Eigentlich müsste die Sache ganz einfach sein, sagt Matthew Wong, Analyst für Finanzdienstleistungsthemen beim US-Marktforschungsunternehmen CB Insights: «Telematik ist gerade im Motorfahrzeugversicherungsbereich eine sehr attraktive Technologie.» Sie führe dazu, dass tendenziell die «besseren Risiken» mit Black Boxes fahren, und sie würde den Fahrern idealerweise die Risiken besser bewusst machen. Hinzu kommen weitere positive Wirkungen, denn eine Versicherung kann ein besseres Schadenmanagement um die Telematik herum aufbauen – und es ist auch ein besseres Verständnis für neue Risiken wie Hanfkonsum-Legalisierung und Ablenkung am Steuer (Stichwort Smartphone-Nutzung) möglich.
Allianz steigt langsam aus
Die Realität in der Schweiz sieht indes ernüchternd aus. So steigt etwa Allianz Schweiz, wo 20 000 Kunden solche Boxen haben, teilweise aus dem Geschäft aus. «Aus geschäftsstrategischen Gründen sowie aufgrund der nachlassenden Nachfrage haben wir uns Ende 2018 entschieden, diese Dienstleistungen für Neukunden nicht mehr anzubieten», bestätigt Bernd de Wall, Sprecher bei Allianz Schweiz. Junglenker würden mittlerweile von attraktiveren Preismodellen profitieren, so dass die Rabattierung durch den Crash Recorder eine immer geringere Rolle spiele. «Was die Allianz Helpbox anbelangt, so sind die Fahrzeuge technisch mittlerweile so gut mit ähnlichen Sicherheitssystemen ausgerüstet, dass die Nachfrage in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist», so de Wall weiter. Bei der Allianz Suisse war der Crash Recorder für Junglenker seit 2010 und die Allianz Helpbox für «sicherheitsaffine» Privatkunden seit 2011 im Angebot. Die von den Analysten registrierten Effekte waren bei der Allianz eingetreten. De Wall: «Die Zahlen haben wir zwar statistisch nicht ausgewertet, gehen nach Erfahrungswerten aber davon aus, dass die Schäden bei Junglenkern mit einem Crash Recorder eine tiefere Frequenz aufweisen.» Ähnliches gelte für die Nutzer der Helpbox.
Längerfristig erwartet man bei der Allianz eine deutliche Veränderung bei Motorfahrzeugversicherungen. «Derzeit gehen schätzungsweise neun von zehn Unfällen auf menschliche Ursachen wie Unachtsamkeit, Ablenkung, Müdigkeit, Überforderung usw. zurück», so de Wall. «Zwar wird es auch bei computergesteuerten Fahrzeugen Unfälle geben (durch Systemfehler etc.), die Anzahl wird aber deutlich zurückgehen.» Derzeit seien nur rund zwei Drittel aller Schäden Kollisionsschäden. Der Rest verteilte sich auf Elementarschäden, Diebstahl, Wild und Glas. «Insgesamt gehen wir davon aus, dass nicht nur die Schadenfrequenz, sondern auch der Schadenaufwand zurückgehen wird, obwohl die Reparaturkosten im Schadenfall aufgrund der verbauten Technik eher steigen werden», erwartet de Wall. Somit sei es wahrscheinlich, dass die MF-Prämien künftig – wenn die Fahrzeuge sich vermehrt im teilautonomen bzw. autonomen Modus befinden – sinken werden. «In welchem Ausmass, darüber kann derzeit nur spekuliert werden.»
Zurich rechnet mit grossen Veränderungen
Zurich, ein weiterer grosser Motorfahrzeugversicherer in der Schweiz, bietet hierzulande gar keine Black- Box-Technologie an. «Künftig werden die Motorfahrzeugprämien von neuen Parametern beeinflusst», erklärt Kay Schubert, Mediensprecher von Zurich (Schweiz). Die technische Entwicklung der Fahrzeuge verhindert etwa aktiv Unfälle und mindert so die Schadenhäufigkeit. Auch auf Gesetzesebene sind in Europa Veränderungen angekündigt. So plant die EU, ab 2022 Sicherheitssysteme bei Neuwagen vorzuschreiben. Dazu gehören Kollisionsvermeidungssysteme wie Spurhalteassistent, intelligente Geschwindigkeitsunterstützung, Notbremshilfen oder ein schnell blinkendes Notfallbremslicht. «Da in der Regel keine Fahrzeuge extra für den Schweizer Markt produziert werden, dürften sich die Assistenzsysteme auch in der Schweiz stark ausbreiten», erwartet Schubert.
Auch beim Risikopool rechnet man mit Veränderungen. «Die Risiken werden sich verändern. Teurere Reparaturen der neuen technischen Elemente sowie die Zunahme der medizinischen Kosten können die durchschnittlichen Schadenkosten erhöhen», meint Kay Schubert. Gleichzeitig sei auch davon auszugehen, dass neue Risiken wie zum Beispiel Softwarefehler oder Cyberrisiken aufkommen. «Zurich Schweiz geht davon aus, dass Kunden in Zukunft dem internationalen Trend zu dynamischen und individuellen Versicherungsmodellen mit variablen Prämien über die Zeit folgen werden», hält der Mediensprecher fest.
Axa setzt auf Mobilität der Zukunft
Axa hat laut eigenen Angaben zwar 42 000 Kunden in der Schweiz, die mit Black Boxes fahren. Die Nachfrage sei stabil – besonders bei Junglenkern. Aber sie wachse nicht mehr. Als grösster Anbieter in der Schweiz setze man vermehrt auf das Thema «Mobilität der Zukunft» und stecke auch einige Ressourcen in eine eigene Unfall- und Präventionsforschung. «Eine optimale Telematik- Lösung für Kunden ist der Crash Recorder», erklärt Olivia Guler, zuständige Axa-Sprecherin. Dieser ermögliche Kunden, im Falle eines Unfalls ihre Unschuld zu beweisen. «Eine Studie der Axa belegt, dass der Schadenaufwand von Kunden bis 25 Jahren mit Crash Recorder rund 15 Prozent tiefer ist als derjenige ihrer Altersgenossen ohne Crash Recorder», so Guler. «Mit dieser Massnahme kann die Axa sogar positiv auf die Verkehrssicherheit der Schweiz wirken.»
Auch bei Axa erwartet man längerfristig einige Veränderungen im MF-Bereich. «Wir gehen davon aus, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis sich die heutige Autoversicherung grundlegend verändert», so Olivia Guler. «Wir sind überzeugt, dass es in Zukunft entscheidend sein wird, sich mit den richtigen Partnern zusammenzutun, die komplementär zum eigenen Angebot sind, um die Kundenbedürfnisse besser zu adressieren.» So arbeitet die Axa beispielsweise mit Tamedia zusammen, um gemeinsam neue Angebote für den Schweizer Fahrzeugmarkt auszuarbeiten. Axa und Tamedia haben sich auf eine langjährige Partnerschaft verständigt, die neben Angeboten im Bereich Gebrauchtwagen auch weitere Dienstleistungen im Mobilitätsbereich beinhalten soll.
Ein weiteres Zukunftsthema ist das Car-Sharing. «In den nächsten drei bis fünf Jahren rechnen wir nicht damit, dass Car-Sharing zwischen ‹fremden› Kunden deutlich zunimmt», meint Guler. «Wir sehen jedoch ein grosses Potenzial in neuen Mobilitätsmodellen, bei denen das Fahrzeug gemietet und nicht besessen wird oder die eigene Mobilität noch komfortabler unter Einbezug unterschiedlicher Mobilitätsdienstleister (Fahrzeuge, öffentliche Verkehrsmittel wie Bus oder Zug etc.) zusammengestellt wird.»
Neue Systeme, neue Risiken
Die für Versicherungen massgebliche Frage wird sein, wie sich Car-Sharing in Zukunft auf die Prämien auswirken wird. «Auf der einen Seite ist davon auszugehen, dass weniger Fahrzeuge im Verkehr anzutreffen sind und sich das Prämienvolumen entsprechend verringert», argumentiert Axa-Sprecherin Guler. «Auf der anderen Seite verändert sich durch die höhere Nutzung der Fahrzeuge das Risikoprofil (höhere Schadenfrequenz), so dass im Underwriting neue Ansätze geprüft werden müssen.» Versicherungsseitig stelle sich zudem die Frage, ob bzw. inwiefern künftig ganze Communities versichert werden können und eventuell vermehrt Flottenlösungen zum Zug kommen.
Und während verbesserte Fahrassistenzsysteme und technologische Neuerungen zu einer Reduktion der Unfallzahlen beitragen können, entstehen zudem neue Risiken, die aus heutiger Sicht noch nicht beziffert werden können, wie zum Beispiel das Zusammenspiel von selbstfahrenden Autos mit anderen Verkehrsteilnehmern, fehlerhafte Software oder Cyberrisiken wie beispielsweise Hackerangriffe. So oder so: MF wird ein Thema für Versicherungen bleiben. «Denn einige Risiken in der Motorfahrzeugversicherung werden unverändert bestehen bleiben, wie zum Beispiel Glasschäden oder Naturereignisse wie beispielsweise Hagel», weiss Olivia Guler.