Was verändert sich in der Art, wie wir wohnen und arbeiten?

Die Pandemie hat sehr viel verändert. Indem die Menschen mehr Zeit zu Hause verbracht haben, ist ihnen auch vieles bewusster geworden. Was den Menschen zu Hause wichtig ist, kann man anhand der vier L beschreiben: Luft, Lärm, Licht und Liebe.

 

Das heisst?

Eine gute Luftqualität ist wichtig. Man sollte ein Fenster aufmachen können. Zudem investieren viele Menschen jetzt in Geräte, die die Luft sauber halten. Es gibt sogar Vorhänge, die die Luft reinigen. Wichtig ist ausserdem natürliches und gutes Arbeitslicht sowie Ruhe und Liebe: Es geht darum, herauszufinden, was ich brauche, um mich wohlzufühlen.

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Wie äussert sich das in der Bedeutung der verschiedenen Räume einer Wohnung oder eines Hauses?

Neben dem Home-Arbeitsplatz hat die Bedeutung der Küche weiter zugenommen. Aktuell denken und leben die Menschen bewusster und nachhaltiger – und das gilt auch fürs Kochen. Ich nenne es «Conscious Kitchen». Lebensmittel werden viel sorgfältiger ausgewählt, es wird weniger weggeworfen, und die Menschen kochen wieder gerne. Es ist eine neue Küchenkultur entstanden, und es wird wieder viel Geld in Küchen investiert.

 

Die Forscherin

Name: Oona Horx Strathern
Funktion: Zukunftsforscherin

Oona Horx Strathern arbeitet seit über 25 Jahren als Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin. Ende September erscheint ihr neues Buch «Kindness Economy – das neue Wirtschaftswunder»

Welche Räume haben noch an Bedeutung zugenommen?

Ich beobachte schon eine Weile, wie das Badezimmer aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Gerade in Krisenzeiten repräsentiert das Bad einen Ort des Wohlfühlens und Sich-Verwöhnens. Deshalb haben wir heute nicht einfach nur ein Badezimmer, sondern einen «Spa-throom» – ein Bad mit der Atmosphäre eines Spas.

«In Schweden gibt es die Funktion des Chief Happiness Officer.»

 

Wie sieht ein Spa-throom aus?

Es gibt dort natürliche, warme Materialien wie Holz, aber auch schlichte Vorhänge, abwaschbare Teppiche und Tapeten oder Pflanzen. Gemütlichkeit spielt eine wichtige Rolle. Dieser Raum wird mehr zu einer Art zweitem Wohnzimmer, in dem die Anwendung von Wellness- und Schönheitsprodukten eine grosse Rolle spielt.

 

Man testet bereits Toiletten, die Urinanalysen vornehmen, aber auch intelligente Spiegel, die Schminktipps geben.

Das halte ich für diese typischen Future Flops. Will ich wirklich einen Spiegel, der mir morgens sagt, dass ich nicht gut aussehe und wieder zugenommen habe? Diese Faszination für Technologie ist eher die Kategorie «Toys for the boys». Es gibt Personen, die das interessiert, aber eigentlich ist doch erstaunlich, wie wenig sich das Smart Home durchgesetzt hat. Das wundert mich auch nicht, denn wer will denn ein digitaler Hausmeister sein mit ständigen Updates und technischen Störungen?

Ist das ein Trend oder eher Ihre persönliche Ansicht?

Natürlich gab es einen Push in Richtung Smart Home. Und in den Bereichen Sicherheit und Energiemanagement ist das auch absolut sinnvoll. Aber viele andere Anwendungen setzen sich nicht wirklich durch. Wir müssen den Wasserkocher nicht per App anschalten und brauchen keinen Kühlschrank, der uns sagt, was drin ist. Für viele ist es wie ein One-Night-Stand: Man probiert es einmal aus und verliert dann das Interesse.

 

Sie nutzen den Begriff der Radical Materials; was verstehen Sie darunter?

Das steigende Nachhaltigkeitsbewusstsein in der Gesellschaft zeigt sich nun auch in der Interior-Branche, indem an innovativen, radikalen Materialien geforscht wird – weltweit und vernetzt. Trends wie Dekarbonisierung, Zero Waste, Beyond Plastic, Plant-based oder Green Tech werden genutzt, um die Klimakrise mithilfe von Materialinnovationen anzugehen.

Beispiele?

Wir haben so viele gute Ressourcen, wir müssen sie nur besser nutzen – von Eierschalen, aus denen Fliesen hergestellt werden können, bis zu den Knochen, die bei der Fleischproduktion übrig bleiben. Es gibt bereits Unternehmen, die daraus beispielsweise Lichtschalter oder Steckdosen herstellen.

 

Die Veganer und Vegetarierinnen werden nicht begeistert sein.

Aber wir nutzen Materialien, die sonst in den Müll wandern. Und in Zukunft, wenn der Fleischkonsum zurückgeht, werden wir Alternativen ausbauen, zum Beispiel Algen oder Pilze. Wir müssen unsere Ressourcen einfach intelligenter nutzen.

 

Welche Entwicklungen sehen Sie für das Arbeiten im Büro?

Die Büros stehen heute im Wettbewerb mit dem Zuhause der Mitarbeitenden. Das Office ist ja der Ort, an den viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden zurücklocken wollen. Da reicht nicht ein lahmes Angebot von ein paar Fitnesskursen, die genauso teuer sind wie im normalen Fitnessstudio. Die Firmen müssen alles überdenken: Lage, Layout, Möbel – und sogar die Position der Kaffeemaschine. Es gibt vier Kernelemente für die Neuerfindung des Büros: Ich nenne sie die vier C: Comfort, Communication, Caring und Connections.

Das müssen Sie erläutern.

Beim Comfort geht es darum, die Vorteile anzubieten, die die Menschen an der Arbeit zu Hause schätzen. Also etwa legere Kleidung, guten Kaffee, ein gesundes Mittagessen oder auch ein kleines Mittagsschläfchen. Bei der Communication steht im Mittelpunkt: Wie können wir die Menschen wieder mehr miteinander in Kontakt bringen? Eine effektive Idee nenne ich Koffice (Kitchen + Office). Es ist mehr als eine Küche im Büro, in der Kaffee gekocht oder sich um den letzten Keks gestritten wird. Es ist ein Ort, an dem man gemeinsam essen und ungezwungen kommunizieren kann. Caring wiederum umfasst viele Ebenen – von der Unterstützung hybrider Arbeit oder Workation (Working + Vacation) bis zur Betreuung von Kleinkindern oder Hunden im Büro. Und bei Connections geht es um die Frage, wie die Mitarbeitenden bei hybridem Arbeiten miteinander in Kontakt bleiben – zum Beispiel durch Orte, an denen sie sich zum Arbeiten oder zum Smalltalk treffen können.

 

Wollen die Menschen mit ihren Kolleginnen und Kollegen wirklich gemeinsam einen Spinatauflauf in der Mittagspause kochen?

Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass Menschen, die zusammen kochen, auch zusammenbleiben. Das Koffice hat das Potenzial, Kommunikation zu fördern und einen Anreiz zu bieten, ins Büro zu kommen. Eine Firma in Wien bietet ihren Mitarbeitenden beispielsweise an, sich in der Firma zu Baristas ausbilden zu lassen. Solche Ideen stärken nicht nur die sozialen Bindungen. Auch die Kreativität wird gestärkt, indem man einfach eine Mahlzeit plant, Zutaten auswählt und dann gemeinsam kocht oder backt. Nicht zu vergessen, dass in wirtschaftlich angespannten Zeiten, in denen die Lebensmittelpreise stark steigen, ein kostenloses Mittagessen ein starkes Argument für das Arbeiten im Büro ist.

 

Das wird für die Human-Resources- Abteilungen eine Herausforderung.

Es wird auch ganz neue Jobs geben. In Schweden etwa wurde die Funktion des Chief Happiness Officer kreiert. Dieser kümmert sich darum, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen glücklich sind, beziehungsweise ist für die seelische Gesundheit zuständig.