Harvard hat den Ruf der globalen Kaderschmiede. Wer hier ein MBA absolviert, hat die Lizenz für eine Karriere in der Wirtschaft. UBS-Mann Lukas Gähwiler war da, Wirtschaftsanwalt Urs Schenker, Nestlé-Chef Mark Schneider oder LGT-Bank-Schweiz-Chefin Anke Bridge Haux. Sie alle werden in den letzten Wochen verfolgt haben, wie sich die Präsidentin beziehungsweise Rektorin ihrer Schule, Claudine Gay, selber ins Abseits manövrierte. Bis sie gestern an der Spitze der Uni zurücktrat. Sie war die zweite Frau, die Harvard vorstand, und die erste Afroamerikanerin. Ihre Familie stammte aus Haiti.

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Gay war von Anfang an überfordert in einer Bildungsstätte, die zumindest in der Eigenwerbung auf Excellence setzt. Nach dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober war sie unfähig, Klartext zu reden und die verblendeten Palästina-Aktivisten in Harvard, die das Existenzrecht Israels ablehnen und die Massakrierung von 1300 Zivilisten schönreden, in die Schranken zu weisen. Ihre Haltung offenbarte Gay an einem Kongress-Hearing vor der ganzen Nation. Auf die Frage, ob der studentische Aufruf zum Genozid an Jüdinnen und Juden gegen den Code of Conduct der Universität verstosse, wiegelte die Rektorin ab: «Kann sein, es hängt vom Kontext ab.»

Nach der Nicht-Antwort zum Völkermordaufruf musste sie sich anschliessend entschuldigen und markierte so etwas wie Distanz zu ihrem Relativismus. Doch der Schaden war gemacht: Aufruhr in den Vorlesungssälen, Demo und Gegendemo, schliesslich Polizeischutz für die jüdischen Studentinnen. Diverse potente Sponsoren der Hochschule gingen alsbald auf Distanz zur Unileitung und kündigten die Streichung ihrer Gelder an, darunter Bill Ackman, Marc Rowan, Leonard Blavatnik. Ein Schaden von Hunderten Millionen Dollar drohte.

Plagiatsvorwürfe

Zur selben Zeit wurden Plagiatsvorwürfe an Gays Adresse öffentlich. Die Akademikerin habe bei ihren wissenschaftlichen Arbeiten fleissig abgeschrieben, ohne Quellen offenzulegen. Zuerst gab eine Uni-Untersuchungskommission an, Gay habe an zwei Stellen geflunkert und würde dies nun ausbessern. Verwundert reagierten Studierende, die bei derartiger Schummelei durch jede Prüfung rasseln. Es ging noch weiter: Heute stehen sechzig Textstellen zur Debatte, in denen Gay zum Teil wörtlich abgeschrieben hat, wiederum ohne Quellenangabe.

In dieser Kontroverse wurde auch ihr dünner wissenschaftlicher Ausweis ein Thema. Sie hat eine Dissertation über die Beteiligung von schwarzen Personen in den USA verfasst und dazu elf Fachaufsätze publiziert. Ein Buch schrieb sie nie. Kurzum: Eine starke Stimme in der Wissenschaft war sie nicht. Das lässt sich am sogenannten H-Index ablesen, mit dem die Häufigkeit der Zitierung und Relevanz einer Wissenschafterin, eines Wissenschafters gemessen wird. Beim H-Index erreicht Gay gerade mal 11 Punkte, das ist bescheiden. Iris Bohnet, Schweizer Professorin an der Harvard, bringts auf 21 Punkte, Professor Ernst Fehr auf 65, Carmen Reinhart auf 79. 

Das wissenschaftliche Leichtgewicht Claudine Gay brachte es im Herbst 2023 auf dem Diversity-Ticket in Harvard nach oben. Nun ist sie abgestürzt. Ihr Schlusswort im Rücktrittsschreiben schlägt den grossen Bogen: Exzellenz sei zentral für Harvard – um so der Welt zu dienen. Etwas profaner sieht es Crimson, das Organ der Studierenden. «Ungenügend war ihr Kongressauftritt, und wir kritisieren die Plagiate in diversen Arbeiten.»