Es gibt wohl keine Technologie, die derzeit mehr Diskussionen und Investitionen auslöst als das Metaverse. Und das aus gutem Grund. Das Metaverse - im Wesentlichen eine parallele Realität, die aus miteinander verbundenen und interoperablen Welten besteht und durch Technologien wie Augmented und Virtual Reality zum Leben erweckt wird, wobei die kommerziellen Aktivitäten durch die Blockchain untermauert werden - hat das Potenzial, nicht nur unser Leben als Konsumenten, sondern unsere gesamte Lebensweise zu verändern.

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In einer nicht allzu fernen Zukunft könnten die Menschen einen beträchtlichen Teil ihrer Zeit mit Arbeiten, Lernen, Spielen und natürlich Einkaufen im Metaverse verbringen, wo virtuelle Güter - von Kleidung bis hin zu Immobilien - sowohl einen sozialen als auch einen wirtschaftlichen Wert annehmen können, der dem von physischem Besitz entspricht oder ihn sogar übertrifft.

Doug Stephens ist ein kanadischer Futurist, Berater und Retail-Vordenker. Stephans hat das Unternehmen Retail Prophet gegründet und leitet es.

Der grosse Teil der Debatte über das Metaversum ist positiv. Technologen sehen es als eine neue Ebene in unserer Beziehung zur Technologie. Vermarkter betrachten es als eine grüne Wiese für zusätzliche Produktkategorien und Einnahmequellen. Investoren sehen darin einen neuen Bereich für gute Renditen. Und diejenigen unter uns, die sich mit der Zukunft der Industrie befassen, sind allgemein begeistert von dem, was wir als eine historische Weiterentwicklung des heutigen Internets betrachten.

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Doch wie bei jedem bedeutenden technologischen Fortschritt gibt es drei entscheidende Fragen, die sich Detailhändler, Marken und ihre Geldgeber stellen müssen, bevor sie sich in das Metaversum stürzen.

  • Ist das Metaverse, wie wir es uns vorstellen, überhaupt realisierbar? Selbst mit den eher klobigen und primitiven Technologien, die wir heute verwenden, ist es klar, dass der Aufbau eines immersiven digitalen Universums tatsächlich möglich ist. Bei dem derzeitigen Innovationstempo werden wir schon bald über die dafür erforderliche Hardware und die entsprechenden Bandbreiten verfügen. Die Antwort ist also: Ja.
  • Ist die Realisierung des Metaverse wahrscheinlich? Immersive, fesselnde und realitätsnahe Erlebnisse sind eine logische Weiterentwicklung unseres Online-Lebens. Und angesichts der biblisch hohen Kapitalsummen, die in neue Akteure, Plattformen und Projekte fliessen, ist es fast sicher, dass das Metaversum in einer beschleunigten Kurve Gestalt annehmen wird. Nochmals können wir also ein Ja als Antwort geben.

Die letzte Frage schliesslich ist, ob die Realisierung des Metaverse wünschenswert wert ist? Interessanterweise ist diese kritische Frage eine, die ich bisher kaum gehört habe. Dabei tangiert sie wichtige Probleme, mit denen die Gesellschaft derzeit konfrontiert ist - von der schlechten psychischen Gesundheit bis hin zur Klimakrise. Beide Themen können durch das Metaverse verbessert werden. Oder eben verschärft.

Es geht nicht nur um Moral, sondern um Nachhaltigkeit

Die Frage, ob die Realisierung des Metaverse tatsächlich wünschenswert ist, ist nicht nur eine moralische Frage, sondern auch eine, die ernsthafte geschäftliche Auswirkungen für Retailer hat, die ja bereits verstärkt auf ihre ökologischen und sozialen Auswirkungen hin überprüft werden, insbesondere wenn sie das Metaverse als Brücke zu jüngeren Generationen von Konsumenten betrachten, die bei ihren Kaufentscheidungen zunehmend die Position einer Marke zu ökologischen und sozialen Fragen berücksichtigen.

Experten stellen heute nicht nur eine Zunahme von Schlaflosigkeit, Einsamkeit, Depressionen und Selbstmord unter Jugendlichen fest, sondern können auch Zusammenhänge mit der verstärkten Nutzung sozialer Medien herstellen, die ein virtuelles Schaufenster für Lebensstile sind, die zu verstärkten Gefühlen der Unzulänglichkeit und Angst führen können.

Bedenken Sie nun, dass Sie im Metaversum wahrscheinlich nicht nur danach beurteilt werden, wie Sie in der realen Welt aussehen, sondern auch danach, wie Ihr Avatar geschmückt ist, nach Ihren virtuellen Turnschuhen oder Ihrer virtuellen Kosmetik. Ihre Adresse auf einer Plattform wie Decentraland kann genauso wichtig sein wie Ihre Adresse in der realen Welt.

Warum das Metaverse noch lange Fiktion bleibt
Illustration Metaverse (Bilanz 03/22)
Quelle: Mario Wagner / 2Agenten für BILANZ

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Facebook hat nicht nur Menschen verbunden, sondern auch die Gesellschaft gespalten

Es ist zwar leicht, sich von den Vorzügen einer Technologie verführen zu lassen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Mark Zuckerberg 2006 einfach sagte: «Bei Facebook geht es um echte Verbindungen zu echten Freunden» - eine Vorstellung, die so utopisch klang, dass sich 2,8 Milliarden Menschen anmeldeten. Was Zuckerberg nicht erwähnte, war, dass dies mit einem Sumpf von Online-Mobbing, Fehlinformationen und politischer Spaltung einhergehen würde, einer Höllenlandschaft, aus der Marken wie Lush kürzlich ausgestiegen sind.

Der Geschäftsführer von Lush, Mark Constantine, erklärte Ende 2021 gegenüber dem Guardian, dass er lieber die 10,6 Millionen Facebook- und Instagram-Follower des Unternehmens und die geschätzten 13 Millionen Dollar Umsatz, die sie repräsentieren, verlieren würde, als sich an den schädlichen Auswirkungen von Facebook auf die Gesellschaft zu beteiligen. Auf dem Weg in das Metaversum werden Marken neue Möglichkeiten haben, die Plattformen und Protokolle auszuwählen, denen sie sich anschliessen, und sie sollten dies mit Bedacht tun.

Was ist mit den Auswirkungen auf die Kreativität? Manche feiern den Übergang zu virtuellen Gütern als «Demokratisierung des Designs», die es jedem, der über Fantasie und Zugang zu einfachen Technologien verfügt, ermöglicht, Modedesigner zu werden. Aber sehen Sie sich an, was die Demokratisierung der Aufnahmetechnik für die Einkommen von Musikern und Songschreibern oder die allgemeine Qualität der Musik bedeutet. Wenn überhaupt, dann haben wir gelernt, dass mehr nicht immer gleichbedeutend mit besser ist und dass Demokratisierung manchmal gleichbedeutend mit Kommerzialisierung ist.

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Klimakiller Metaverse

Zudem ist es kein Geheimnis, dass die globale Retailbranche zu den grössten Umweltverschmutzern der Welt gehört. Allein die Bekleidungsindustrie erzeugt 8 Prozent der weltweiten Treibhausgase. Das Metaversum bietet hier wenig Abhilfe, denn die schiere Leistung und die Anforderungen an das Cloud-Computing, um eine solche dauerhafte, allumfassende, kollektive Realität zu schaffen, werden astronomisch sein.

Studien über Spieleplattformen haben beispielsweise ergeben, dass, wenn nur 30 Prozent der Videospieler bis 2030 auf Cloud-basierte Spieleplattformen umsteigen, die Kohlendioxidemissionen aufgrund des Anstiegs der erforderlichen Rechenleistung um 30 Prozent steigen würden. Stellen Sie sich nun vor, dass ein ganzer Planet auf ein cloudbasiertes Metaversum umstellt. Es ist wahrscheinlich, dass alle möglichen Umweltvorteile wie die geringere Abhängigkeit vom täglichen Pendeln zur Arbeit oder der geringere Verbrauch von physischer Kleidung vollständig zunichte gemacht würden.

Apropos virtuelle Kleidung: Was würde das für die Millionen von Bekleidungsarbeitern auf der ganzen Welt bedeuten, die für ihr Überleben auf physische Arbeitsplätze angewiesen sind? Glaubt wirklich jemand, dass wir diese Menschen zu digitalen Bekleidungsdesignern machen werden?

Das Metaverse bringt uns als Gesellschaft und als Individuen an einen wichtigen Scheideweg. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass es grosse finanzielle Vorteile verspricht, aber so wie wir eifrig die Vorteile berechnen, sollten wir auch die sozialen und ökologischen Kosten abschätzen und alles tun, um sie zu vermeiden.

Luxus- und Konsumgüterfirmen werden zweifellos eine zentrale Rolle bei der Finanzierung des Metaversums spielen. Und genau diese Rolle verleiht ihnen Macht - die Macht, auf ein sicheres und nachhaltiges Metaverse zu bestehen. Da der Aufbau des Metaversums in vollem Gange ist, ist es an der Zeit, diese Macht zu nutzen und von Anfang an ökologische und soziale Verantwortung in unsere Strategien einzubauen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot von Business of Fashion unter dem Titel «The Question no one is asking about the metaverse»