Stellen Sie sich bitte für einen Augenblick vor, Sie wären in den zurückliegenden 12 bis 18 Monaten, warum auch immer, kolossal abgelenkt gewesen und hätten deshalb von Banking, Payment und Fintech vorübergehend nicht viel mitbekommen.
Wie würden Sie dann wohl über den Zahlungsdienstleister Klarna denken?
Nun, vermutlich ungefähr wie folgt: «Klarna? Sind das nicht die Schweden, die einem regelmässig im Checkout des einen oder anderen Online-Shops über den Weg laufen? Und die alles in allem so viel wert sein dürften wie N26, oder? Naja, vielleicht auch ein klein bisschen mehr, 4 Milliarden, 5 Milliarden Dollar? Jedenfalls so um den Dreh …»
Alles richtig! Bloss: Das war, wie gesagt, der Stand vor 12-18 Monaten. Seitdem allerdings ist da draußen in der Welt ein bisschen was passiert. Und vor allem – mit Klarna ist ein bisschen was passiert. Während Konkurrenten wie Paypal ihren Wert im Zuge der Pandemie in etwa verdoppelt haben, hat sich die Taxierung von Klarna allen Ernstes auf 46 Milliarden Dollar grob verachtfacht. Aus einem ambitionierten europäischen Payment-Startup, das in einer Liga mit N26 spielte, ist sozusagen über Nacht das vielleicht heisseste Fintech der westlichen Welt geworden.
Wie konnte das passieren? Und was lehrt der Aufstieg von Klarna über Banking, Payment und Fintech in der Post-Corona-Welt?
Zehn Erklärungen:
So imposant die neue Bewertung anmutet – verglichen mit den grossen amerikanischen Payment-Konzernen ist Klarna immer noch eine kleine Nummer. Jedenfalls auf den ersten Blick. So kommt Visa auf einen Börsenwert von 513 Milliarden Dollar, bei Mastercard sind es 361 Milliarden, die Marktkapitalisierung von Paypal beläuft sich auf 321 Milliarden Dollar.
Gleichwohl: Nicht nur Visa und Mastercard sind bedeutend älter als Klarna (gegründet 2005), auch auf Paypal (gegründet 1998) trifft dies zu. Oder anders gesagt, Klarna ist jetzt ziemlich exakt so viel wert, wie es Paypal bei seinem Börsengang 2015 war, also ungefähr in dem gleichen Alter, in dem Klarna heute ist. Vergleicht man die Schweden mit dem grössten der jüngeren amerikanischen Payment-Spezialisten, nämlich mit Stripe (zuletzt von seinen Investoren mit 95 Milliarden Dollar taxiert), dann ist der Abstand gar nicht mehr so gross. Zumal…
Als Klarna im August 2019 eine Funding-Runde im Umfang von 460 Millionen Dollar verkündete, da lag die Bewertung bei – rückblickend betrachtet – fast schon bescheidenen 5,5 Milliarden Dollar. Sprich: Gerade mal 1/9 der heutigen Taxierung entstammten aus den ersten 14 Jahren nach der Gründung, die übrigen 8/9 aus den zurückliegenden knapp 24 Monaten. Während Paypal seinen Wert in den vergangenen knapp zwei Jahren gut verdoppelt und Stripe seine Taxierung knapp verdreifacht hat, hat sich die Bewertung von Klarna im gleichen Zeitraum verachtfacht; nicht mal Adyen, also der ebenfalls hochgewettete Payment Service Provider aus den Niederlanden, kann da annähernd mithalten.
Zugegeben, Klarna kam von einem niedrigeren Ausgangsniveau. Und doch bleibt zu konstatieren: Kein anderer namhafter westlicher Zahlungsdienstleister hat im Zuge der Pandemie einen derartigen Aufschwung erlebt.
Die Erklärung, warum ausgerechnet Klarna derart steil geht, lässt sich (wenn man die Dinge stark vereinfachen will) in vier Buchstaben zusammenfassen: BNPL.
BNPL? Das ist das Kürzel für «Buy now, pay later».
Und «Buy now, pay later»? Das ist, wenn man so will, der Trend im Trend.
Konkret: Immer mehr Menschen erledigen ihre Einkäufe online beziehungsweise mobil; und also wird auch immer häufiger online beziehungsweise mobil bezahlt. Davon profitieren naturgemäss alle gängigen E-Commerce-Bezahlarten; wobei «Buy now, pay later» allerdings besonders stark zu profitieren scheint. Konkret: Die Wachstumsraten sollen weltweit bei rund 30 Prozent pro Jahr liegen, in den USA sogar bei mehr als 40 Prozent.
«Klarna ist nicht mehr nur eine europäische, sondern inzwischen auch eine amerikanische Wette.»
Der grösste Profiteur dieser Entwicklung ist Klarna. 2020 wickelten die Schweden Zahlungstransaktionen im Umfang von 53 Milliarden Dollar ab. Die beiden bekanntesten westlichen «BNPL»-Spezialisten ausser Klarna, nämlich Afterpay und Affirm, kamen lediglich auf 11 Milliarden beziehungsweise 6 Milliarden Dollar.
Nun hat Klarna zwar BNPL nicht im Wortsinne erfunden. Im Gegenteil, unter die BNPL-Definition fallen ja auch klassische Bezahlarten wie der Rechnungs- oder Ratenkauf.
Allerdings: Mit Schumpeter gesprochen, ist Klarna sozusagen der grosse Innovator, der BNPL im E-Commerce zum feststehenden Begriff gemacht hat und nun der grösste Nutzniesser dieses selbst gesetzten Trends zu werden scheint.
Rechnungs- und Ratenkauf sind klassische europäische Bezahlarten. Die Amerikaner hingegen bezahlten jahrzehntelang im Zweifel lieber per Kredit beziehungsweise per Kreditkarte. Inzwischen allerdings zeichnet sich bei vielen US-Konsumenten ein Umdenken ab, «Debit» statt «Credit». Und kaum ein anderer Payment-Manager hat diesen Shift klarer kommen sehen als Sebastian Siemiatkowski, der Gründer von Klarna.
So sagte der heute 39-Jährige (Anlass war die oben erwähnte damalige Finanzierungsrunde) im August 2019 in einem Interview mit dem Startup-Magazin «Sifted»:
«In den letzten zehn Jahren gab es in Grossbritannien und den USA massive demografische Veränderungen, deren uns wir nicht bewusst waren. Obwohl sich das Kreditkartenvolumen etwa verdoppelte, hat sich das Debitkarten-Volumen verzehnfacht und 70 Prozent der Millennials in den USA besitzen keine Kreditkarte, sondern nur eine Debitkarte.»
«Die Schweden haben gerade in den letzten Jahren viel Geld und viel Fantasie darauf verwendet, sich als Marke auch bei den Endkunden zu etablieren.»
Unter der Prämisse, dass diese Trend anhalten werde, expandierte Klarna schon vor Jahren in die USA. Und inzwischen sieht es so aus, als würden die Schweden dort tatsächlich Boden gewinnen, trotz heimischer Herausforderer wie Affirm und obwohl etabliertere Player wie Paypal inzwischen natürlich auch auf BNPL setzen. 18 Millionen Nutzer zählt Klarna in den USA bereits, allein seit Anfang Februar sind drei Millionen hinzugekommen.
Keine Frage: Dass die Schweden ihre Bewertung im zurückliegenden Dreiviertel Jahr von 11 auf 46 Milliarden Dollar haben steigern können, liegt nicht zuletzt daran, dass Klarna nicht mehr nur eine europäische, sondern inzwischen auch eine amerikanische Wette ist.
Es kursieren ein paar hübsche Anekdoten, die den Durchbruch Klarnas auf dem US-Markt illustrieren.
Die Handelskette «Foot Locker» zum Beispiel integrierte die Schweden im vergangenen Oktober in ihren Onlineshop; quasi aus dem Stand heraus habe Klarna zu den drei beliebtesten Bezahlmethoden gehört, berichtete «Foot Locker»-CEO Richard Johnson wenige Wochen später in einen Analystenkonferenz
Die Modekette Express wiederum setzte im September vergangenen Jahres erstmals auf den Bezahldienst aus Europa. Drei Monate später erklärte CEO Timothy Baxter in einem «Conference Call», das durchschnittliche Bestellvolumen sei durch die Einführung Klarnas um ein Viertel nach oben geschossen.
Es ist ganz offensichtlich so, dass von Klarna etablierte Bezahloptionen wie «Später zahlen» insbesondere bei jüngeren Konsumenten verfangen. Wer als grosser Online-Händler hiervon profitieren will, kann kaum anders als Klarna anzubieten – wobei die Preismacht mehr und mehr bei Klarna liegt.
Zuerst kommt der Händler, dann erst der Shopper. Diese unter Zahlungsdienstleistern altbekannte Regel hat auch Klarna beherzigt. Dank eines überzeugenden technischen Setups haben es die Schweden (ähnlich wie Adyen als PSP) in relativ jungen Jahren geschafft, bei etlichen namhaften europäischen Online-Shops integriert zu werden.
Bloss: Klarna hat sich nicht mit der bloßen Rolle als No-Name- beziehungsweise Whitelabel-Abwickler zufriedengegeben. Sondern: Die Schweden haben gerade in den letzten Jahren viel Geld und viel Fantasie darauf verwendet, sich als Marke auch bei den Endkunden zu etablieren. Beispielsweise durch Werbeträger wie Snoop Dogg und Lady Gaga. Oder auch durch den Wechsel auf die unkonventionelle und dadurch zunehmend unverwechselbare Markenfarbe Rosa.
Der Payment-Experte Marcus Mosen sagt: «Klarna hat inzwischen einen sehr hohen Markenwert und damit einen hohen Brand Equity erreicht, insbesondere auf der Konsumentenseite.»
Die mitunter genialen Marketing-Kampagnen stützen einen Befund, der laut Branchenkennern für das Unternehmen ganz allgemein gilt: Bei Klarna sitzen offenbar Leute, die wissen, was Sie tun, im Grossen wie im Kleinen.
So sagt ein hochrangiger deutscher Payment-Manager, der aufgrund eines Konkurrenzverhältnisse ungenannt bleiben will: «Bei Klarna ist – neben vielen anderen Dingen – einfach auch die User Experience richtig, richtig gut. Zwar gibt es mittlerweile auch etliche andere Zahlungsdienstleister, die ‚Buy now, pay later‘ anbieten, aber was die Funktionalitäten und das Nutzererlebnis angeht, ist Klarna weiterhin die Benchmark.»
Ist «Buy now, pay later» eigentlich eine Bezahlart oder eine Finanzierungsart? Und ist Klarna eigentlich ein Bezahldienst, ein Fintech oder ein Konsumentenfinanzierer? Über eine Banklizenz jedenfalls verfügen die Schweden schon seit 2017. Und Einlagen sammeln sie auch ein, ebenfalls schon seit Jahren und (falls der Eindruck nicht täuscht) vor allem in Deutschland.
Und: Hat Klarna nicht neulich in Deutschland sogar ein eigenes Girokonto an den Start gebracht? Eben!
Tatsächlich lässt sich Klarna viel schwerer fassen, als es gängige Attribute wie «Bezahldienst» oder «Payment-Fintech» nahelegen. In gewisser Weise ist Klarna nämlich ein Finanzdienstleister sui generis, auch und gerade (und dieser Aspekt kann kaum überschätzt werden) in regulatorischer Hinsicht. Insbesondere in der britischen BNPL-Debatte spielt diese Facette eine grosse Rolle: Ist Klarna nicht in gewisser Weise ein moderner «Payday Lender»?
Und wenn die Finanzaufseher die Konsumenten einerseits vor «Payday Loans» und ähnlichen Instrumenten zu schützen suchen – warum kann Klarna seine Dienste dann in einer Art regulatorischem Niemandsland weitgehend unbehelligt anbieten?
Wenn man die Betrachtung dann doch noch mal auf Klarnas Rolle als «Bezahldienst» verengt – was für ein Bezahldienst ist Klarna dann?
Klar, im Kern stellen die Schweden mit ihren «Buy now, pay later»-Optionen ein Set an Bezahlmöglichkeiten bereit; ein Set übrigens, das in den zurückliegenden Jahren sorgsam arrondiert worden ist, unter anderem auch länderspezifisch. Darüber hinaus tritt Klarna inzwischen auch als Payment Service Provider auf. Sprich: Die Schweden bieten Händlern ein komplettes Payment-Gateway an, das neben den eigenen auch alternative Bezahlmethoden wie beispielsweise Kreditkarte beinhaltet.
Doch hat man damit die Essenz dessen, was Klarna ausmacht, schon ausreichend beschrieben?
Es gibt Branchenexperten, die die Meinung vertreten, Klarna sei inzwischen viel mehr als ein einfacher Bezahldienstleister, nämlich ein eigenes Scheme, vergleichbar mit Mastercard oder Visa oder auch mit Paypal. Einer unserer Ansprechpartner sagt, die Schweden seien, da sie sowohl zu den Merchants also auch zu den Endkunden unmittelbare Geschäftsbeziehungen unterhielten, «eine Art modernes American Express».
«Der Bezahldienstleister sitzt nicht mehr auf der Rückbank des Händlers – der Händler sitzt auf der Rückbank des Bezahldienstleisters.»
Genauso argumentiert der oben eingeführte Konkurrenz-Manager. «Klarna ist, ähnlich wie Paypal, unabhängig von Visa und Mastercard. Sie sind selber die Bezahlart und brauchen niemanden sonst, um Händler und Kunden zusammenzubringen. Das sind eindeutig die Charakteristika eines Schemes, die sich hier zeigen – und das zieht einen echten Wert nach sich. Denn: Wer selber Scheme ist, der kann von anderen nicht so leicht aus dem Markt gedrängt werden.»
Die natürliche Rolle des Zahlungsdienstleisters (auch im E-Commerce) ist klassischerweise die im Hintergrund. Der Kunden legt sein Produkt in den Warenkorb, dann geht er zum Bezahlen und erst dort werden ihm schliesslich die verschiedenen Bezahlmethoden wie «Kreditkarte», «Rechnungskauf», «Paypal», «Giropay» oder eben «Klarna» angeboten.
Klarna indes schafft es mehr und mehr, die klassischen Rollen zu verkehren. Die eigene Endkunden-App ist nämlich längst keine reine Wallet mehr, sondern eine Art Lifestyle-Shopping-App, über die der Kunden zu den ihm empfohlenen Shops beziehungsweise Produkten gelangt. Sprich: Der Bezahldienstleister sitzt nicht mehr auf der Rückbank des Händlers; sondern der Händler sitzt auf der Rückbank des Bezahldienstleisters. Was so weit gehen kann, dass der Online-Shop X den Zahlungsdienstleister Klarna integriert, nur um dann miterleben müssen, wie Klarna den vom Online-Shop X vermittelten Kunden zu seinem eigenen Kunden macht, um diesen dann an den Online-Shop Y zu vermitteln.
«Spätestens an dieser Stelle zeigen sich bei Klarna dann Merkmale, wie man sie ansonsten Google zuschreibt», meint der besagte Konkurrenz-Manager. Und der Branchenexperte Mosen erklärt: «Hier kommen dann Begriffe wie ‚Super-App‘ und ‚Ökosystem‘ ins Spiel.»
Ob die Klarna-App wirklich zur «Super-App» wird und es den Schweden wirklich gelingt, ein eigenes Ökosysten zu etablieren, ist noch nicht ausgemacht. Seit letzter Woche allerdings steht fest: Etliche Investoren trauen Klarna genau das zu.
Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert auf «Finanz-Szene.de» unter dem Titel: «Wie Klarna das heißeste Fintech der westlichen Welt wurde». Auf Handelszeitung.ch wurde er das erste Mal am 18. Juni 2021 publiziert.
1 Kommentar
Klarna ist Müll. Die haben einer Person lediglich auf Eingabe meiner Email Adresse einen Kauf finanziert und ich habe jetzt Zahlungen und Mahnung am Hals. Das lief ohne jegliche Verifizierung!
Das ist kein seriöses Geschäft.
Jürgen Koch