Hier unten haben wir nicht viele Gäste», sagt Karsten Strobør, und seine Stimme hallt von den Betonwänden wider, die um ihn herum fast 400 Meter in die Höhe ragen. Immerhin, der norwegische König Harald war schon mal da, und pro Jahr sind es etwa 250 Besucher, die es hierher schaffen. Es ist so fernab vom Schuss, dass der Ort wirklich nicht als Touristenattraktion taugt: 303 Meter unter dem Meeresgrund, 70 Kilometer vor der norwegischen Küste, im Fuss von Troll A. Troll A ist eine 650 000 Tonnen schwere, 472 Meter hohe Gasförderplattform. Als sie 1995 von Stavanger ins Gasfeld Troll vor der norwegischen Küste geschleppt wurde, war sie die grösste jemals von Menschen bewegte Struktur. Heute deckt Troll ein Zehntel des europäischen Erdgasbedarfs ab.

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ABB verdient daran mit. Denn neben den Banken und Rohstoffhändlern ist ABB dasjenige Schweizer Unternehmen, das am dicksten im Erdöl- und Erdgasgeschäft drin ist. Drei Milliarden Dollar oder rund 14 Prozent vom Umsatz erzielt ABB in der Petrochemie; rund 10 000 Mitarbeiter leben davon. Für Troll A hat ABB die Steuerelektronik in der Kommandozentrale geliefert, von der aus Karsten Strobør über seine sieben Milliarden Franken teure Plattform wacht. ABB-Vorzeigeprojekt auf Troll A freilich ist eine Konverterstation im Wert von 150 Millionen. Diese ermöglicht es, zwei auf der Plattform installierte Förderkompressoren mit Hochspannungsstrom vom Festland zu versorgen. Ein Unterwasserkabel, ebenfalls von ABB, liefert dazu 80 Megawatt Strom, was dem ständigen Bedarf einer Stadt mit 60 000 Einwohnern entspricht. Die konventionelle Lösung, wie sie auf anderen Plattformen angewandt wird, bestünde darin, die benötigte Strommenge mittels Gasturbine zu erzeugen. Die Festlandenergie-Lösung ist nicht nur umweltfreundlich – sie erspart der norwegischen Küstenregion den CO2-Ausstoss von umgerechnet 150 000 Autos –, sondern für Bohrinselbetreiber Statoil auch energieeffizienter.

Mit einem Anteil von 37 Prozent ist ABB Weltmarktführer im Bereich Automationstechnik für die Öl- und Gasindustrie. Ursprünglich war der Konzern mit Sitz in Oerlikon sogar noch stärker im petrochemischen Bereich engagiert. Doch den ganzen Bereich Upstream, also die Explorations- und Fördertechnik mit einem Umsatz von 1,7 Milliarden Dollar und 7500 Mitarbeitern, hat man Ende 2003 verkauft. Da ABB damals tief in der Krise steckte und dringend Geld brauchte, erzielte der damalige Konzernchef Jürgen Dormann nur den sehr tiefen Preis von 925 Millionen Dollar. Das wird bei Lummus nicht passieren. Diese ABB-Tochter setzt mit Produkten und vor allem Dienstleistungen für den Bereich Downstream (Raffinierung und Veredelung von Gas und Öl) knapp 1,1 Milliarden Dollar um und stellt damit das Gros des ABB-Petrogeschäfts dar. Zwar wollte ABB in ihren Krisenjahren auch Lummus loswerden, weil der Bereich hochdefizitär war: 2003 verbuchte Lummus einen Betriebsverlust von 296 Millionen Franken. Einen Käufer freilich fand man nicht. Grund waren nicht die miserablen Zahlen, sondern die hängigen Asbestklagen gegen Lummus. Dies ist heute – Ironie des Schicksals – das Glück von ABB. Inzwischen nämlich sind die Verlustlöcher gestopft, Lummus wird heuer erstmals wieder schwarze Zahlen ausweisen.

Hinter dem Turnaround steht Samhir Brikho, bisheriger Lummus-Chef und designiertes ABB-Konzernleitungsmitglied. Der 47-jährige libanesisch-schwedische Doppelbürger richtete den Bereich neu aus: Statt Umsatz um jeden Preis zu bolzen, nahm Lummus in den letzten Jahren nur noch Projekte an, die mit einem niedrigen Risiko behaftet und entsprechend profitabel sind. In den nächsten Jahren dürfte Lummus noch einmal stark wachsen. Denn mit dem deutlich gestiegenen Rohölpreis lohnt es sich für die Petroindustrie, ihre über die letzten zwanzig Jahre kultivierte Investitionszurückhaltung aufzugeben. «In den letzten zwei Jahren ist die weltweite Investitionssumme der Erdölindustrie allein im Downstreambereich von 30 auf zirka 50 Milliarden Dollar gestiegen», sagt Brikho. Bis 2030 werden knapp 230 Milliarden in die globale Ölinfrastruktur investiert werden, schätzt die Internationale Energieagentur (IEA). Davon will sich Lummus einen Teil sichern. Kein Wunder, wird die Tochtergesellschaft, wie es bei ABB offiziell heisst, inzwischen auf einer «going concern»-Basis weitergeführt. Auf Deutsch: Vorerst bleibt der Bereich beim Konzern. «Lummus ist für ABB zwar nicht mehr strategisch, aber interessant», drückt es Brikho aus. MK