwalten, waren bereits bisher verpflichtet, ihre Nachhaltigkeitsrisiken angemessen zu bewirtschaften und den Kunden- und Anlegerschutz zu gewährleisten. Zu verschiedenen Prüffeldern im Musterprüfbericht hat die Finma nun aber wesentliche Präzisierungen vorgenommen. Diese sollten nicht nur von den Prüfgesellschaften, sondern insbesondere auch von den betroffenen Vermögensverwaltern und Fondsleitungen zum Anlass genommen werden, ihre bestehenden Abläufe einer Review zu unterziehen. Die nachfolgende Übersicht der Anpassungen wurde durch Erkenntnisse aus Revisions- und Beratungsmandaten sowie erhaltenem Feedback im Rahmen von Finma-Bewilligungsgesuchen ergänzt. Die Vorgaben beschränken sich auf jenen Teil der Geschäftstätigkeit, welcher die Verwaltung nachhaltiger Finanzinstrumente betrifft.
- Organisation: Finanzdienstleister, die Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug verwalten, müssen spezifische organisatorische Massnahmen treffen. Dies kann eine strategische Auseinandersetzung mit der Thematik erfordern, wirkt sich gegebenenfalls auf die Prozesslandschaft aus und bedarf klarer Verantwortlichkeiten. Auch die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeitenden sind betroffen, indem diese angemessenes Fachwissen im Bereich Nachhaltigkeit nachweisen müssen.
- Risikomanagement: Nachhaltigkeitsrisiken sind von den betroffenen Finanzdienstleistern im Risikomanagement abzubilden. Dies umfasst Risiken auf strategischer Ebene und gegebenenfalls auch die Bewirtschaftung naturbezogener Risiken. Gerade Letzteres ist aufgrund der Unsicherheit der Risiken herausfordernd.
- Investmentprozess: Nachhaltigkeitskriterien sind bei betroffenen Produkten im Anlageentscheidprozess zu berücksichtigen. Die eingesetzten Finanzinstrumente müssen der Dokumentation der kollektiven Kapitalanlage und somit der kommunizierten, nachhaltigen Anlagestrategie entsprechen.
- Überwachung: Die Einhaltung der Nachhaltigkeitskriterien und allfälliger Restriktionen ist dauernd zu überwachen. Das bestehende Investment-Controlling muss um die angewendeten Nachhaltigkeitskriterien erweitert werden.
Die interne Umsetzung der neuen Pflichten durch die betroffenen Institute erfordert einen unternehmensweiten Ansatz. Eine teilweise Umsetzung einzelner Aspekte genügt den regulatorischen Anforderungen nicht.
Anpassung mit Modellcharakter?
Die Anpassungen des Musterprüfberichts im Bereich Nachhaltigkeit wurden eher allgemein gehalten. Sodann hat die Umsetzung der neuen Pflichten «angemessen» zu erfolgen, es besteht also durchaus Spielraum für die betroffenen Institute bei der Umsetzung der Vorgaben, um den konkreten Umständen und dem Geschäftsmodell gerecht zu werden. In dreierlei Hinsicht besitzt diese Erweiterung der Prüfvorgaben Modellcharakter: Sie ist ein Anschauungsbeispiel für die Art und Weise, wie sich neue Themen regulatorisch etablieren, wie die diesbezüglichen Erwartungen kommuniziert werden und welche Auswirkungen diese auf beaufsichtigte Institute und deren Prüfgesellschaften haben.
Vorerst noch nicht Bestandteil der Prüfvorgaben bilden allfällige ESG-Pflichten am Point of Sale, etwa bei Vermögensverwaltungskunden. Werden solche Präferenzen erhoben, so ist deren Berücksichtigung bei der Dienstleistungserbringung allerdings angezeigt. Doch auch hier ist mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen. So hat die Finma im Rahmen ihrer Aufsichtsmitteilung zur Bekämpfung von Greenwashing kommuniziert, dass sie die Einführung entsprechender Vorschriften begrüssen würde und die Bankiervereinigung (SBVg) hat zu dieser Thematik eine Selbstregulierung eingeführt, welche auch auf andere Finanzdienstleister ausstrahlt. Mit den beschriebenen Entwicklungen bewegt sich die Thematik einen weiteren Schritt weg von «ESG / Nachhaltigkeit / Sustainable Finance» der ersten Stunde hin zu einem eigenständigen Regelwerk, dessen Anforderungen von der Finanzmarktaufsicht durchgesetzt werden können.