Mit der Lancierung von Chat GPT ist die künstliche Intelligenz (KI) für eine breite Öffentlichkeit nutzbar geworden. Wo ist das Potenzial von KI in der Wirtschaftsprüfung am grössten?
Das Potenzial ist riesig, aber die neuen Technologien müssen auch sinnvoll eingesetzt werden können. Die Prüfungsbranche setzt KI ein (Audit mit KI), muss sie gleichzeitig aber auch prüfen (Audit von KI). Mit den aktuellen technologischen Entwicklungen haben wir eine lange Reise angetreten, bei der erst ein kurzes Wegstück zurückgelegt wurde. Derzeit ist die IT-Landschaft speziell bei den kleinen Firmen noch sehr heterogen. Da ist es für die Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfer schwierig, diese neu entwickelten Tools auch einzusetzen. Bei den grossen Unternehmen ist die IT hingegen schon stark standardisiert, was den Einsatz von Data Analytics und KI erst ermöglicht. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften setzen diese Auditing-Tools derzeit als Unterstützung zur Erlangung von Prüfungsnachweisen ein. In absehbarer Zukunft dürften damit aber auch eigenständige Nachweise erbracht werden können.
Wird die Abschlussprüfung mit dem Einsatz von KI besser und sicherer?
KI hat das Potenzial, die Abschlussprüfung wirksamer zu machen, indem nicht mehr die Grundgesamtheit mittels Stichproben, sondern insbesondere die sogenannten Ausreisser untersucht werden. Die Arbeiten erfolgen daher zielgerichteter. Effizienter ist der Einsatz von KI zurzeit wohl noch nicht unbedingt, weil wir uns am Beginn der Lernkurve befinden, was mit grossen Investitionen verbunden ist.
Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf Ihre Tätigkeit am Lehrstuhl Auditing and Internal Control der Universität Zürich?
Viele Forschungsarbeiten befassen sich mit der Digitalisierung und den Auswirkungen auf die Prüfung. Zudem haben wir in der Lehre während der Corona-Pandemie Erfahrungen mit Online-Unterricht gesammelt. Er ist gekommen, um zu bleiben, wobei ich diesbezüglich gemischte Gefühle habe. Aus meiner Erfahrung ist es wichtig, dass die Studierenden in den Veranstaltungen präsent sind, um sich gegenseitig und auch mit den Dozierenden auszutauschen.
Verändert sich damit auch die universitäre Ausbildung im Bereich Accounting und Audit?
Ja, die Wirtschaftsprüfung ist heute nicht mehr die gleiche wie vor zwanzig Jahren. Aber natürlich sind nicht nur Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung von der Digitalisierung betroffen. Diesem Umstand hat die Universität Zürich mit der Schaffung eines interdisziplinären Kompetenzzentrums «Digital Society Initiative» Rechnung getragen. Sie bietet Lehrangebote wie Digital Skills auf Master-Stufe an. Solche technischen Kompetenzen sind für eine Wirtschaftsprüfung der Zukunft unabdingbar.
«Es droht eine Überladung mit Informationen.»
Wie wandelt sich das Anforderungsprofil für die Studierenden: Braucht es künftig mehr Wissen im Bereich IT und KI anstelle der klassischen Accounting-Fähigkeiten?
Es ist sicher von Vorteil, wenn sich Studierende neben den Accounting-Fächern auch Kenntnisse in den anderen Bereichen aneignen. Vor diesem Hintergrund ist in der Schweiz die Ausbildung zur diplomierten Wirtschaftsprüferin auf dieses Jahr angepasst worden. Um neue Lernformen mit digitalen Mitteln einzusetzen und Themen wie IT, Datenanalyse oder Nachhaltigkeit vertieft zu behandeln.
Was heisst das für die Rekrutierung bei KPMG, bei der Sie Partner sind?
Für unsere Audit-Sparte rekrutieren wir immer noch stark bei Studienabgängern von Universitäten und Fachhochschulen im Bereich Betriebswirtschaftslehre. IT-Kenntnisse gewinnen zweifellos an Bedeutung. Wir benötigen jedoch auch andere Berufsprofile wie Informatikerinnen und Ingenieure, etwa im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Zudem sind vermehrt auch Kenntnisse im Bereich Projektmanagement gefragt, weil bei einer Prüfung verschiedenste Spezialistinnen involviert werden und zu koordinieren sind.
Bei der Berichterstattung bekommt man zuweilen den Eindruck, der Fokus liege mehr bei ESG-Themen als beim Financial Accounting.
Das ist sicher ein Trend. Die finanzielle Berichterstattung wird jedoch als Grundlage bleiben und ergänzt sowie erweitert werden durch den nichtfinanziellen Teil. Heute werden finanzielle und nichtfinanzielle Informationen vielfach getrennt erarbeitet und präsentiert, dabei sind das die beiden Seiten der gleichen Medaille. Es wird zur grossen Herausforderung, diese Themen miteinander zu verknüpfen. Die von der EU aufgegleiste Nachhaltigkeitsberichterstattung beinhaltet unzählige Details, was mich in dieser Hinsicht nicht allzu optimistisch stimmt. Da droht eine Überladung mit Informationen, die einer Integration entgegenläuft.
Der Experte
Name: Reto Eberle
Funktion: Professor, Universität Zürich, Lehrstuhl Auditing and Internal Control; Partner KPMG Schweiz, Zürich
Alter: 57
Familie: verheiratet, zwei Kinder
Ausbildung: Promotion Universität St. Gallen, dipl. Wirtschaftsprüfer
Institut Am Lehrstuhl für Auditing and Internal Control der Universität Zürich wird zu Themen der Wirtschaftsprüfung geforscht. Der Swiss Audit Monitor bietet Informationen zur Revision und Rechnungslegung bei den Unternehmen des Swiss Performance Index (SPI).
Von Analystenseite wurden grosse Hoffnungen in die zukunftsgerichtete Berichterstattung gesetzt. Bringt die Digitalisierung schon bald ein Echtzeit-Auditverfahren, das einen realistischen Blick nach vorne ermöglicht?
Die Jahresrechnung ist ja nicht nur rückwärtsgewandt. Alle Bewertungsfragen, etwa Goodwill und Sachanlagen, basieren auf Annahmen über die Zukunft. Natürlich erstellen Unternehmen aber auch unterjährige Finanzabschlüsse. Gerade bei grossen Unternehmen sind die Wirtschaftsprüfer daher auch während des Jahres vor Ort. Sie prüfen Zwischenabschlüsse oder einzelne, wichtige Transaktionen. Zudem verfügt die Branche schon heute über einen Standard zur Prüfung von zukunftsorientierten Finanzinformationen.
Bei Firmenkonkursen werden die Wirtschaftsprüfer oft auch ins Visier genommen. Wie weit kann ein Abschlussprüfer ähnlich wie der Forensiker ein Fehlverhalten aufdecken?
Die Ursache für Firmenpleiten liegt in der Regel bei den Verantwortlichen des Unternehmens selbst und nicht bei den Wirtschaftsprüfern. Oft liegen die Fehler bei vernachlässigten internen Kontrollen und mangelnder Aufsicht, beides zentrale Aufgaben eines jeden Verwaltungsrats. Die Arbeit von Prüfern ist zudem eine andere als jene eines Forensikers oder einer Staatsanwältin. Letztere wissen, wonach sie suchen müssen, und können dort gezielt in die Tiefe gehen. Das ist bei einer Abschlussprüfung nicht möglich. Die vom Gesetzgeber gewollte Aufgabe der Wirtschaftsprüfer ist festzustellen, ob die Jahresrechnung als Ganzes frei von wesentlichen Fehlern ist. Es handelt sich daher nicht um eine integrale Legalitätsprüfung. Dass dies allerdings nicht immer die Erwartungen der breiten Öffentlichkeit trifft, ist auch klar.
Lässt sich diese Erwartungslücke mit Big Data Analysis und KI vermindern?
Ja, das ist zu hoffen, wobei die Lücke wohl nie ganz geschlossen werden kann. Denn die Öffentlichkeit hat unrealistische Erwartungen an die Abschlussprüfung. Und oft besteht auch eine falsche Erwartung an das, was Finanzabschlüsse aussagen können. Eine Garantie für das fortdauernde Gedeihen des Unternehmens geben sie nicht.
Aus Ihrem Swiss Audit Monitor der Universität Zürich lässt sich ablesen, dass das Honorar bei einem Revisionswechsel sinkt. Trotzdem ist bei 40 Prozent der SMI-Unternehmen seit zwanzig Jahren der gleiche Prüfer tätig. Zeigt die von der EU alle zehn Jahre vorgeschriebene Neuausschreibung der Revision in der Schweiz keine Wirkung?
Mit dieser Regelung wollte die EU das Oligopol der Big Four aufbrechen. Doch damit ist sie gescheitert. Das hat etwa in Deutschland nur dazu geführt, dass die Nicht-Big-Four aus dem Marktsegment der kotierten Unternehmen verdrängt wurden. Die Konzentration hat sich also noch erhöht. Interessant ist auch, dass die USA als weltweit grösster Kapitalmarkt dieses externe Rotationsprinzip nicht kennen. Die EU-Regelung strahlt aber durchaus auf die Schweiz aus. Auch Stimmrechtsberatende fordern vermehrt einen regelmässigen Wechsel der Revisionsfirma. Aus dem Audit Monitor ist ersichtlich, dass in der Schweiz von den rund 200 kotierten Unternehmen jährlich etwa ein Dutzend freiwillig den Prüfer wechselt. Jüngste Analysen zeigen, dass das Revisionshonorar vielleicht im ersten Jahr sinkt, danach aber wieder auf das ursprüngliche Niveau ansteigt. Das ist zu begrüssen, weil bei einem Wechsel nicht das Honorar, sondern die Qualität im Vordergrund stehen soll.
Besteht bei einer langen Mandatsdauer nicht die Gefahr, dass beim Prüfer die Unabhängigkeit schwindet?
Diese Frage kann man sich durchaus stellen. In der Schweiz gibt es die interne Rotation. Das heisst, eine Revisionsfirma kann über mehrere Jahrzehnte hinweg das gleiche Unternehmen prüfen, aber die leitende Revisorin oder der leitende Revisor muss spätestens nach sieben Jahren wechseln. Überdies gibt es Studien, die zeigen, dass die Revisionsfirma mit zunehmender Mandatsdauer Wissen aufbaut und die Qualität der Prüfung zunimmt.
Oft sind mit dem Audit noch zusätzliche Beratungsdienstleistungen verbunden. Die EU hat auch bei den Zusatzhonoraren eine Obergrenze von 70 Prozent der Prüfhonorare festgelegt. Wie sieht es in der Schweiz aus?
Erstaunlich entspannt, trotz fehlender gesetzlicher Regelung. Gemäss dem Audit Monitor halten sich die Zusatzhonorare in einem überschaubaren Rahmen. Insgesamt liegen die Unternehmen in der Schweiz deutlich unter 70 Prozent, wobei einzelne Firmen diese Marke vorübergehend überschreiten. Dabei ist zu beachten, dass die Audit Committees von kotierten Firmen neuerdings alle Zusatzdienstleistungen der Revisionsstelle beurteilen und genehmigen müssen.
«Die Big Four treiben die Digitalisierung voran.»
In Grossbritannien soll ab nächstem Jahr bei den Big Four eine «Operational Separation» mit Chinese Walls vollzogen werden. Dabei bleiben Revision und Beratung zwei autonome Einheiten unter einem Brand. Ist das auch bei uns denkbar?
Grossbritannien ist ein prominenter Spezialfall. Dort sind die Revisionsfirmen auch in den Fokus der Wettbewerbsbehörden geraten. Das Audit soll für sich selbst profitabel arbeiten, damit eine Quersubventionierung via Beratung verhindert wird. Aber es wird in Grossbritannien auch künftig Spezialistinnen und Spezialisten aus der Beratungssparte brauchen, um eine hochstehende Qualität einer Abschlussprüfung zu garantieren. Die regulatorischen Anstrengungen sollten sich darauf konzentrieren.
Gibt es mit der Digitalisierung immer weniger Revisionsfirmen?
Der Markt ist in Bewegung, sowohl national als auch international. Die Big Four treiben die Digitalisierung voran, was mit grossen Investitionen und auch internationalen Kooperationen mit Technologieunternehmen verbunden ist. In der Schweiz ist zu beobachten, dass sich kleinere und kleine Revisionsunternehmen zusammenschliessen – aufgrund der höheren Anforderungen, die an die Prüfung, aber auch an die Zulassung seitens der Behörde gestellt werden. Insofern scheinen sich die Marktsegmente unterschiedlich schnell an das technologische Umfeld anzupassen. Diese asynchron verlaufenden Entwicklungen bringen für den Berufsstand grosse Herausforderungen in verschiedener Hinsicht mit sich.
Besteht bei einer langen Mandatsdauer nicht die Gefahr, dass beim Prüfer die Unabhängigkeit schwindet?
Diese Frage kann man sich durchaus stellen. In der Schweiz gibt es die interne Rotation. Das heisst, eine Revisionsfirma kann über mehrere Jahrzehnte hinweg das gleiche Unternehmen prüfen, aber die leitende Revisorin oder der leitende Revisor muss spätestens nach sieben Jahren wechseln. Überdies gibt es Studien, die zeigen, dass die Revisionsfirma mit zunehmender Mandatsdauer Wissen aufbaut und die Qualität der Prüfung zunimmt.
Oft sind mit dem Audit noch zusätzliche Beratungsdienstleistungen verbunden. Die EU hat auch bei den Zusatzhonoraren eine Obergrenze von 70 Prozent der Prüfhonorare festgelegt. Wie sieht es in der Schweiz aus?
Erstaunlich entspannt, trotz fehlender gesetzlicher Regelung. Gemäss dem Audit Monitor halten sich die Zusatzhonorare in einem überschaubaren Rahmen. Insgesamt liegen die Unternehmen in der Schweiz deutlich unter 70 Prozent, wobei einzelne Firmen diese Marke vorübergehend überschreiten. Dabei ist zu beachten, dass die Audit Committees von kotierten Firmen neuerdings alle Zusatzdienstleistungen der Revisionsstelle beurteilen und genehmigen müssen.
«Die Big Four treiben die Digitalisierung voran.»
In Grossbritannien soll ab nächstem Jahr bei den Big Four eine «Operational Separation» mit Chinese Walls vollzogen werden. Dabei bleiben Revision und Beratung zwei autonome Einheiten unter einem Brand. Ist das auch bei uns denkbar?
Grossbritannien ist ein prominenter Spezialfall. Dort sind die Revisionsfirmen auch in den Fokus der Wettbewerbsbehörden geraten. Das Audit soll für sich selbst profitabel arbeiten, damit eine Quersubventionierung via Beratung verhindert wird. Aber es wird in Grossbritannien auch künftig Spezialistinnen und Spezialisten aus der Beratungssparte brauchen, um eine hochstehende Qualität einer Abschlussprüfung zu garantieren. Die regulatorischen Anstrengungen sollten sich darauf konzentrieren.
Gibt es mit der Digitalisierung immer weniger Revisionsfirmen?
Der Markt ist in Bewegung, sowohl national als auch international. Die Big Four treiben die Digitalisierung voran, was mit grossen Investitionen und auch internationalen Kooperationen mit Technologieunternehmen verbunden ist. In der Schweiz ist zu beobachten, dass sich kleinere und kleine Revisionsunternehmen zusammenschliessen – aufgrund der höheren Anforderungen, die an die Prüfung, aber auch an die Zulassung seitens der Behörde gestellt werden. Insofern scheinen sich die Marktsegmente unterschiedlich schnell an das technologische Umfeld anzupassen. Diese asynchron verlaufenden Entwicklungen bringen für den Berufsstand grosse Herausforderungen in verschiedener Hinsicht mit sich.