Als am 14. August 2003 in New York die Lichter ausgingen und einer der grössten Blackouts der Geschichte eintrat, brach eine Hochspannungsleitung nicht zusammen: Die Unterwasserkabelverbindung zwischen dem benachbarten US-Staat Connecticut und Long Island, gebaut mit der so genannten leichten Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnologie von ABB. Sie war gar nicht eingeschaltet «aufgrund von politischen Querelen», wie Kurt Hörhager, Geschäftsleiter von ABB Semiconductor im aargauischen Lenzburg, erzählt. Nach einigen Stunden im Dunkeln habe der Gouverneur quasi eigenmächtig die Unterwasserleitung hochgefahren. Und trug entscheidend dazu bei, dass diese Region rasch wieder mit Strom versorgt war, während es in New York noch dunkel blieb. «Mit der ABB-Halbleiter-Technologie könnte auch das Risiko eines Blackouts wie in Italien im September 2003 reduziert werden», sagt Hörhager.

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Schlüsselkomponenten dieser ABB-Technologie sind Leistungshalbleiter. Diese können aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit den Strom so schalten, dass praktisch jede beliebige Form des Energieflusses nachgebildet werden kann. Leistungsfähigkeit heisst: Ein Chip von einem Quadratzentimeter Grösse kann die Kraft eines Formel-1-Motors ein- und ausschalten. Er benötigt zum Schalten nur wenige Millionstelsekunden. Und er tut dies mit einer Zuverlässigkeit, die weniger als einen Fehler in rund 1000 Betriebsjahren auftreten lässt.

Bei Hochspannungsleitungen von bis zu 400000 Volt geht es aber um andere Grössenordnungen: In einer Umrichterstation, in der Wechselstrom in Gleichstrom gewandelt wird, kommen über 200000 Chips in 6000 Modulen zum Einsatz.

Wie ein grosser Ziegelstein

Die ABB-Chips haben nichts mit den Logik- und Speicherchips elektrischer Gebrauchsgegenstände gemein. Schon rein äusserlich: Der grösste Halbleiter-Schalter den ABB Semiconductor herstellt, ist 5,3 kg schwer. Anwendungsgebiete finden sich neben der Hochspannungsübertragung in energieintensiven Industrien sowie in Lokomotiven. Im weltweiten Chip-Markt mit rund 200 Mrd Dollar Volumen haben diese Anwendungsbereiche einen Marktanteil von gerademal einem halben Prozent.

Aber das Geschäft boomt aufgrund des Auf- und Ausbaus von Stromübertragungskapazitäten. Geschäftsleiter Hörhager beziffert das jährliche Wachstum auf rund 10%. ABB Semiconductor hat je nach Anwendungsbereich einen Marktanteil zwischen 15 und 50%, schätzt er.

«Der Markt ist klein, die Technologie anspruchsvoll und die Konkurrenz hart», beschreibt Hörhager das Segment, um das auch Infineon, Toshiba und Mitsubishi kämpfen. Anspruchsvolle Technologie bedeutet hohe Produktions- und Infrastrukturkosten. Die Kosten für eine Technologieplattform zur Herstellung eines neuen Chips gehen in den zweistelligen Millionenbereich. Die Testlaufzeiten für die Produkte aus dem ABB-Labor können bis zu zwei Jahren dauern.

Keine Zelle darf versagen

Perle in Lenzburg ist die 1998 in Betrieb genommene, rund 100 Mio Fr. teure Fertigungsstätte für die neue Generation von Hochleistungshalbleitern, die IGBT-Chips (insulated gate bipolar transistor). Diese sehen zwar aus wie ein Computer-Chip, haben aber völlig andere Eigenschaften. Die Chips werden hier in den Reinräumen in rund 200 Arbeitsschritten hergestellt. 36 Stück werden in ein Halbleiter-Modul eingebaut und rund 6000 dieser Module werden in einer der modernen ABB-Umrichterstationen in einer Reihe geschaltet. «Das bedeutet, dass rund 20 Mrd Halbleiterzellen im Mikrosekundentakt einwandfrei mit einer Lebensdauer von rund 30 Jahren schalten müssen», erklärt Nando Kaminski, der für die Qualität der Produkte aus Lenzburg verantwortlich ist.

Die IGBT-Module stehen für hohe Versorgungssicherheit bei geringem Energieverlust und eignen sich deswegen für Leitungen entlegener Stromproduzenten ans Netz, wie zum Beispiel Windparks. Oder für die Verbindung zu entlegenen Stromkonsumenten, wie zum Beispiel die Troll-Ölplattform in der Nordsee. Sie ist die weltweit erste Offshore-Plattform, die über eine Gleichstromleitung vom Festland aus mit Energie versorgt wird. Das ist viel zuverlässiger als ein Wechselstromsystem und bringt erhebliche Kosten- und Umweltvorteile: Konventionelle Stromerzeugungssysteme auf Ölplattformen stossen CO2 und Stickoxide aus, sind ineffizienter und anfälliger.

Zuverlässigkeit ist gefragt

Diese Übertragungstechnik wird auch unterirdisch angewandt: Keine Strommasten und keine elektromagnetischen Felder. «Unsere Verbündeten im Markt sind Kunden, die eine sichere Versorgung wollen, und Umweltschutzorganisationen, die nach sauberen Technologien verlangen», sagt Hörhager. Dass ABB Semiconductor damit auf das richtige Pferd setzt, liegt auf der Hand: Weltweit wird in Energieversorgungssicherheit und -effizienz investiert. Die Energiekonzerne, die mit dem Stromhandel ihr Geld machen, verlangen nach zuverlässigeren und leistungsfähigeren Hochspannungsleitungen.

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ABB Schweiz: Power-Dreieck

Standortqualität im Aargau? «Einmalig in der Welt», sagt Kurt Hörhager, Geschäftsleiter von ABB Semiconductors. Den «Power Electronics Triangle» das Leistungselektronik-Dreieck nennt er das betreffende ABB-Kompetenzzentrum. In Lenzburg arbeiten rund 320 Angestellte an der Entwicklung und Produktion neuer Hochleistungs-Chips. In Turgi nur wenige Kilometer entfernt beschäftigt ABB 550 Angestellte, wo unter anderem Mittelspannungsantriebe entwickelt werden. Und in Dättwil steht das ABB-Forschungszentrum mit 140 Mitarbeitenden. «Da ist eine sehr enge Zusammenarbeit möglich», schwärmt Hörhager. Vorteile sind auch die Nähe zu ETH und Fachhochschule Windisch. ABB Schweiz ist eine Perle innerhalb des Konzerns. 2005 stieg der Umsatz um 22% auf 2,206 Mrd Fr. Gewinnzahlen werden nicht genannt. Doch die Margen liegen weit über dem Konzerndurchschnitt von 7,8%. In die Forschung und Entwicklung wurden letztes Jahr 218 Mio Fr. investiert.