Am Sonntag, 18. April, kurz nach 22 Uhr war für die Anwesenden im Meetingraum «Zürich» am Adecco-Hauptsitz in Zürich klar: Die Geschäftszahlen 2003 würden nicht wie angekündigt zwei Tage später der Öffentlichkeit präsentiert werden können. Sowohl die im Raum anwesenden Verwaltungsratsmitglieder als auch die telefonisch zugeschalteten hatten sich gegen ein Offenlegen der Geschäftszahlen ohne Testat der Buchprüferin Ernst & Young als allerletzte mögliche Option entschieden.

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Zu Beginn des Abends hatten sich noch mehrere der neun VR-Mitglieder vehement für ein solches unübliches Verfahren stark gemacht – aus Sorge darüber, dass eine zweite Kommunikationspanne die Londoner und die New-Yorker Finanzgemeinde stark verunsichern würde. Bereits am 12. Januar musste Adecco ein erstes Mal die Bilanzpräsentation verschieben, was die Märkte mit einem gewaltigen Kursverlust quittierten. Das Unternehmen verlor damals an einem einzigen Tag 5,4 Milliarden Franken an Wert.

Trotzdem stoppten die VR-Mitglieder die ganze Maschinerie wiederum – sie fühlten sich schlicht sicherer so, vor allem VR-Präsident John Bowmer, der als einziges Board-Member in den USA lebt und deshalb Ziel allfälliger Sammelklagen ist. Er setzte sich im VR durch, auch weil die Gewissheit bestand, dass bei einer erneuten Verschiebung keine lebenswichtigen Kreditlinien auf dem Spiel stünden. Zwar war ein 580 Millionen Euro schwerer Kredit eines Syndikats von 21 Banken unter Führung der Bank of America, der Bank of Scotland und der SG Investment an die Bedingung geknüpft, dass die auditierten Jahreszahlen vor dem 26. April vorliegen müssten. Doch der 2008 fällige Kredit war nie beansprucht worden und stellte angesichts der aktuellen Liquiditätssituation auch keine Notwendigkeit dar.

Am Montag, 19. April, sagte Adecco nicht nur die Präsentation ab, sondern auch die anschliessende Roadshow bei Investoren und Analysten in London, die der junge, umstrittene CEO Jérôme Caille hätte anführen wollen. Und da die gesetzlichen Fristen unter den gegebenen Umständen nicht mehr eingehalten werden konnten, strich Adecco auch gleich die Generalversammlung vom 21. Mai.

Was hatte zu diesem Déja-vu, zur Verschiebung Nummer zwei, geführt? Zur ausserplanmässigen Sitzung im Raum «Zürich» kam es an jenem Wochenende, weil am Freitag zuvor die von Adecco als unabhängige Ermittlerin eingesetzte Anwaltskanzlei Paul, Weiss, Rifkind, Wharton and Garrison Entschleunigung signalisiert hatte. Die New-Yorker Anwälte wollten erst zehn Millionen (!) Seiten aus dem elektronischen Briefverkehr der obersten Adecco-Manager auswerten. Sie wollten dies in Ruhe tun, und sie wollten wissen, ob die zuvor viel zitierten Abgrenzungsprobleme in der Adecco-Buchhaltung systemischen Ursprungs seien.

Doch dies allein hätte noch keine Verzögerung bedeutet. Erst als die Auditorin – Ernst & Young – darauf bestand, den Anwaltsbescheid abzuwarten, bevor testiert werden könne, implodierte der von Anfang an ehrgeizige Zeitplan der Adecco.

Dabei hatten einige Adecco-Leute bereits am Freitag die dunkle Vorahnung, dass sich die Auditorin erneut als widerborstig erweisen könnte. Stunden zuvor hatte eine Verwaltungsrichterin der New-Yorker Börsenaufsichtsbehörde SEC entschieden, dass Ernst & Young während sechs Monaten keine neuen Kunden werben dürfe: Die drittgrösste amerikanische Wirtschaftsprüfungsfirma war für schuldig befunden worden, zwischen 1994 und 1999 mit der von ihr geprüften Softwarefirma Peoplesoft lukrative Geschäftsbeziehungen gepflegt zu haben.

Adeccos Obere befürchteten nun, dass dieses Urteil bei Ernst & Young unmittelbar Wirkung zeitige, indem sich die Buchprüferin bei der Auditierung des Adecco-Geschäftsberichts 2003 risikoavers verhalten würde.

Sie sollten Recht behalten. «Ernst & Young ist nicht bereit, auch nur ein Prozent Risiko einzugehen», stellte ein VR-Mitglied an jenem Wochenende ernüchtert fest.

So kam es, dass Adecco am Ende wiederum als unverstandener Riese dastand. Und weiterhin so dastehen wird.