Dass die Jobs von Kassenangestellten und Fliessbandarbeitern durch die Automatisierung unmittelbar gefährdet sind, ist in jeder grösseren Coop- oder Migros-Filiale sowie an den modernen Fertigungsstrassen für dauerhafte Konsumgüter zu beobachten. Dass Juristen und Compliance-Fachleute gefährdete Jobs haben, zeichnet sich erst langsam ab. In einigen Jahren jedenfalls könnten neue Technologien einfache Fälle handhaben und vor allem die Einhaltung von Richtlinien und Vorschriften prüfen. Bisher war das eine Unterdomäne der Prozessoptimierung, beispielsweise in CRM- oder Dokumenten-Management-Systeme integriert: Dort «wachen» seit etlichen Jahren einfache Expertensysteme auf der Basis von unzähligen «wenn-dass-Anweisungen» darüber, dass Regeln eingehalten und nur unter ganz bestimmten Umständen umgangen werden konnten.
Jetzt verändert sich das Feld: Die Regulierung ist immer komplexer geworden, sie betrifft unzählige Stellen und Abläufe bei Banken - und gleichzeitig ist die «Intelligenz» der Computer deutlich verbessert worden. Die neuen Systeme, wie sie auch das Schweizer Start-up Apiax entwickelt, sollen flexibler auf die menschlichen und automatisierten Prozesse «aufpassen». Und gleichzeitig soll die Intelligenz für ständige automatische Anpassungen innerhalb einer Bank sorgen, wenn sich externe Regelungen ändern. Ein Beispiel ist «Ross», ein «digitaler Anwalt» auf der Basis des Watson-Computersystems von IBM. Dieser bereitet in den USA bei einigen grossen Anwaltskanzleien einfache Fälle vor, indem sehr schnell Präzedenzfälle eruiert und Einschätzungen aktueller Fälle vorgenommen werden.
Maschine statt Juristen
Der neue Bereich, der sich aus der Fintech-Szene ausdifferenziert hat, ist die Regulierungstechnologie, kurz Regtech. Regtech ist derzeit im Bankenumfeld trendy, aber es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis solche Geschäftsmodelle auch in weiteren hoch regulierten Branchen wie Healthcare auftauchen.
Es gibt einige Überlappungen zwischen Regtech und Legaltech: Diese Legal-Technologien decken das ganze Spektrum für die grundsätzliche Handhabung von Rechtsfällen und Verträgen ab. Weder Regtech noch Legaltech sind grundsätzlich neu. Innovativ ist jetzt aber die Übernahme von Fintech-Ansätzen, die zur Vereinfachung von Prozessen, User-Führung und der Nutzung modernster weiterer Technologien (automatische Erkennung von Auffälligkeiten, selbst lernende Systeme für die Entdeckung neuer Problemmuster usw.) führen. «Ross» beispielsweise zeichnet sich dadurch aus, dass das System auch in natürlicher Sprache formulierte Fragen verarbeiten kann, ähnlich wie die Alexa-Systeme von Amazon.com oder Siri auf den iPhones von Apple.
«Legaltech und Regtech haben viele Schnittstellen», erklärt Antoine Verdon, Co-Veranstalter der ersten grösseren Legal- und Fintech-Veranstaltung, die im Oktober 2017 in Zürich stattgefunden hatte, auf Anfrage. Der aktuelle Fokus von Legaltech liegt vor allem in der Digitalisierung von juristischen Produkten, die eine Vereinfachung der Interaktionen zwischen Anwälten und Kunden und Effizienzgewinne für Kanzleien und juristische Abteilungen bringen sollen. «Die bestehenden Automatisierungsprodukte machen die heutigen Prozesse effizienter», so Verdon. «Legaltech macht ganz neue Geschäftsmodelle möglich.»
Die Digitalisierung macht sich hier bei der automatischen Dokumentenerstellung sowie bei e-Discovery, bei der auf der Basis von künstlicher Intelligenz grosse Bestände von Dokumenten nach bestimmten Kriterien – wie beispielsweise die bereits erwähnten Präzedenzfälle – durchsucht werden, bemerkbar. JP Morgan in den USA nutzt ein solches System in der eigenen Einkaufsabteilung. Es prüft die Verträge und spart laut Angaben der Bank jährlich 360 000 Arbeitsstunden von Fachkräften ein.
Partnerschaften als Kooperationsform
Die erste Generation der Regtech-Firmen zielte auf die Verbesserung von Prozessen und die Automatisierung der vielen rechtlichen Fälle, die sich standardisiert erledigen lassen. Laut einer Einschätzung von Deloitte, einem Beratungshaus, handelt es sich dabei meistens um isolierte Einzellösungen, die längst nicht das Potenzial der grossen End-to-End-Lösungen ausschöpfen. Selbst standardisierte Regtech- und Legaltech-Lösungen müssen in der Regel stark an die einzelnen Banken angepasst werden.
Diskussionsbedarf gibt es bei einer Zusammenarbeit mit Banken auch immer aufgrund der typischen Regtech-Verarbeitungsmodelle: Diese basieren oft auf cloudbasierten Software-als-Service-Modellen. Hochsensible Daten, welche die Regtech-Software verarbeitet, könnten damit in Clouds landen, wo sie gar nicht hingehören. Schliesslich scheitern viele Regtech- und Legaltech-Konzepte an den strikten Procurement-Kaufprozessen der Banken. Gemäss Analysten haben sich Partnerschaften oder umfassende Kooperationen als geeignete Vorlagen für die Handhabung der Beziehung zu Banken bewährt.
Die spanische Grossbank Santander unterhält ein spezialisiertes Regtech-Labor, in dem neue Anwendungen und Lösungen evaluiert werden. Weitere Banken, die Fintech-Labors unterhalten, beschäftigen sich zwangsläufig zumindest teilweise auch mit Regtech-Themen. Deloitte kommt in ihrer ständig aktualisierten Übersicht auf über 150 Regtech-Firmen. Knapp ein Drittel dieser jungen Firmen ist im Bereich Compliance aktiv, 40 beschäftigen sich mit (digitalem) Identity-Management, knapp 30 mit Risk Management und je 20 mit regulativem Reporting bzw. Transaktions-Monitoring.
Schiedsrichter kommt auf Knopfdruck
Kreativ zeigten sich einige Teams, die an einem Hack-- athon im Rahmen der Legaltech-Veranstaltung in Zürich mitmachten. Bei solchen mit Geldprämien verbundenen Hackathons geht es darum, dass kleine Teams eine Idee bis zu einer Skizze, einem einfachen Modell oder einem Mockup weiterentwickeln. Aus Sicht von Banken waren dabei zwei Gruppen interessant: Das «Team Solvee» stellte eine Lösung für ein faires Aufteilen eines Erbgangs vor. Ausgangsbasis ist das Testament. Danach könnten die Erben die zur Weitervererbung vorgesehenen Gegenstände jeweils auf einem kleinen, eigens geschaffenen Marktplatz tauschen oder weitergeben.
Ein «Team Legal Oracle» sieht eine grosse Zukunft für eine technologische Brücke zwischen bisherigen, konventionell vereinbarten Verträgen und Verträgen, die als «Smart Contracts» auf Blockchain-Technologie gespeichert sind. Dazu gehört ein ausführliches Prozedere für das wechselseitige Editieren von Verträgen zwischen den beteiligten Parteien und einer Art «Schiedsrichter-Knopf». Der kann dann gedrückt bzw. aktiviert werden, wenn sich die Beteiligten nicht über die Vertragsdetails einigen könnten. Solche neuen Geschäftsmodelle könnten dereinst die bestehenden Dienstleistungen von Banken ergänzen und digitalisieren, wo sie schon heute im Private Banking angeboten werden.
Menschen braucht es weiterhin
Laut Verdon gibt es für Banken zahlreiche weitere mögliche Anwendungsfälle wie die Automatisierung von Fondseröffnungen, ein besseres Management der externen Aufträge an Anwaltskanzleien, die Handhabung von digitalen Signaturen sowie die Dispute Resolution (die standardisierte Beilegung einer einfachen rechtlichen Auseinandersetzung). Tools gibt es bereits unter ejust.ch in der Schweiz. In Frankreich sind diese bei einigen grossen Firmen schon im Einsatz.
Längerfristig werden laut Verdon auch die Digitalisierung von Firmengründungen und die Registrierung der Aktien auf Blockchain, wie es das Zürcher C-Share-Projekt vorantreibt, grosse bankenrelevante Regtech-Anwendungen darstellen. Dabei erwartet Verdon auch eine Ausdifferenzierung in vier weitere Richtungen: Legaltech für Kanzleien und Inhouse Counsels (B2B), Legaltech für Endkunden (B2C), White-Label-Lösungen für Kanzleien (B2B2C) und vollständig dezentrale Produkte wie zum Beispiel Firmengründungen, die auf digitalen Verträgen ohne menschliches Management basieren.