Jeder Krieg ist auch ein Krieg von Technologie. Es gewinnt den Krieg zumeist, wer überlegene Innovationen ins Feld führt. War der Zweite Weltkrieg ein Krieg der Panzer, der amphibischen Landungsfahrzeuge und zuletzt der Atombombe, war der Vietnamkrieg ein Krieg der Hubschrauber, des Bombenteppichs und des Napalms, so ist der Ukraine-Krieg ein Krieg der Drohnen. Nach dem Ukraine-Krieg wird vermutlich kein künftiger Krieg mehr ohne Drohnen zu schlagen sein. Drohnen verschieben die Gewichte der Geopolitik. Deswegen lohnt sich ein genauerer Blick auf diese Technologie. Fünf wichtige Beobachtungen kann man derzeit machen.
Erstens: Die Ukraine stampft in rasender Geschwindigkeit eine eigene Drohnenindustrie aus dem Boden und wird nach dem Krieg eines der führenden Länder in dieser Technologie sein. Nach seriösen Schätzungen wird die Ukraine im laufenden Jahr zwischen rund 200’000 bis zu einer Million Drohnen produzieren. Manche Quellen sprechen sogar davon, dass dies schon bald die Monatsproduktion werden könnte. Über das ganze Land verteilt, gut versteckt und dezentral organisiert, zieht die Ukraine eine widerstandsfähige Branche hoch, die im weiteren Kriegsverlauf entscheidend sein könnte.
Der Gastautor
Christoph Keese ist Verwaltungsratspräsident von World.Minds sowie Unternehmer aus Berlin. Der Autor von sechs Büchern schreibt monatlich in der «Handelszeitung».
Zweitens: Chinas Dominanz in der Drohnenindustrie ist inzwischen so gross wie im Bereich Solarenergie oder Batterien. Bei zivilen Drohnen hält der Hersteller DJI aus Shenzhen derzeit einen Marktanteil von rund 70 Prozent. Das ist an sich schon viel. Geradezu erschreckend fallen die Statistiken aber aus, wenn man auf die restlichen 30 Prozent des Markts schaut. Die gehören zwar nicht DJI, doch auch fast alle DJI-Wettbewerber beziehen nahezu alle Komponenten von Elektromotoren über Chips und Kameras bis hin zu Software und Batterien ebenfalls aus China. Ein inzwischen fast vollständiges Monopol. Und China beliefert mehr oder weniger jeden, der danach fragt. Zivile Drohnen liefern die Technologie für militärische Drohnen. Deswegen muss sich in Zukunft jede kriegführende Macht der Welt mit China gut stellen, wenn sie eine Chance auf den Sieg haben will.
Drittens: Militärische Drohnen werden schon bald vollständig autonom fliegen und ihr Ziel ganz allein finden können. Autonom bedeutet: Ohne jeden Funkkontakt zur Aussenwelt, also ohne GPS-Signal oder Fernsteuerung. Die Chips dieser Drohnen haben massenhaft Luftbilder gespeichert und lesen mit Kameras die Landschaft aus, über die sie fliegen. Mit dem Stören von Funkfrequenzen («Jamming») hält man sie dann nicht mehr auf.
Viertens: Derzeit erreichen Drohnen im Ukraine-Krieg eine operative Reichweite von rund zwanzig Kilometern. Innerhalb dieser Zone zerstören sie mit Sprengladungen jeden Panzer, jeden Lastwagen oder jedes Geschütz entlang ihres Weges. Daher liegen zwischen den Fronten vielerorts fast 20 Kilometer Niemandsland («Grey Zone»), in die sich keine Seite mehr hineintraut. Mit steigender Leistungsfähigkeit der Batterien und neuen Antrieben wie der am Wochenende von Präsident Selenski bestätigten Jet-Drohne könnten Reichweiten von 600 bis 1200 Kilometern erreicht werden. Das bedeutet: Moskau kann von der Ukraine vielleicht schon bald autonom, hochpräzise und unbemannt angegriffen werden – und umgekehrt natürlich auch. Eine Art der Kriegsführung, die vor drei Jahren noch als Science-Fiction galt.
Fünftens: Drohnen operieren zunehmend in Schwärmen, und diese Schwärme werden intelligent und autonom. Sie fächern sich auf, wenn sie angegriffen werden, und rücken näher zusammen, wenn sie sich unbeobachtet glauben. Sie schliessen Lücken, wenn einzelne Drohnen abgeschossen werden, und fliegen ihren Zielen so lange hinterher, bis sie sie treffen, selbst dann, wenn die Soldaten und Panzer vor ihnen flüchten.
Der Innovationsschub in diesem traurigen, blutigen und menschenverachtenden Krieg stellt vieles in den Schatten, was die Welt bisher gesehen hat. Es ist ein Rennen um Innovationen, das die Welt und die Beziehung der Staaten grundlegend verändert. Und wieder einmal heisst es: Wer nicht in China einkauft, bleibt künftig absolut chancenlos.