Manchmal genügt ein Wort, um bei einem Menschen das Lächeln auszuknipsen wie in einem Zimmer das Licht. Eben gerade hatte Alain Dehaze (55) noch begeistert davon erzählt, wie er seine Strategie umsetzt, welche Fortschritte es beim Effizienzprogramm gebe und welche Chancen die Digitalisierung biete. Dann fällt das Wort «Aktienkursperformance», und das Gesicht des Chefs der Adecco Group verfinstert sich um mindestens 50 Shades of Grey.

Und das will etwas heissen. Alain Dehaze, muss man dazu wissen, ist ein allzeit gut gelaunter Mensch, immer mit einem Lächeln auf den Lippen, einem flotten Spruch hier, einem Schulterklopfen da, er ist gesellig im Umgang und beliebt bei seinen Mitarbeitern. Einer, der bei seiner Firma – immerhin einem 33 000-Mann-Konzern – die Zügel fest in der Hand hält und es trotzdem ganz leicht aussehen lässt; einer, der dank seiner Beredtsamkeit die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen ebenso spannend darstellen kann wie andere Leute ihren letzten Urlaub.

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Aber eben: Erwähnt man bei Dehaze das Wort «Aktienkursperformance», und dies – Gott behüte! – vielleicht sogar noch im Kontext mit dem SMI, dann wird der Adecco-CEO plötzlich schmallippig, und all seine Eloquenz weicht hilflosen Floskeln: «Die Börse ist die Börse», «Ich kommentiere unseren Aktienkurs grundsätzlich nicht», «Selbstverständlich sähen wir gerne eine bessere Aktienkursentwicklung. Mit unseren Aktionären sind wir regelmässig in Kontakt und erhalten positive Rückmeldung zu unserer Strategie und deren Umsetzung», so geht das dann.

Der schlechteste Wert im SMI

Dabei muss man gar nicht so ein sperriges Wort wie «Aktienkursperformance» in den Mund nehmen, um bei Dehaze das Lächeln auszuknipsen. Man könnte den Schmerz auch in einer Zahl verdichten. Bei Alain Dehaze wäre diese Zahl 30. So viel Prozent an Wert nämlich hat die Adecco Group dieses Jahr verloren, oder anders ausgedrückt: 4,5 Milliarden Franken. Noch so eine Schmerzzahl. Damit ist die Adecco Group der mit grossem Abstand schlechteste Wert im SMI; bereits im letzten Jahr hat der Weltmarktführer für Zeitarbeit deutlich schlechter abgeschnitten als der Schweizer Börsenindex.

Wobei sich das mit dem Weltmarktführer möglicherweise auch bald erledigt hat. Der ewige Konkurrent Randstad ist bereits bis auf 30 Millionen Euro herangekommen im letzten Quartal, ein Nichts bei sechs Milliarden Umsatz. Und Randstad wächst schneller, auch weil der Konzern aggressiver vorgeht und zentralistischer geführt wird als Adecco.

Adecco geschäftszahlen Umsatz Konzerngewinn Marktanteil
Quelle: Bilanz

Das Problem: Man traut Adecco kaum mehr Wachstum zu. Da ist zum einen die Makro-Lage. Viele Beobachter sehen den Höhepunkt des Konjunkturzyklus, von dem Adecco die letzten Jahre profitierte, überschritten, die Zukunftsaussichten entsprechend weniger rosig. Deshalb performt auch Konkurrent Manpower an der Börse nicht besser als Adecco. Randstad hingegen kann sich halten: Die Holländer kauften vor zwei Jahren Monster.com, das weltweit zweitgrösste Online-Jobportal. Ein Turnaround-Fall zwar, aber einer, der dem Konzern Digitalfantasie verleiht. Wohl auch deshalb ist Adecco in Sachen Marktkapitalisierung bereits hinter Randstad zurückgefallen.

Personalwechsel

Hinzu kommen hausgemachte Probleme. Während Adecco in Ländern wie Frankreich, Spanien und Italien gut unterwegs ist, harzt es in wichtigen Märkten wie den USA und Grossbritannien. Asien und besonders Indien schrumpfen sogar deutlich, während die Konkurrenz dort wächst. Enttäuschend ist die Entwicklung auch in Deutschland, wo die Integration der bereits 2007 übernommenen Tuja nicht wie erwartet vorwärtskommt: Von einer «grossen kulturellen Anpassung» spricht Dehaze.

«Wenn man Öl ins Wasser schüttet, kann man noch so viel rühren – das wird sich nie verbinden»

Michael Agoras, ehemaliger Adecco-Chef Schweiz

Von der Art und Weise, wie die Integration der patronal geführten Tuja in die börsengetriebene Adecco-Kultur stattgefunden hat, hält Michael Agoras, ehemaliger Adecco-Chef Schweiz, nicht viel: «Wenn man Öl ins Wasser schüttet, kann man noch so viel rühren – das wird sich nie verbinden», sagt er. «Adecco macht immer den gleichen Fehler, nämlich die einzigartige Kultur der übernommenen Firmen nicht weiterleben zu lassen.» Bis Adecco in Deutschland jedenfalls wieder ansprechende Margen erwirtschaftet, wird es noch Zeit brauchen, das sagt auch Dehaze. Die unbefriedigende Performance hat nun Konsequenzen im Topmanagement: Gerade erst musste der Deutschland-Chef seine Position räumen, ebenso jener für Holland.

Neue Ventures

Das Zeitarbeitsgeschäft trägt heute noch 70 Prozent zum Konzerngewinn von Adecco bei (siehe Grafiken). Wachstum sucht Dehaze nun in neuen Ventures, etwa mit der 412 Millionen Dollar teuren Übernahme von General Assembly. Die US-Firma spezialisiert sich auf die Weiterbildung von Fachkräften vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Ein Zukunftsmarkt: Weltweit werden bis 2030 rund 375 Millionen Menschen ein solches Reskilling benötigen, so eine Studie von McKinsey.

«Es kostet etwa 100 000 Franken, einen Mitarbeiter zu entlassen, aber nur 35 000 Franken, ihn umzuschulen», erklärte etwa ABB-CEO Ulrich Spiesshofer den jüngsten Konzernumbau im Rahmen seiner «Next Level»-Strategie. 100 Millionen Dollar setzte General Assembly zuletzt um, Tendenz stark steigend. Die Übernahme macht Adecco in diesem Bereich zum Marktführer. Und General Assembly kann in wenigen Monaten die richtigen Kandidaten «produzieren» für die Kunden von Adecco-Tochter Modis, die sich auf Personaldienste für die Industrie 4.0 spezialisiert.

Adecco setzt auf Digitalisierung

Sowieso ist Digitalisierung das Megathema bei Adecco: Bereits im vergangenen Jahr wurde die Onlineplattform Yoss zur Vermittlung von Freelancern aufgeschaltet sowie die Chatbot-Lösung Mya, die inzwischen bei 64 Kunden einen Teil des Recruiting-Prozesses automatisiert und besonders bei Grossaufträgen im Blue-Collar-Bereich zum Einsatz kommt.

Exterior view of the headquarters of staffing firm Adecco Group in Zurich, Switzerland, on September 15, 2017. (KEYSTONE/Gaetan Bally)Aussenaufnahme des Hauptsitzes des Personaldienstleisters Adecco Group, aufgenommen am 15. September 2017 in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

An bester Lage: Der Hauptsitz im Zürcher Seefeld, den die Adecco Group im Sommer 2017 bezogen hat.

Quelle: © KEYSTONE / GAETAN BALLY

Und dann ist da natürlich noch jene Digitalplattform, welche unter dem unglücklich gewählten Namen Adia (so hiess der Schweizer Teil des Zeitarbeitskonzerns vor der Fusion mit der französischen Ecco zu Adecco) das Segment der Kleinkunden öffnen soll – eine Art Tinder für Zeitarbeit. «Damit versucht Adecco, sich selber zu kannibalisieren», sagt Viktor Calabrò, der mit seinem Start-up Coople bereits vor neun Jahren in diesen Markt eingestiegen ist. «Aber ich habe in unserer Branche bisher noch kein Beispiel gesehen, wo das erfolgreich funktionierte.» Randstad beispielsweise hat ihr Gegenstück zu Adia namens Ploy wieder eingestellt. Adia ist immerhin demnächst in vier Märkten aktiv.

Von den Analysten bekommt Dehaze für seine digitalen Initiativen viel Lob. Sie sollen ab 2020 auch ergebnismässig einschenken: «Alle unsere neuen Ventures weisen eine höhere Profitabilität auf als die klassische Zeitarbeit», sagt Dehaze. Insgesamt viermal so schnell wie das BIP wolle Adecco wachsen, versprach er am Investorentag Mitte September in London. Der IWF geht dieses Jahr von 2,2 Prozent Wachstum in den entwickelten Volkswirtschaften aus, das Adecco-Ziel wäre also eine Rate von 8,8 Prozent. «Völlig unrealistisch» sei das, sagt Marco Strittmatter, Analyst bei der ZKB: «Das hat Adecco auch in den besten Zeiten nicht geschafft.»

Technologieschulden

Um sein ehrgeiziges Ziel zu erreichen, müsste Alain Dehaze viel mehr investieren. Doch bereits unter seinem Vorgänger Patrick De Maeseneire wurde jahrelang streng auf eine Ebit-Marge von 5,5 Prozent geachtet, damit die Familie Jacobs als Grossaktionär beim sich anbahnenden Verkauf einen guten Preis erzielen konnte. So blieben nötige Investitionen aus: Von «Technologieschulden» spricht CIO Rob James. Auch deshalb kommt die Digitalisierung des Kerngeschäftes, verpackt in den Strategienamen «Grow Together», nicht so schnell vom Fleck wie erwartet.

Der Druck durch die Jacobs-Familie ist seit deren Ausstieg 2014 zwar weg, doch da die Marge inzwischen auf 4,5 Prozent gefallen ist, bleibt Dehazes Spielraum beschränkt.

Der Druck durch die Jacobs-Familie ist seit deren Ausstieg 2014 zwar weg, doch da die Marge inzwischen auf 4,5 Prozent gefallen ist, bleibt Dehazes Spielraum beschränkt: «Die Investoren erwarten eine gewisse Rendite, die wollen wir trotz aller Investitionen weiterhin liefern», sagt er. Auch auf die Gefahr hin, den ersten Rang zu verlieren: «Natürlich ist für mich die weltweite Marktführerschaft wichtig, unser Fokus liegt aber auch auf nachhaltiger Profitabilität», sagt Dehaze und wirkt dabei wie einer, der sich eher nach Mitleid sehnt als nach weiteren harten Fragen.

 In einem internen Memo ruft Dehaze sein Kader eindringlich dazu auf, im zweiten Halbjahr Ergebnisse zu liefern

In einem internen Memo ruft Dehaze sein Kader eindringlich dazu auf, im zweiten Halbjahr Ergebnisse zu liefern.

Quelle: Bilanz

Umso wichtiger ist nun, dass seine Mannschaft performt. Bereits vor einem Jahr verschickte der CEO einen Brandbrief an seine 33 000 Mitarbeiter: «Wir fühlen die Dringlichkeit nicht oder die Notwendigkeit, uns zu verändern. Sind wir bequem geworden? Die Konkurrenz ist besser als wir, und wir reagieren nicht», hiess es dort unter anderem. Nach den letzten Quartalszahlen wandte sich Dehaze erneut an die Belegschaft, fast beschwörend: «Wir müssen im zweiten Halbjahr liefern. Wir haben eine neue Realität reflektiert, aber jetzt müssen wir liefern», heisst es in einer internen Präsentation. Verantwortlich, rechenschaftspflichtig und sparsam mit Investitionen soll das Management sein. Und dann, in Grossbuchstaben und das letzte Wort in Rot: «Diese Ziele sind das einzige Erfolgskriterium!»

Angriff aus Japan

Derzeit empfehlen nur 9 von 21 Analysten die Adecco-Aktie zum Kauf. Immerhin, es waren einmal sogar noch etwas weniger. Der gesunkene Kurs hat die Aktie als Dividendenpapier inzwischen attraktiver gemacht: Knapp fünf Prozent beträgt die Rendite derzeit. Doch der Wertverlust birgt auch eine Gefahr, die man sich bis vor kurzem gar nicht hat vorstellen können. Wenn es so weitergeht, so spekulieren erste Marktbeobachter, könnte Adecco gar zum Übernahmeziel werden.

Die japanische Recruit Holdings will bis 2020 der weltgrösste Anbieter von HR-Dienstleistungen werden – und ist bereits fleissig auf Akquisitionstour.

Die japanische Recruit Holdings, mit knapp zehn Milliarden Dollar Umsatz im Zeitarbeitsgeschäft derzeit auf Platz fünf unter den Global Players, will bis 2020 der weltgrösste Anbieter von HR-Dienstleistungen werden. Der Konzern ist bereits fleissig auf Akquisitionstour, mit einer Übernahme eines der drei grossen Anbieter hätte er sein Ziel erreicht. Kartellbedenken gäbe es angesichts des zersplitterten Marktes nicht, und der Adecco Group fehlt seit dem Ausstieg der Familie Jacobs 2014 ein Ankeraktionär. Der heute grösste Anteilseigner BlackRock (5,3 Prozent) ist mit der Performance nicht zufrieden – an der letzten GV stimmte der weltgrösste unabhängige Vermögensverwalter gegen die Wiederwahl von Präsident Rolf Dörig – und wäre vermutlich verkaufswillig, wenn der Preis stimmt.

Vor allem aber: An der Börse ist Recruit fünfmal so viel Wert wie Adecco, auch weil zum Konzern Indeed, das weltgrösste Online-Jobportal, gehört. Durch einen Aktientausch liesse sich eine Übernahme relativ leicht finanzieren. «Mit dieser Börsenkapitalisierung hat Recruit genug Feuerkraft, um die etablierte Führungsriege im Zeitarbeitsmarkt durchzuschütteln», stellt John Nurthen vom Branchenbeobachtungsdienst SIA fest.

Dann würde Alain Dehaze das Lachen endgültig vergehen.