Die Besucher, die vor wenigen Tagen vor den Türen der HeiQ standen - einem KMU mit gerade mal 23 Mitarbeitenden -, waren nicht alltäglich: Es war eine Delegation aus US-Diplomaten und Offizieren der Army. Die Amerikaner interessierten sich für eine Waffe der besonderen Art. Diese kann gegen das Öl eingesetzt werden, das seit der Explosion der BP-Bohrinsel im Golf von Mexiko die Küsten verschmutzt.
Kein Wunder, aber wirksam
«Als wir von der Katastrophe hörten, machten wir uns sofort an die Arbeit», sagt HeiQ-CEO Carlo Centonze. Der Mann an der Spitze des Hightech-Unternehmens, eines aus einem Forschungsprojekt heraus entstandenen ETH-Spin-off, ist sensibilisiert auf ökologische Probleme. So hat er unter anderem die Non-Profit-Stiftung Myclimate mitgegründet, die heute zu den weltweit führenden Anbietern von freiwilligen CO2-Kompensationsleistungen gehört. Es dürfte ihm, der sich in der Rekrutenschule zum Militärpiloten ausbilden liess, auch nicht schwer gefallen sein, den richtigen Ton zu finden, um mit den US-Militärs erfolgreich zu verhandeln.
Bevor er allerdings die Amerikaner in seinem Büro hatte, musste er alle Hebel in Bewegung setzen. «Wir klopften beim BP-Konzern direkt an, kontaktierten die US-Botschaft, setzten den WWF als Mittler ein und verschafften uns über das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beim amerikanischen Aussenministerium Gehör», sagt Centonze.
In den eigenen Labors leisteten die Forscher und Entwickler ganze Arbeit. Innerhalb eines Monats entwickelten sie einen Wirkstoff, der Öl selektiv absorbiert und Wasser abstösst. Zusammen mit der deutschen TWE-Gruppe, einem der weltweit grössten Vliesstoffhersteller, konzipierte HeiQ die sogenannte «Oilguard-Technologie». Diese setzt auf Vliesteppiche, die mit dem Wirkstoff getränkt sind und ausgelaufenes Öl wieder aufzusaugen vermögen. «Das ist zwar keine Wunderwaffe, aber ein funktionierendes Mittel, um die Küsten zu schützen und bereits verschmutzte Strände zu reinigen», betont Centonze.
Nun sollen in den nächsten zwei Wochen die jeweils 5 m breiten Vliesteppiche vor Louisiana ausgerollt werden. Der Firmenchef spricht vorerst von einem gross angelegten «Feldversuch». Gleichzeitig fahren HeiQ und TWE ihre Kapazitäten hoch. Bis zum 10. Juli sollen sie in der Lage sein, täglich Vliesteppiche von 50 km Länge in die USA liefern zu können. Das haben sie jedenfalls den amerikanischen Behörden zugesichert. «Das Projekt der Ölabsorbierung ist für uns eine riesige Herausforderung, aber auch eine Chance, im Katastrophenschutz ein zusätzliches Geschäftsfeld zu eröffnen», sagt Centonze, der in den vergangenen Tagen nur noch wenig Zeit zum Schlafen fand.
Ein riskanter Wachstumssprung
Dass HeiQ nun so schnell reagieren konnte, basiert auf längeren Vorleistungen. Die 2005 gegründete Hightech-Firma, in die ZKB und Core Capital Partners investiert sind und die geschätzte 3 Mio Fr. umsetzt, ist nämlich auf Technologien zur Funktionalisierung von Textilien spezialisiert. «Das Wissen, wie man Öl abweisen und absorbieren kann, hatten wir. Wir mussten es im Wesentlichen nur auf die neuen Anforderungen anpassen», verrät der Chef.
Das beim Start seinerzeit mit Lorbeeren und Jungunternehmerpreisen überhäufte KMU hat zwei Produkte äusserst erfolgreich auf den Markt gebracht: «Pure» ist ein antibakterieller Geruchshemmer, der in Sportbekleidung und in der Spitalhygiene eingesetzt wird. «Barrier» vermag Textilien besonders effizient gegen Wasser, Blut, Fette und eben auch Öl zu schützen. Zu den Kunden gehören unter anderem Hersteller von Outdoor-Bekleidung und von Sportunterwäsche wie Mammut oder Odlo sowie der Medizinaltechnikonzern B. Braun. Auch die Jacken der Segler-Crew von Alinghi zählen auf HeiQ-Technologie. In der Pipeline hat das Unternehmen zudem ein weiteres Produkt, und zwar zur Thermoregulierung von Stoffen.
Neun Personen sind in Bad Zurzach in der leistungsstarken Forschung und Entwicklung beschäftigt: Die weitgehend automatisierten Produktionsanlagen hingegen werden von lediglich vier Männern gesteuert. Allerdings wird HeiQ jetzt kaum darum herumkommen, auf Dreischichtbetrieb umzustellen. Mit dem Grossprojekt, das jetzt rund um den Golf von Mexiko angeschoben wird, stösst das Schweizer KMU an seine Belastungsgrenzen. «Wenn sich die Dinge so entwickeln, wie sie sich im Moment abzeichnen, werden wir kräftig investieren müssen», so Centonze.
Statt dem in diesem Jahr geplanten Breakeven heisst es nun also: Geld nachschieben für einen grossen Schritt, der in anderen Fällen auch schon in der Wachstumsfalle endete. Der Chef ist sich der Risiken bewusst, bleibt aber optimistisch. «Wir machen nun einen grossen Wachstumssprung, mit allen Schwierigkeiten und Chancen», sagt Centonze. Doch er lässt durchblicken, wohin das führen soll: «Das Ziel ist es, in drei bis fünf Jahren an die Börse zu gehen.»