An den Börsen feiern die Anleger die grossen Technologiekonzerne. Google, Amazon und Microsoft legten gestern überraschend gute Zahlen vor. Die Aktien der drei Unternehmen schossen jeweils um rund 10 Prozent durch die Decke. Der Anstieg machte Amazon-Chef Jeff Bezos über Nacht zum drittreichsten Amerikaner.
Solche Kurssprünge und Superlative sind bezeichnend für die Tech-Branche. Börsianer drücken die Bewertungen der Tech-Firmen immer wieder in schwindelerregende Höhen. Aber auch Grossinvestoren setzen auf Tech-Firmen. Ein saudischer Prinz steckte jüngst seine Milliarden in Twitter. Ex-Microsoft-Chef Steve Ballmer investierte Hunderte Millionen in den Kurznachrichtendienst.
Hinter den Kulissen rumort es
Bei den Investoren hoch im Kurs sind nicht nur börsenkotierte Tech-Firmen. Hippe Startups werden in millionenschweren Finanzierungsrunden aufgebläht. Sie sollen schnell an die Börse gebracht werden – mit Milliardenerlösen wie bei Facebook oder Twitter. So steht der nächste Mega-Börsengang bereits vor der Tür: Twitter-CEO Jack Dorsey will sein jüngstes Kind, den Mobil-Bezahldienst Square, aufs Parkett bringen. Das Startup soll dabei 275 Millionen Dollar schwer sein.
Die Tech-Branche boomt also weiter. Doch der Schein trügt. Hinter den Kulissen rumort es gewaltig. Die Geschäfte laufen nicht so rund, wie es die Quartalszahlen suggerieren. So wächst Microsoft vor allem dank der Cloud-Sparte, während das klassische PC-Geschäft weiter in den Keller rasselt. Auch Amazon profitiert vorwiegend von der Cloud-Sparte. Im internationalen Handelsgeschäft schrieb der Konzern im letzten Quartal jedoch einen Verlust.
Aderlass beim Personal
Zudem setzen die Firmen vermehrt den Rotstift an und stellen Mitarbeiter auf die Strasse. Vom Aderlass sind grosse und kleine Unternehmen betroffen. Microsoft kündigte gestern den Abbau von 1000 weiteren Jobs an. Bereits im Sommer strich der Softwareriese Tausende Stellen. Hewlett-Packard will nochmals bis zu 30'000 Jobs ausradieren. Die Schnäppchenplattform Groupon streicht über 1000 Stellen und Twitter kürzt sein Personal um 8 Prozent – das sind über 300 Arbeitsplätze.
Das gleiche Bild bei angesagten Jungunternehmen: Die Storytelling-App Flipagram will seine Belegschaft um ein Fünftel stutzen. Das mit rund einer Milliarde Dollar bewertete indische Startup Zomato streicht 300 Stellen, viele davon in den USA. Und Snapchat kürzt um rund ein Dutzend Mitarbeiter. Der Fotodienst peilt ebenfalls den Börsengang an und soll schon jetzt rund 20 Milliarden Dollar schwer sein.
Abbau statt Aufbau
Die Frage ist: Handelt es sich bei den Sparübungen um eine gesunde Konsolidierung oder sind es die Vorläufer eines aufkommenden Branchen-Sturms? Sicher ist: Die milliardenschweren Finanzierungsrunden bei den Startups und die Investitionsgelüste an den Börsen stehen im Widerspruch zu der Entlassungswelle. Abbau statt Aufbau, so scheint die Devise. Böse Erinnerungen an das Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 werden wach.
Gegenwind für die Branche macht Chi-Hua Chien aus, der mit seiner Firma Goodwater Capital in Startups investiert. Im Markt für die Finanzierung von Tech-Firmen verbreite sich das Gefühl, dass es auf allen Ebenen zunehmend härter werde, sagt Chien gegenüber «Business Insider». Der Rubel könnte daher schon bald nicht mehr so einfach rollen wie in den letzten Jahren.
Twitter war noch nie gewinnbringend
Zwar würden hinter den Stellenstreichungen etwa bei Twitter und Flipagram unterschiedliche Beweggründe stecken. Dennoch: «Intelligente Führungskräfte schauen voraus, um Fixkosten zu straffen und das Fett in ihrer Organisation abzubauen», so Chien. In den kommenden Quartalen werde es mehr solche Aktionen geben.
Während Flipagram laut Berichten zu schnell gewachsen ist und mit dem Köpferollen nun die Notbremse gezogen hat, liegen die Probleme bei Twitter sehr viel tiefer im Getriebe. Der Kurznachrichtendienst hat bisher noch nie Gewinne geschrieben. Zuletzt enttäuschte Twitter mit einem zu langsamen Wachstum bei den Nutzern.
Ansteckungsgefahr
Doch das schien die Investoren jahrelang nicht zu stören. Beim Börsengang Ende 2013 wurde Twitter mit über 14 Milliarden Dollar bewertet. Die irrationale Euphorie der Anleger trieb die Aktie immer weiter in die Höhe, weit weg vom Ausgabepreis von 26 Dollar auf über 60 Dollar. Noch im Frühjahr 2015 notierte der Kurs bei über 50 Dollar. Das ist Geschichte: Heute dümpelt das Papier nur noch bei rund 30 Dollar.
Dass nun Twitter Mitarbeiter zu Hunderten entlasse, statt auf Wachstum zu setzten, lasse aufhorchen, schreibt der «Business Insider». Schliesslich sei Twitter das Vorzeige-Startup und stehe stelltvertretend für viele Firmen in der Branche. Die aktuellen Kündigungswellen könnten daher bei anderen Jungfirmen der Tech-Industrie ein Erdbeben auslösen – mit Twitter als Epizentrum. Weiter Entlassungen sind also zu erwarten.
Trotz grossen Verlusten an die Börse
Sie sind letztlich nur ein Symptom eines überbewerteten Marktes. Andere sind schwindendes Kapital, Schulden und Konkurse. Am Ende steht das Platzen der Blase. Die Zeit der milliardenschweren Börsengänge wäre dann vorbei. Hinweise auf eine ungesunde Entwicklung in der Branche gibt es genügend. Einer davon ist der Plan von Twitter-Chef Jack Dorsey, Square an die Börse zu bringen.
Denn der Mobil-Bezahldienst steckt tief in den roten Zahlen fest: Im letzten Jahr summierte sich der Verlust auf 154 Millionen Dollar. Im ersten Halbjahr des laufenden Jahres waren es erneut 77,6 Millionen Dollar. Dennoch hofft Dorsey beim Gang aufs Parkett auf das Wohlwollen der Investoren und damit auf Millionenerlöse.
Top oder Flop
Beunruhigend sei vor allem, dass Square anscheinend nur deshalb am öffentlichen Markt Geld einnehmen wolle, weil der private Markt zu wenig hergebe, sagt Startup-Expertin Danielle Morrill gegenüber «Business Insider». Macht das Vorgehen Runde, würde das Erinnerungen an die Internetblase vor 15 Jahren aufblühen lassen.
So dürften vor allem Startups den Börsengang mit Spannung beobachten. Denn er könnte für die Firmen richtungsweisend sein. Gelingt der Start, würde Square wie einst Twitter als Überflieger gefeiert. Aber auch ein Flop ist möglich. Ein solcher könnte die Branche aufschrecken lassen. Vor allem Startups dürften dann schneller zum Rotstift greifen.