Künstliche Intelligenz mag Wirtschaft und Gesellschaft eines Tages grundlegend verändern. Doch was heute schon klar ist, sind die massiven Auswirkungen, die diese Technologie auf die Energiewirtschaft haben wird. Allein im vergangenen Jahr haben die grossen Hyperscaler Amazon, Microsoft und Google 0,5 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Bau neuer Rechenzentren investiert. Das entspricht rund 145 Milliarden Dollar – allein von diesen drei Unternehmen und allein in den USA. Das waren höhere Investitionen als die der gesamten Öl- und Gasindustrie.
Nach Berechnungen der Internationalen Energie Agentur (IEA) haben sich die Ausgaben für neue Rechenzentren in den vergangenen beiden Jahren in den USA verdoppelt. China und Europa folgen mit einigem Abstand, zeigen aber ebenfalls grosse Dynamik. Megarechenzentren neuen Typs, die mit dem hohen Datenvolumen der künstlichen Intelligenz zurechtkommen müssen, verschlingen rund 100 Megawatt pro Anlage, zehnmal mehr als herkömmliche Zentren. Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 350’000 Elektroautos.
Der Gastautor
Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident von World.Minds sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt monatlich in der «Handelszeitung».
Schon heute geht 1 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs allein auf das Konto von Rechenzentren. Ihr Energiebedarf entspricht rund der Hälfte des Stromverbrauchs aller Haushaltsgeräte weltweit, also aller Fernsehgeräte, Bügeleisen, Waschmaschinen oder Toaster zusammengenommen. Die IEA geht davon aus, dass diese Zahlen rapide in die Höhe schnellen werden. Weil völlig unklar ist, wo klimaneutraler Strom für diese Anlagen herkommen soll, bittet die IEA ihre Mitglieder, also die Nationalstaaten, Anfang Dezember zu einer dringenden Sonderkonferenz nach Paris.
Amazon, Microsoft und Google haben sich schon vor geraumer Zeit öffentlich zur Klimaneutralität verpflichtet. In Zeiten boomender künstlicher Intelligenz können sie dieses Versprechen jedoch allein mit Wind, Sonne, Wasser oder Biogas nicht mehr einlösen. Amazon zum Beispiel hatte sein Ziel, ausschliesslich erneuerbare Stromquellen zu verwenden, kürzlich bereits erreicht – sieben Jahre vor dem gesetzten Ziel. Doch das explosionsartige Wachstum von KI macht diese Kalkulation nun zunichte; jetzt reichen erneuerbare Energien nicht mehr aus, jetzt müssen andere klimaneutrale Stromquellen hinzukommen. Der Unterschied zwischen «erneuerbar» und «klimaneutral» heisst: Atomenergie. Alle drei Hyperscaler sehen keinen anderen Ausweg mehr.
In den vergangenen Wochen haben die drei Unternehmen angekündigt, in grossem Stil auf Kernkraft zu setzen. Für Microsoft wird der Betreiber des Atomkraftwerks auf Three Mile Island bei Harrisburg in Pennsylvania seinen 1979 havarierten Reaktor wieder in Gang setzen. Amazon und Google kündigen den Bau neuer Atomkraftwerke an, die sie direkt neben ihre riesigen Rechenzentren platzieren wollen. Dabei handelt es sich um sogenannte Small Modular Reactors (SMRs). Ihre Bauzeit ist kurz, ihr Flächenverbrauch niedrig und ihre Sicherheit hoch. Sie sollen zunächst rund 100 Megawatt pro Anlage und später bis 200 Megawatt produzieren. Amazon hat dazu einen Vertrag mit einem Betreiberkonsortium abgeschlossen, das zunächst vier SMRs im Bundesstaat Washington bauen wird.
Bis Kernfusion technisch funktioniert und industriell einsetzbar wird, heisst «Atomkraft» bis auf weiteres «Kernspaltung». Also schiesst die Nachfrage nach Uran in die Höhe. Ein guter Indikator dafür ist der Kurs des Van Eck Uranium and Nuclear Technologies ETF, eines der wenigen Exchange-Traded Funds, der Nuklearaktien abbildet. Seit Juli 2023 ist sein Kurs um 75 Prozent gestiegen. Schwerste Aktie in diesem Markt ist die kanadische Uran-Mining-Firma Cameco. Ihr Kurs notiert so hoch wie seit 2006 nicht mehr: Er liegt fast zehnmal höher als vor vier Jahren.
Für Investoren bietet der Boom der künstlichen Intelligenz also gute Chancen. Nicht nur Chiphersteller wie Nvidia oder Hyperscaler wie Amazon, Microsoft oder Google profitieren, sondern auch die Produzenten klimaneutralen Stroms samt ihrer Zulieferer in der Wertschöpfungskette. Künstliche Intelligenz treibt den Wert von Uran in kanadischen Minen nach oben – wer hätte das vor zwei Jahren gedacht?