Wo sind die Leute speziell gut angezogen?
Tommy Hilfiger (TH): In Paris haben gerade die älteren Leute einen sophistizierten Stil. Bei den Jüngeren ist man eher international unterwegs – mit mehr Jeans, sportlich und leger. In Italien nimmt man Stilfragen sehr ernst, die Leute sind durchgestylt. Was meinst du, Daniel?
Daniel Grieder (DG): Die Unterschiede beim Stil sind minim, dem Durchschnittsauge fallen sie kaum auf. Aber die Veränderung in der Branche ist gross: Vor ein paar Jahren gab es unterschiedliche Kollektionen für die USA, Europa und Asien.
Ist das nicht die Umschreibung für Langeweile – überall dieselben Stile, Marken?
DG: Nein, es sind ja nicht alle gleich angezogen. Man zieht sich bequem an, aber zeigt mit eigener Note, wie man sich fühlt. Heute ist vieles erlaubt, es gibt keinen typischen Stil mehr auf einem Kontinent. Das gibt Raum für Kreativität. Heute schauen die Menschen Modemagazine an und lassen sich inspirieren, um sich individualistisch zu kleiden. Sogar einzelne Kleidungsstücke werden individualisiert.
Wie geht das?
DG: Im Tommy Shop haben wir einen digitalen Dressing Room eingeführt. Da kann man einen Pullover kaufen und ihn mit den eigenen Initialen oder Sticker versehen. Diese Möglichkeiten gab es früher nicht.
Früher galt die Regel: tiefpreisig oder dann Luxus. Dazwischen Ödland. Und trotzdem war und ist Tommy Hilfiger erfolgreich.
TH: Wir sind ein Premium-Brand oder eine Luxusmarke, die man sich leisten kann. Nicht mittendrin.
Unsere Theorie ist also falsch?
DG: Wir sind wunderbar positioniert, für uns stimmt die Theorie nicht. Denn wir sind seit Jahren im Aufwärtstrend. Was immer auf der Welt passiert, die Kundschaft weiss, dass sie bei uns das beste Preis-Leistungs-Verhältnis und erst noch ein Designerstück findet. Ich möchte nicht tiefpreisig sein oder Luxus pur anbieten. Bei einem Wirtschaftseinbruch leidet der Luxus am unmittelbarsten.
Die Leute wollen nachhaltiger leben, das heisst auch weniger kaufen?
DG: Es wird anderes konsumiert. Es wird gekauft, geteilt, gemietet. Wir denken in einem Kreismodell: Ein Kunde kann schon bald bei uns ein Kleidungsstück zurückbringen, das er schon mal bei uns gekauft hat. Wir werden es auffrischen oder rezyklieren und stellen es wieder zurück ins Gestell. Aber es stimmt: Der Kunde will nachhaltigere Produkte. Man will wissen, wie das Produkt entstanden ist, woher es stammt und woraus es besteht.
«Der Kunde will wissen, wie das Produkt entsteht, woher es stammt und woraus es besteht.»
Daniel Grieder, CEO Tommy Hilfiger
Wie kalkulieren Sie, wenn ich Ihnen meine alten Jeans zurückbringe, und Sie frischen Sie auf – und dann kauf ich sie wieder?
DG: Dafür ist es zu früh. Es gibt Firmen, die beim Auffrischen grosses Know-how haben. Eine Jeans wird zerlegt und wieder zusammengesetzt. Das ermöglicht die Individualisierung eines Kleidungstückes. Jemand will vielleicht die Taschen einer Jeans an einem neuen Ort aufsetzen lassen, will die Beine in Stretch oder einen dunklen Streifen am Hosenbein. Das alles ist heute machbar, dank Digitalisierung.
Tommy Hilfiger gilt als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Wie viele Tage brauchte Daniel Grieder, um Sie von der Digitalisierung der Firma zu überzeugen?
TH: Vielleicht eine Minute. Daniel hatte die Idee einer digitalen Modemarke und fragte mich, was ich davon halte. Meine Antwort: I love it. Ich wusste, wir würden damit vor der Konkurrenz sein. Das passt zu mir: Ich versuche, mit Kreativität vorne weg zu sein – dank innovativen Produkten und eigenem Stil. Daniel hat die Branche analysiert und Schlüsse gezogen. Nur in einem Punkt irrte ich mich: Ich glaubte, die Umstellung auf eine technologisch getriebene Modefirma würde zehn Jahre benötigen, wir schafften es in zwei Jahren.
Wie ging das?
TH: Daniel setzte einen digitalen Showroom auf und begann mit dem Bau der Zukunftsläden. Das ist es, was ich an Daniel liebe: Er ist spontan, hat grosse Ideen und setzt blitzschnell um. Auch andere Firmen haben Ideen, aber da wird Marktforschung betrieben, anschliessend gehts in einen Ausschuss und schliesslich in die Geschäftsleitung und womöglich noch in den Verwaltungsrat. Das dauert Jahre. Daniel versteht blitzschnell, wohin die Reise geht, und setzt es um.
DG: Wir beide lieben es, disruptiv zu denken. Manchmal haben wir verrückte Ideen. Wir sind überzeugt: Was heute gut funktioniert, kann morgen überholt sein.
Tommy Hilfiger gehört zur PVH-Gruppe, die zehn Modemarken führt, neben Tommy Hilfiger auch Calvin Klein. Hat PVH überhaupt etwas zu sagen?
TH: Wenn man erfolgreich ist, so wie wir, sagt der Verwaltungsrat: Treibt es weiter, bleibt erfolgreich. Der Verwaltungsrat hat grosses Vertrauen in Daniel, als Innovator, als Leader. Er wird ermuntert, seine Pläne umzusetzen.
Es gab auch schlechte Zeiten bei Hilfiger.
TH: Klar, hat man anfänglich die Kosten der Pläne genau studiert, aber heute hat Daniel grünes Licht. Weil wir von ihm überzeugt sind.
Daniel Grieder – ein Klumpenrisiko?
TH: Daniel führt die Firma nicht alleine. Klar, er hat die Ideen und die Kraft, diese umzusetzen, aber er hat ein Team, das ihn unterstützt. Es setzt um, was er vorgibt. Aber nicht mit der Brechstange. Er hat ein Gespür für Leute. Er kam mit dem digitalen Showroom und nahm sich viel Zeit, um seine Leute zu überzeugen.
DG: Diese Überzeugungsarbeit hat vielleicht etwas mehr Zeit beansprucht, aber diese wollte ich mir nehmen.
TH: Daniel war der Messias, der seine Botschaft überall in der Firma verkündete. Am Schluss zogen alle mit.
Keine Angst, dass Sie als Designer durch Artificial Intelligence ersetzt werden?
TH: Nein, ein Computer kann nicht die Trends bestimmen. Es braucht kreative Menschen, die vorausspüren. Das gilt auch fürs Marketing, das immer wichtiger wird. Klar lässt sich mit Digitalisierung vieles machen, aber längst nicht alles.
Ein Beispiel?
TH: Unsere Branche hat jeweils die neuen Produkte an den Fashion Shows im Februar in Paris oder Mailand gezeigt und im August oder September kamen sie in die Läden. Das haben wir geändert: Heute haben wir die Produkte bereits im Februar in den Läden. Für diesen Entscheid braucht es vertieftes Verständnis der Branche und der Prozesse. Und die Einsicht, dass die Konsumenten kaufen wollen, wenn die Produkte auf dem Laufsteg gezeigt werden – nicht ein halbes Jahr später.
Und es braucht weiterhin Designer wie Sie?
TH: Ja. Aber Daten werden wichtiger. Sie können dem Designer helfen, bessere Entscheide zu treffen. Er kann noch stärker auf die Zielgruppe eingehen.
Hat nicht gerade die Modeindustrie die Digitalisierung verschlafen?
DG: Alle Industrien sind im Umbruch. Die Autoindustrie denkt nicht mehr von A nach B, sondern rund um Mobilität, auch die Modeindustrie erfindet sich neu. Früher dachte man in Quadratmeterumsatz. Heute geht es um neue Geschäftsmodelle, um den Einbezug der Konsumenten, um neue Einkaufserlebnisse, um das Mieten von Anzügen.
Sie schauen sich auch in der Unterhaltungsbranche um, wonach?
DG: Wir entwickeln mit Netflix unser eigenes TV-Programm. Wir sind an einer Doku-Serie über die Geschichte der Firma. Die Influencerin Zendaya arbeitet für uns, wir zeigen, was sie macht, wie sie funktioniert. Sie kommt zu uns ins Hauptquartier in Amsterdam und nach New York. So wird die Marke noch erlebbarer.
«Ich hatte nie das Ziel, dass meine Firma meinen Namen trägt. Aber ich hatte keine Wahl.»
Tommy Hilfiger, Firmengründer und Chefdesigner
Daniel Grieder ist der Star im Film – oder doch Tommy Hilfiger?
DG: Nein, wir arbeiten mit unseren Botschaftern, mit Zendaya und Lewis Hamilton. Wir sind nur die Nebendarsteller.
Warum nicht mit Roger Federer?
TH: Wir lieben Roger, aber er hat schon ein paar Verträge, auch mit Nike oder Uniqlo. Wir haben uns für Zendaya entschieden und Lewis Hamilton. Die beiden passen bestens zu uns.
Hamilton war mit Hugo Boss verbandelt.
TH: Lewis hat in der Vergangenheit immer wieder Tommy Hilfiger getragen. Irgendwann hat er uns angesprochen. Seither ist er bei uns unter Vertrag.
Sie gründeten die Firma 1985. Heute macht sie 7,5 Milliarden Dollar Umsatz. Wäre diese Entwicklung heute möglich?
TH: Hängt vom Produkt ab. Schauen Sie sich Tech, Wellness oder CBD-Hanf an, da sind in kurzer Zeit wertvolle Firmen entstanden. Es ist also möglich. Wir starteten 1985, drei Jahre später gabs Probleme.
Im Klartext: Sie waren pleite.
TH: Mein Finanzpartner war pleite. Also ging ich an die Wall Street und klopfte bei Banken an. Nur: Niemand wollte mir Kredit geben. Dann traf ich einen Chinesen, der Fabriken besass. Er unterstützte mich und wurde mein Partner. Er stellte mir eine Bedingung: Ich mach mit, aber du musst mit deinem Namen – Tommy Hilfiger – hinstehen.
Es gibt Schlimmeres.
TH: Für mich nicht (lacht). Ich hatte nie das Ziel, meine Firma müsse meinen Namen tragen. Aber ich hatte keine Wahl. Später brachten wir sie an die Börse und siehe da: Es war ein Erfolg. Dann mussten wir Rückschläge hinnehmen, verloren Marktanteile. Dann kam Daniel mit seinem Team und setzte seine europäische Strategie global um. Es funktioniert.
Was haben Sie aus der Erfahrung gelernt?
TH: Nie aufhören, zu lernen. Wissen, dass man Fehler macht. Den Teufel tun, damit man denselben Fehler nicht zweimal macht. Mein Ratschlag an jüngere Leute: Hast du eine Idee, glaub an sie. Halte daran fest.
Und mit einem Geschäftsmann aus China zusammenspannen?
TH: Mit jemandem, der smarter ist als man selber (lacht).