Immer wenn der Handels- und Technologiekonzern einen neuen Markt in Angriff nimmt, ist Aufmerksamkeit geboten. Schon die schiere Masse seiner Kundenkontakte verschafft jeder neuen Initiative ein grosses Publikum, das mit einem einzigen Klick dabei sein kann.

Weltweit gibt es über 200 Millionen Menschen, die Amazon Prime abonniert haben und damit Zugang zu exklusiven Serien, schnellerer Lieferung und vergünstigten Transportkosten geniessen. Nun plant Amazon offenbar eine Expansion in die Telekommunikation. 

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Adam Selipsky, Chef der Amazon-Cloud-Sparte AWS, sprach jüngst davon, «den Zugang zum Internet» demokratisieren zu wollen. Was er damit meint, ist vermutlich ein weltumspannendes Netzwerk tieffliegender Kommunikationssatelliten nach dem Vorbild von Elon Musks Starlink, allerdings mit noch besseren Leistungsdaten.

Bis zu einem Gigabit Daten pro Sekunde soll das Amazon-Netz aus dem Orbit offenbar bieten können – auf dem gesamten Globus, im hintersten Winkel und ohne Funklöcher. Mit Tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie mit Milliardenbudgets arbeitet Amazon seit Jahren an diesem Angebot. Fest mit eingebaut in das Konzept sind eigene Empfangsstationen, also Antennen, welche die Signalverbindung zum Weltall herstellen. 

Space X macht es mit Starlink vor

Dass dieses Konzept technisch funktioniert, steht ausser Frage. Space X macht es seit Jahren mit Starlink vor. Wichtiger als die Frage nach der technischen Machbarkeit sind daher die wirtschaftlichen Folgen. Falls es Amazon gelingt, diesen Dienst zum Laufen zu bringen, kann der Konzern Unterhaltung, Kommunikation und weltweite Konnektivität aus einer Hand anbieten.

Das gelingt derzeit noch nicht einmal Apple oder Space X. Am leichtesten könnte Amazon den Markt erobern, indem es seine Datendienste in Prime miteinbaut – und dafür entweder den Preis etwas erhöht oder eine Zusatzoption gegen Aufpreis anbietet. 

Begonnen hatte Amazon Prime zunächst als verbilligter und verbesserter Paketzustelldienst. Im Laufe der Jahre kam eine Onlinevideothek hinzu, dann wuchs diese Videothek um immer mehr exklusive Film- und Serienproduktionen an. Inzwischen gehört Amazon zu den grössten Produzenten beziehungsweise Abnehmern Hollywoods.

Ein Problem für klassische Telekommunikationsunternehmen

Da wäre es ein Leichtes, den Kundinnen und Kunden anzubieten, ihre Leitungen zu Swisscom, Salt, Deutscher Telekom oder Telefónica zu kappen. Alles aus einer Hand zu einem attraktiven Kombipreis. Dieses Modell schützt vor Wettbewerb, weil kein Konkurrent ein vergleichbares Angebot aufstellen kann – einfach aufgrund mangelnder Angebotsbreite. Klassische Telekommunikationsunternehmen müssten dann versuchen, sich über Preissenkungen oder Qualitätssteigerungen im Spiel zu halten. Gehandicapt sind sie aber schon durch die Lücken ihres terrestrischen Netzes.

Wie werden die Kunden auf einen solchen Wettbewerb reagieren? Sie werden schnell bemerken, dass terrestrische Netze in Grossstädten Vorteile bieten, weil die Signale vom Funkmast um die Ecke leichter in Gebäude vordringen als Wellen aus dem Weltall. Doch sobald sie weniger dicht bebaute Regionen bewohnen und befahren, lernen sie die geschlossene Abdeckung der Orbit-Dienste zu schätzen.

Nach kurzer Zeit wird es ihnen zu lästig werden, zwischen Bodenmasten und Satelliten wählen zu müssen. Sie werden Mesh-Dienste bevorzugen, die alle verfügbaren Stationen virtuell miteinander verknüpfen. Anbieter, denen das überzeugend gelingt, werden den Markt dominieren. Amazon bringt sich für diese Zeiten in Stellung und markiert seine Ambition, einer der grossen Telekommunikationsanbieter der Zukunft zu werden. 

Christoph Keese

Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident von World.Minds sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt regelmäßig über Technologie und Innovation, neuerdings auch zweiwöchentlich in der «Handelszeitung».