Agie Charmilles kommt nicht auf Touren. Umsätze von mehr als 1,2 Mrd Fr. und hohe zweistellige Millionengewinne gehören beim Fertigungstechniker, der mehrheitlich Georg Fischer gehört, der Vergangenheit an. Alleine im ersten Halbjahr 2003 verzeichnete Agie Charmilles einen weiteren Umsatzrückgang von 20%. Nach einem hauchdünnen positiven Ergebnis im letzten Jahr ist für dieses Jahr gar ein Verlust prognostiziert. Das Management begründet die Schwäche mit «dem anhaltend schwierigen Marktumfeld» in der Investitionsgüterindustrie.

Agie Charmilles schreibt nicht nur rote Zahlen, sondern verliert offensichtlich auch Marktanteile, wenn man das Unternehmen mit Konkurrenten wie der deutschen DMG oder Hermle vergleicht. Stellt sich die Frage, ob Kurt Stirnemann, der vor seiner Berufung auf den GF-Chefposten bei Agie Charmilles als CEO amtete, nicht schon früher zu jenen Massnahmen hätte greifen müssen, die er nun dem Gesamtkonzern verordnet hat.

Seit er im Frühjahr das Zepter bei GF übernahm, wird der Industriesaurier aus Schaffhausen so richtig durchgeschüttelt. Erst Anfang Oktober hat Stirnemann das vielleicht grösste Restrukturierungsprogramm in der Geschichte des GF-Konzerns angeschoben. Dabei sollen Standorte zusammengelegt und Aktivitäten, Beteiligungen sowie Liegenschaften, die nicht zum Kerngeschäft gehören, veräussert werden. Mehr als 1000 Stellen werden der Kostenschere zum Opfer fallen. Stirnemann will auch bei Agie Charmilles durchgreifen. Unter anderem sollen die beiden Produktionsstandorte in den USA wegfallen. Doch wieso nicht schon früher?

*Unterschiedliche Kulturen*

Auch ein erfahrener Manager wie Kurt Stirnemann hatte in der Vergangenheit offensichtlich Mühe, Synergien zwischen Agie und Charmilles nutzbar zu machen. Der Wurm bei der GF-Tochter sitzt tief. Das Unternehmen krankt an unterschiedlichen Kulturen, aber auch an Strukturformen, die es sonst in der Werkzeugmaschinenindustrie eigentlich nicht gibt. Die ehemaligen Erzrivalinnen Agie und Charmilles sind sich auch bald acht Jahre nach ihrer Zusammenführung nicht wirklich näher gekommen. Sichtbar wird dies beispielsweise an Industriemessen, wo beide unabhängig voneinander ihre Produkte präsentieren.

Und doch firmieren beide unter einem Label. Die ehemalige Ateliers des Charmilles kann es noch heute nicht ertragen, dass ihr der Name der einstigen Konkurrentin Agie nach der Zusammenführung 1996 vorangestellt wurde. Umgekehrt reagiert Agie als Premium gesetzter Markenname mit entsprechend hohen Preisen immer bärbeissiger darauf, dass ihr die mehr auf Standard ausgerichtete Charmilles in einem schrumpfenden Marktumfeld immer häufiger das Sahnehäubchen oben wegfuttert. Mit anderen Worten: Charmilles hat die Stärke als starker Standardhersteller gegenüber Agie weltweit genutzt. Zusätzlich verschärft wird der interne Streit um Marktanteile auch noch dadurch, dass Agie Charmilles nicht nur unter der Flaute zu leiden hat, sondern Funkenerosion als Technologie durch Hochgeschwindigkeitsfräsen teilweise substituiert wird.

*Eine furchtbar nette Familie*

Zwar hatte das Management die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt und durch Zukäufe neuer Technologien den Schwund aufzufangen versucht. Mehrere strategische Akquisitionen wurden jüngst getätigt, darunter als Schlüsseltechnologie der Zukunft der Bereich Hochgeschwindigkeitsfräsen von Mikron oder der schwedische Tooling-Spezialist System 3R. Doch auch mit den Neuen soll es Probleme geben, da diese ständig Gefahr laufen, zwischen den Fronten der grossen Schwestern aufgerieben zu werden. Sprichwörtlich gesagt funktioniert Agie Charmilles damit nicht anders wie eine furchtbar nette Familie, wo jeder dem anderen am liebsten den Hals umdrehen würde.

Doch damit nicht genug. Auch rein strukturell passt das heterogene Konstrukt Agie Charmilles nur schwer in die Landschaft der Schweizer Werkzeugmaschinenbauer. Agie Charmilles ist ein Koloss. Gemessen am Umsatz von noch immer gegen 1 Mrd Fr. überragt die Gesellschaft alle anderen 90 Schweizer Firmen in diesem Industriesegment um Längen. Normalerweise gehören Unternehmen, die Werkzeugmaschinen herstellen, zu einer ganz speziellen Industrie. Fast ausschliesslich handelt es sich um kleinere Gesellschaften in Besitz von wenigen Aktionären oder Familien. Bereits mittelgrosse Unternehmen sind die Ausnahme. In der Schweiz gibt es höchstens sieben davon, darunter die börsenkotierten Smallcaps Feintool, Tornos, Mikron sowie Starrag Heckert.

*Negativer Elephanten-Effekt*

Die Branche ist Know-how-getrieben und auf Nischen ausgerichtet, damit der Innovation in Zusammenarbeit mit Kunden verpflichtet. Werkzeugmaschinen sind kaum ein Massengut, viel eher weltweit gefragte Investitionsjuwelen, die in der Kapitalgüterindustrie einen hohen Stellenwert einnehmen. Mit anderen Worten: Den Markt für Werkzeugmaschinen gibt es überall. Meist erfolgt der Absatz in kleinen Stückzahlen, dafür rund um den Globus, was wiederum schlanke Unternehmensstrukturen bedingt, denn nur so bleiben die Firmen flexibel genug, um langfristig im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Kurz gesagt: Um in dieser Industrie Erfolg zu haben, gilt es, klein, aber hoch effizient am Markt zu agieren und dabei die Kosten möglichst tief zu halten. Nimmt man alleine diese Kriterien zum Massstab, die erklären, wie dieser spezielle Industriezweig funktioniert, dann passt ein «Koloss» vom Zuschnitt Agie Charmilles da eigentlich nicht rein. Zu gross, zu schwerfällig sind die Konzernstrukturen, die zudem einen Overhead hervorgebracht haben, wie er unter Werkzeugmaschinenbauern sonst eigentlich nicht anzutreffen ist.

Einen Ausweg glaubte die GF-Tochter in der Vergangenheit bei der Nutzung von Synergien im Verkauf zu finden. Aber auch um die Bande zwischen Agie und Charmilles endgültig zu machen, legte der Konzern den Vertrieb der beiden Rivalinnen zusammen. Nun aber steckt gerade hier der Wurm im System: Bei Agie Charmilles fällt es bis heute niemandem ein, gleich auch noch die Produkte der jeweiligen Schwestergesellschaft zu vermarkten. Oder würde es einem Mercedes-Verkäufer einfallen, oben drauf auch noch einen Smart anzubieten? Wohl kaum. Abhilfe schaffen kann hier nur eine weit reichende Verselbstständigung der einzelnen Unternehmensteile. Schlank und agil könnten sie dann unter ihrem Namen am Markt auftreten, nur an losen Zügeln an die Muttergesellschaft Georg Fischer angebunden, wo die einzelnen Marken übrigens bereits heute unter dem Begriff Fertigungstechnik zusammengefasst sind.

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