Die Maisonette am Zürcher Münsterhof bietet auf 180 Quadratmetern mehr als die meisten Hotelsuiten: eine Maxibar statt einer Minibar, eine moderne Küche, Soundsystem in allen Räumen, zwei Kamine, 24-Stunden-Concierge-Service. Apple-Gründer Steve Wozniak übernachtete hier, Jordan Belfort alias «The Wolf of Wall Street» ebenfalls, Eva Longoria postete Fotos auf Instagram. Im Dachzimmer steht eine Saunakabine, auf der Terrasse ein Whirlpool, sogar eine Beduftungsanlage gibt es mit eigens abgemischtem Geruch.
«Wir nehmen es sehr genau», sagt Madeleine Fallegger. Sie und ihr Partner Alexander Hübner vermieten mit ihrer Firma Le Bijou 35 derartige Luxuswohnungen in Zürich, Bern, Zug, Luzern und Basel an Touristen und Geschäftsreisende. Die Auslastung liegt bei 92 Prozent. «Es läuft sehr gut bei uns», sagt Hübner. «Letztes Jahr sind wir um 400 Prozent gewachsen, dieses Jahr wird es voraussichtlich wieder so viel.»
Rund zehn Millionen Franken Umsatz wird Le Bijou dann machen. 40 Mitarbeiter beschäftigt die Firma: Sie designen und schreinern die Möbel, reinigen die Unterkünfte, programmieren die App, mit der man die Lichter im Apartment regeln, Essen bestellen oder einen Ausflug buchen kann.
Gross geworden ist Le Bijou dank Airbnb. Ohne die Internetbuchungsplattform «hätten wir es nicht geschafft», sagt Hübner. «Sie hat bei den Leuten das Bewusstsein geweckt, dass man statt im Hotel auch privat übernachten kann. Das hat uns sehr geholfen.»
80 Millionen Nutzer weltweit
26'000 Unterkünfte kann man derzeit in der Schweiz via Airbnb buchen, vom Sofa im Wohnzimmer für 79 Franken pro Nacht bis zur Wohnung am Münsterhof für maximal 3800 Franken. Das Geschäft boomt. «2016 haben wir fast 450'000 Gästeankünfte in der Schweiz verzeichnet, 80 Prozent mehr als im Vorjahr», sagt Alexander Schwarz, Chef von Airbnb für die Schweiz, Österreich und Deutschland. Über eine Million Reisen wurden aus der Schweiz heraus über Airbnb gebucht. Weltweit nutzten letztes Jahr 80 Millionen Reisende die Plattform.
Das summiert sich: 2,8 Milliarden Dollar dürfte die Firma dieses Jahr umsetzen, für das Jahr 2020 werden 8,5 Milliarden erwartet. Weil Airbnb schneller wächst als die Konkurrenz, etwa die Schweizer House-Trip, die deutsche Wimdu oder 9flats, hat diese keine Chance: Die Vermittlung von Unterkünften ist ein «Winner takes it all»-Markt. So wurde House-Trip, einst als hoffnungsvollstes Schweizer Start-up gefeiert, letztes Jahr von Trip-Advisor geschluckt. Und Airbnb mauserte sich in den neun Jahren seit der Gründung zum viertwertvollsten Start-up der Welt: Mit 31 Milliarden Dollar ist die Firma mit Sitz in San Francisco derzeit bewertet.
Der Reisekonzern
Das freilich reicht den Gründern nicht. Sie arbeiten bereits an Airbnb 2.0. Aus der Übernachtungsplattform soll nicht weniger als ein vollwertiger Reisekonzern werden. «Airbnb entwickelt sich zu einer Plattform für das gesamte Reiseerlebnis, vom Start der Reise bis zur Rückkehr nach Hause», nennt es Schwarz.
Der globale Markt für Unterkünfte beträgt jährlich 700 Milliarden Dollar. Ein wichtiger Teil davon sind Geschäftsreisende. Bei Airbnb machen diese bislang zehn Prozent der Übernachtungen aus. Jetzt werden sie aktiv umworben. Unter dem Label «Business Travel Ready» weist die Plattform jene Unterkünfte separat aus, welche die Bedürfnisse von Geschäftskunden besonders berücksichtigen: mit 24-Stunden-Check-in, WLAN oder Bügeleisen, um das zerknitterte Jackett wieder in Form zu bringen. «Der Schweizer Markt ist dabei besonders wichtig, weil dort viele Grosskonzerne und internationale Firmenzentralen angesiedelt sind», sagt Schwarz.
Weltweit buchen bereits 250'000 Firmen für ihre Angestellten Unterkünfte über Airbnb. Damit es mehr werden, ist man Partnerschaften mit American Express und BCD Travel eingegangen. Auch mit dem Reisekostenabrechnungssystem Concur, seit der Übernahme durch SAP Standard bei vielen Grosskonzernen, ist man nun kompatibel; die Travel Manager der Firmen werden durch Airbnb entsprechend geschult. «Die Akzeptanz ist sehr gut, wir erwarten, dass dieser Bereich proportional zu unserem Gesamtwachstum zulegt», sagt Schwarz. Und er hat festgestellt, dass die Geschäftsreisenden dank Airbnb länger vor Ort bleiben, nämlich viereinhalb statt zwei Tage: «Viele hängen dann privat noch ein paar Tage dran.»
Auf Entdeckungsreise
Auch in den Erlebnisbereich stösst das ewige Start-up vor. «Entdeckungen» nennen sich die Aktivitäten, die über die Plattform gebucht werden können. Die Auswahl umfasst bereits über 1000 Angebote: von Übungsstunden mit einer Ballerina in San Francisco über einen Pub Crawl durch die Jazzclubs von London und einen Sushi-Workshop in Tokio bis zu einem Gespräch mit Nelson Mandelas ehemaligem Gefängniswärter in Kapstadt. «Wir wollen den Reisenden ermöglichen, in eine Stadt einzutauchen, statt nur zuzuschauen», nennt Schwarz das. Airbnb prüft die Qualität der Touren, versichert die Teilnehmer und behält dafür 20 Prozent Kommission.
Damit geht die Firma den Markt der Reisenebenleistungen an, in dem auch das Schweizer Start-up Get-Your-Guide erfolgreich ist. «Das entwickelt sich sehr positiv», sagt Schwarz, «über 90 Prozent der Entdeckungen werden durch die Reisenden mit fünf Sternen bewertet.» In 51 Städten will Airbnb dieses Jahr Erlebnisse bieten, Berlin wird dabei die erste Stadt in Europa sein. Wann die Schweiz dran ist, kann Schwarz noch nicht sagen: «Wenn es in einer Schweizer Stadt genug Angebote der Gastgeber gibt, schauen wir uns das gerne an.»
In eine ähnliche Richtung geht auf der Airbnb-Plattform die neue Funktion «Orte»: Geheimtipps der Einheimischen fernab des Massentourismus. Dazu kommen Audio-Reiseführer und die Möglichkeit, andere Reisende zu treffen, die zur gleichen Zeit in der gleichen Stadt sind. Auch hier gibt es für eine Lancierung in der Schweiz noch keinen konkreten Zeitplan. «Wir werden uns das mit verschiedenen Schweizer Tourismusvertretern ansehen», sagt Schwarz.
Alles über die Airbnb-App
Allen Features gemein ist, dass sie über die Airbnb-App buchbar sind. Jasmina Salihovic, grösste Schweizer Airbnb-Gastgeberin, findet das grossartig: «Ich muss den Leuten ohnehin erklären, was sich zu unternehmen lohnt oder wohin man gehen soll. Jetzt läuft alles über die Plattform, man kann mehr Einheimische einbinden, und es ist sehr viel klarer, wer was macht und wer wofür verantwortlich ist.»
Sie nennt die neuen Angebote die «Uberisation aller Bereiche des Tourismus»: Wie auf Uber Privatpersonen ihr Auto anderen Leuten zur Mitfahrt anbieten, teilen nun die Gastgeber auf Airbnb ihre Leidenschaft und ihr Wissen mit den Reisenden und verdienen sich so ein Zubrot.
Doch die Pläne von Airbnb-Chef Brian Chesky gehen noch viel weiter. So verspricht er Dienstleistungen wie zum Beispiel die Buchung von Mietwagen oder die Anlieferung von frischen Lebensmitteln zum Urlaubsort. Auch Flüge will Airbnb dereinst anbieten, «aber erst dann, wenn wir genau wissen, wie wir uns von anderen Plattformen, über die man heute schon Flüge buchen kann, absetzen können», sagt Co-Gründer Nathan Blecharczyk. «Der jetzige Buchungsprozess steht nicht für ein positives Reiseerlebnis, das kann man besser machen», sagt Schwarz. Wann und wie genau, steht aber noch nicht fest.
Bisherige Geschäftsmodell stösst langsam an seine Grenzen
Ausgeheckt werden die neuen Angebote in einem Innovations und Designlabor namens Samara. «Alles, was das Reiseerlebnis beeinflusst, möchten wir verbessern. Der Austausch zwischen den Menschen steht dabei im Vordergrund», beschreibt Schwarz die Stossrichtung. Der Auftrag von Samara geht über das Kerngeschäft hinaus: Eines der ersten Projekte war die Entwicklung eines Gemeinschaftszentrums für eine japanische Kleinstadt.
Ein Grund für die neuen Aktivitäten von Airbnb liegt auch darin, dass das bisherige Geschäftsmodell langsam an seine Grenzen stösst. Das Konzept entstand 2007, so der Gründungsmythos, als Brian Chesky und Joe Gebbia sich die Miete für ihr Apartment in San Francisco nicht mehr leisten konnten und auf die Idee kamen, eine aufblasbare Matratze im Wohnzimmer als Bed and Breakfast zu vermieten. Die erste Website Airbedandbreakfast.com, programmiert von Cheskys Studienkollegen Nathan Blecharczyk, startete im August 2008. Eine Designmesse, während deren in San Francisco die Hotels ausgebucht waren, brachte die ersten Kunden.
Seither inszeniert sich Airbnb zusammen mit Uber als Speerspitze der Sharing Economy, in der Teilen das neue Besitzen sein soll. Doch mit zunehmender Professionalisierung auf Airbnb bleibt vom Gedanken der Sharing Economy immer weniger übrig.
Überwiegend kommerzielle Nutzung
«Der Mythos stimmt nicht, auf Airbnb würden Leute wie Sie und ich gelegentlich ein Gästebett vermieten und so ihr Einkommen aufbessern. Einzelne Zimmer machen höchstens drei Prozent des Angebotes aus», sagt Tom Slee, Autor des Buches «Deins ist meins. Die unbequemen Wahrheiten der Sharing Economy». «Hingegen kommen 40 bis 50 Prozent des Geschäftes von Gastgebern, die mehrere Wohnungen vermieten, also als gewinnorientierte Firma handeln.» So werden in der historischen Altstadt von Lissabon heute ein Viertel bis ein Drittel aller Wohnungen kommerziell genutzt. «Für die Alteingesessenen ist diese Gegend kaum mehr bewohnbar», so Slee.
Immer mehr Städte ziehen daher die Notbremse: In Berlin braucht eine Genehmigung, wer mehr als die Hälfte seines Wohnraums vermieten will - ein faktisches Airbnb-Verbot. In New York und San Francisco darf jeder nur eine Wohnung anbieten. In London darf eine Unterkunft maximal 90 Tage im Jahr kurzzeitvermietet werden, in Paris vier Monate. Die Geldstrafen sind teilweise exorbitant - in Barcelona bis 600'000 Euro.
Keine Restriktionen in der Schweiz
Airbnb sperrt Unterkünfte, wenn das Maximum an Vermietungen erreicht wird. In der Schweiz gibt es keine Restriktionen. «Man hat hier sehr früh erkannt, dass Digitalisierung den Tourismus fördert», sagt Schwarz. Nur die lückenhafte Erhebung der Kurtaxen durch die Gastgeber bereitet Kopfzerbrechen. Für Zug zieht nun Airbnb die Abgabe ein. Mit 270 Städten weltweit gibt es ähnliche Abkommen.
Die Auguren fragen sich längst, wann Airbnb eigene Häuser eröffnet. Schliesslich kennt man die Kundenwünsche genau, aber auch die ertragreichsten Lagen. Schwarz hält eine Vertikalisierung für unwahrscheinlich: «Das Besondere an Airbnb, nämlich die Authentizität der Reiseerlebnisse, wird durch die vielen privaten Anbieter geschaffen. Da passen eigene Immobilien nicht ins Konzept.» Wirtschaftlich würde es für ihn auch wenig Sinn machen.
Im Luxusbereich
Dafür hat sich Airbnb kürzlich anderweitig verstärkt. Im Februar kaufte man für vermutete 300 Millionen Dollar die Firma Luxury Retreats, einen Spezialisten für Premiumwohnungen, der in der Schweiz 65 Apartments vermittelt, manche für mehrere tausend Franken die Nacht. Von «sehr grossen Synergien mit dem Kerngeschäft» spricht Schwarz.
Weitere Investments runden das Bild vom entstehenden Tourismuskonzern ab: So hat Airbnb in die Reservations-App Resy investiert und Tilt gekauft, ein Zahlungs-Start-up, mit dem sich Restaurantrechnungen leichter teilen lassen.
Ein Kauf durch Airbnb wäre auch für Hübner und Fallegger von Le Bijou ein denkbarer Exit. «Aber nicht momentan», sagt Hübner. «Wir haben eine Vision und wollen sie umsetzen.»
In Zürich nahe des Bahnhofs haben die beiden ein siebenstöckiges Bürohaus für 20 Jahre angemietet und bauen es nun zu fünf Luxuswohnungen um. In Genf und in der Zentralschweiz wollen sie gar eigene Immobilien erwerben. «100 Apartments sind unser nächster Meilenstein», sagt Fallegger. «Danach hat es vermutlich noch Potenzial für mehr.» Eine Expansion in die Tourismushochburgen dieser Welt schwebt ihr und ihrem Partner vor, mit Franchisenehmern als Gastgebern und ihnen beiden als Management. «Wir haben bereits Anfragen von Investoren, die das im Ausland mit uns aufziehen wollen», sagt Hübner.