Ausländische E-Commerce-Giganten, die hierzulande oft keinen einzigen Angestellten beschäftigen, steigern ihre Schweizer Umsätze stark. Das zeigen Berechnungen der Schweizer E-Commerce-Beratungsfirma Carpathia.
Gemäss den Zahlen, die über Umfragen sowie Inputs von Marktteilnehmern und Branchenexperten und über Paketmengen zustande gekommen sind, steigerte Aliexpress 2018 seine Umsätze hierzulande um 70 Prozent auf 475 Millionen Franken. Damit schob sich der chinesische Versender in der Liste der grössten E-Commerce-Unternehmen von Platz sechs auf Platz vier vor.
Das US-Unternehmen Wish, das Ware als Vermittler von hauptsächlich chinesischen Anbietern in die Schweiz versendet, legte gemäss den Carpathia-Zahlen in der Schweiz um 54 Prozent zu und schaffte erstmals den Sprung in die Top Ten der grössten Online-Shops.
Kratzen an der Milliardengrenze
Das starke Wachstum chinesischer Versender zeigt sich an der rasant steigenden Menge der Kleinsendungen, welche die Schweiz jährlich aus Asien erreichen. 2017 kamen 14 Millionen solcher asiatischer Kleinpakete an, 2018 lag die Zahl bereits bei 20 Millionen.
«Wir gehen davon aus, dass rund drei Viertel dieser Pakete von Aliexpress und Wish stammen», sagt Alexandra Scherrer von Carpathia.
Da die Post mit einer Verdoppelung der Kleinsendungsmenge aus Asien rechnet, ist es für Scherrer klar, dass die Umsätze von Aliexpress und Wish auch 2019 weiter steigen werden: «Hält das Wachstum an wie bisher, kratzen Aliexpress und Wish 2019 zusammen an der Milliardengrenze.»
Der Boom der chinesischen Versender sorgt bei Schweizer E-Commerce-Firmen für Unmut. Aufgrund einer Regelung des Weltpostvereins UPU galt China bis Ende 2017 als postalisches Entwicklungsland und profitierte von niedrigen Posttarifen. Seit Ende 2017 wurden die Tarife für Kleinwarensendungen aus China zwar angehoben, aber nur um geringe zweistellige Prozentraten.
Eine Kluft besteht weiterhin. Die Chinesen können ihre Ware günstiger verschicken als die Schweizer Online-Versender.
Spezieller Post-Kongress
Für Hoffnung sorgt nun ein ausserordentlicher UPU-Kongress, der am 24. und 25. September in Genf stattfindet. Gemäss UPU wird es in Genf hauptsächlich um das «terminal dues system» gehen, also die Vergütungen, welche die Postbetreiber des Herkunftslandes dem Postbetreiber des Bestimmungslandes schulden.
Der Weltpostverein, der seinen Sitz in Bern hat, ordnete diesen ausserordentlichen Kongress wohl auch deshalb an, weil der Unmut über die Bevorzugung der Chinesen wächst. Ende 2018 kündigten die USA ihren Austritt aus dem UPU an.
Kommentar
Die Schweizer E-Commerce-Welt und deren jährliche Rangliste zeigte sich in den letzten Jahren meist so: Alle wichtigen Player legen stark zu – und an der Spitze stehen die Online-Rockstars von Digitec. Nur schon deshalb, weil die Schweizer Digital-Pioniere, die heute zum Migros-Konzern gehören, den Kundennutzen radikal in den Mittelpunkt stellten und die Szene schon lange kennen und prägen.
Jetzt sieht die Welt plötzlich anders aus. An der Spitze des Online-Tableaus zeigt sich mit Zalando ein ausländisches Unternehmen; die ganz grossen Wachstumszahlen schreiben Firmen, welche die Welt von China her mit ihren Kleinwarensendungen überschwemmen.
Und wer die Umsätze aller Amazon-Domains zusammenzählt, wird gewahr: Der US-Riese ist mit seinen 820 Millionen Franken Umsatz der heimliche Online-Held der Schweiz.
Wohlgemerkt: Im Vergleich zum stationären Handel, der bestenfalls auf der Stelle tritt, sind die tiefen zweistelligen Wachstumsraten von Galaxus und Co. ein Highlight. Aber gegen den Aufstieg der chinesischen Versender sehen die hiesigen Online-Platzhirsche eher blass aus.
Dass die Post für sie nicht mehr im einst gewohnten Masse abgeht, hängt einerseits mit den Preis- und Arbeitsmarktbedingungen der chinesischen Konkurrenten zusammen, die unschlagbar sind. Aber auch damit, dass chinesische Versender immer noch eine postalische Vorzugsbehandlung geniessen.
Wenn sich die Welt-Pöstler im September in Genf treffen, muss sich das ändern. Sonst läuft zu viel schief im globalen Dorf.