Was müsste die Schweizer Industrie tun, um auf den Klimawandel zu reagieren?
Zunächst einmal muss sich die Industrie viel stärker bewusst werden, dass die Bekämpfung des Klimawandels finanziell rentabel geworden ist und neue Möglichkeiten für die Wirtschaft bietet. Der Ersatz veralteter und umweltbelastender Infrastrukturen und Systeme durch moderne und effiziente Systeme ist die Marktchance des Jahrhunderts in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, den industriellen Gewinn und die Kaufkraft der Bevölkerung.
Warum ist das so?
Weil die Effizienz, das heisst die Einsparung von Energie und Ressourcen, die Rendite der Investition ausmacht. Das ist das, was ich gerne als qualitatives Wachstum bezeichne, bei dem wir das BIP von der Quantität der Produktion abkoppeln können, um es mit Effizienz zu verbinden.
Bertrand Piccard, geboren 1958 in Lausanne und ausgebildeter Psychiater, wurde bekannt als Tech-Abenteurer: Er umkreiste als erster Mensch die Erde im Ballon und initiierte die erste Solarflugzeug-Tour um die Welt. Mit seiner 2003 gegründeten Solar Impulse Foundation engagiert er sich für Umweltschutz.
Das bedeutet, dass die Schweizer Industrie ihre Geschäftsmodelle an den neuen Trend anpassen muss und nicht warten darf, bis es zu spät ist?
In der Regel begreifen die kleineren innovativen Unternehmen zuerst, dass ihre wirtschaftliche Zukunft davon abhängt, wie schnell sie ihre Unternehmen effizient und sauber machen können. Um ganz ehrlich zu sein, denke ich, dass diejenigen, die sich noch sträuben, selbst erkennen werden, dass sie den Kopf zu lange in den Sand gesteckt haben und die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens aufs Spiel setzen.
Was erwarten Sie von der politischen Führung in der Schweiz in Bezug auf die Klimaziele?
Wir müssen das Narrativ ändern und uns von einem Diskurs über einen belastenden und teuren Klimawandel weg und hin zu einem spannenden Narrativ bewegen, welches die wirtschaftlichen Chancen aufzeigt. Mit anderen Worten: Wir müssen Ökologie und Ökonomie miteinander in Einklang bringen. Und wir müssen überholte Parteispaltungen hinter uns lassen, um uns von der Linken bis zur Rechten um Energieeffizienzmassnahmen und erneuerbare Energien zu scharen, vor allem wenn wir sehen, dass erneuerbare Energien billiger geworden sind als Öl und Gas. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir den rechtlichen Rahmen modernisieren, damit saubere Technologien den Markt erreichen. Es darf nicht weiterhin legal sein, die Umwelt zu verschmutzen. Denn seien wir ehrlich: In Glasgow können sie entscheiden, was sie wollen – zu Hause muss es akzeptiert und in nationales Recht umgesetzt werden. Das beste Beispiel für eine gescheiterte politische Kommunikationskampagne ist das CO2-Referendum. Wir kritisieren Indien und China dafür, dass sie die Sprache um den Kohleausstieg abschwächen, können aber unser eigenes Haus nicht in Ordnung bringen. Die Schweiz hat die umweltschädlichste Autoflotte im Pro-Kopf-Durchschnitt und lehnt ein Gesetz ab, welches das Land mit dem Pariser Abkommen in Einklang gebracht hätte. Und warum? Weil die Erzählung vom Umweltschutz nicht attraktiv genug ist.
Welches sind die dringendsten Fragen, die die Unternehmen angehen müssen?
Unternehmen haben vor zwei Dingen Angst: Rechtsunsicherheit und Wettbewerbsverzerrung. Sie können nichts planen, wenn sich die Regierungen nicht über eine langfristige Klimastrategie, wie zum Beispiel einen Preis für Kohlenstoff, im Klaren sind. Ausserdem wollen sie nicht dafür bestraft werden, dass sie ökologische Massnahmen ergreifen, die ihre Konkurrenten vermeiden können. Unternehmen wollen strengere Vorschriften. Für mich steht es ausser Frage, dass jedes Unternehmen, das nach wie vor zum Anstieg der weltweiten CO2-Emissionen beiträgt, eine Strategie vorlegen muss, wie es kohlenstoffneutral werden kann. Das liegt auch in seinem eigenen Interesse, wenn es ein schlechtes öffentliches Image vermeiden will. Ich bin überzeugt, dass sich heute Finanzakteure, Verbraucherinnen und sogar Arbeitnehmer für den Klimawandel interessieren. Um junge und qualifizierte Talente zu gewinnen, ist es oft notwendig, ein solides Ziel zu präsentieren. Andernfalls gehen sie zum Konkurrenten.