In der Renaissance beschlossen Menschen, Fähigkeiten aus dem Altertum für sich wiederzuentdecken. Sie bemerkten, dass sie Dinge verlernt hatten, die früher alltäglich waren. Vor unseren Augen spielt sich auch jetzt wieder eine Renaissance ab: eine Wiedergeburt der bemannten Raumfahrt jenseits der engsten Erdumlaufbahn. Vor fast genau fünfzig Jahren, am 7. Dezember 1972, startete mit Apollo 17 die letzte Landungsfahrt von Menschen zum Mond. Die Astronauten Eugene Cernan, Ronald Evans und Harrison Schmitt gehörten der Mission an. Alle wurden in den 1930er Jahren geboren, bis auf einen sind inzwischen alle tot.
Seit einem halben Jahrhundert schweben Menschen höchstens 400 Kilometer über der Erdoberfläche – dort verläuft die Flugbahn der Internationalen Raumstation ISS. Der Mond liegt hundertmal weiter weg. Wir kratzen nur noch am Weltraum, wir erkunden ihn nicht mehr. Nun aber sollen gleich zwei Technologien den Kleinmut der Menschen überwinden helfen und sie zurück auf den Mond bringen. Die Artemis-Rakete der Nasa und das Spaceship des privaten Unternehmens Space X knüpfen erstmals wieder an die überragenden technischen Leistungen der Apollo-Trägerrakete Saturn V an. Die Pläne sind konkret. So hat die Nasa soeben die Besatzung der Artemis verkündet, und das Starship soll in Kürze zum Testflug abheben.
Es steht eine Revolutionierung der Raumfahrt an
Nach Höhe, Durchmesser und Schub sind die beiden Raketen der alten Saturn kaum überlegen. Was aber vor allem das Starship auszeichnet, ist seine komplette Wiederverwendbarkeit. Sollte die Maschine wirklich fliegen, dürfte sie die Raumfahrt revolutionieren. Die Saturn V kostete im Durchschnitt rund 1,3 Milliarden Dollar pro Start (in heutigem Geld). Das Starship zielt auf weniger als 10 Millionen Dollar. Heutige Schwerlastraketen wie Falcon 9 und Ariane 5 kosten zwischen 60 und 180 Millionen Dollar, transportieren aber nur einen Zehntel der Nutzlast. Die einfache Rechnung des Starships lautet so: zehnfache Nutzlast bei einem Zehntel der Kosten, also hundertmal mehr Effizienz.
Mit dieser gewaltigen Cargokapazität soll das Starship pro Flug 100 Menschen bis zum Mond bringen können. Saturn V schaffte nur 3. Mit einem einzigen Flug würde das Starship achtmal mehr Menschen auf den Mond transportieren als das gesamte Apollo-Programm. Bis heute haben nur 12 Menschen den Mond betreten. Das Starship schafft daher die Voraussetzung für die Besiedlung des Mondes. Daher sind Vergleiche mit der Mayflower nicht unbegründet. Sie brachte 103 Passagiere und 31 Besatzungsmitglieder nach Amerika. Fast genau die gleiche Zahl soll nun an Bord des Starships den Mond kolonisieren.
Warum aber sollten wir den Mond besiedeln wollen? Gibt es nicht auf der Erde schon genug Probleme, für deren Lösung die Ressourcen schon viel zu knapp sind? Ja, es gibt genug Probleme, aber trotzdem ist die Besiedlung des Monds den Aufwand wert. Schiere Neugier ist schon Grund genug. Wissenschaft bedarf keines Grundes. Grundlosigkeit gehört zu ihren wichtigsten Eigenschaften. Dinge einfach auszuprobieren, ohne an die praktische Nützlichkeit zu denken – das ist es, was Forschung antreibt und letzten Endes Myriaden Anwendungen ermöglicht hat, die sonst nie denkbar gewesen wären. Den Mond und andere Himmelskörper zu besiedeln, wird ähnliche ungeahnte Folgen haben wie der Aufbruch der Europäerinnen und Europäer nach Amerika. Ausmalen können wir uns diese Folgen nicht. Sie überschreiten jede Vorstellung. Der Nutzen wird überragend sein. Auch diese Renaissance birgt reichen Lohn.
Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident von World.Minds sowie Unternehmer und Unternehmensberater aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt zweiwöchentlich in der «Handelszeitung» über Technologie und Innovation.