Der einst jüngste Drei-Sterne-Koch, der erste Sechs-Sterne-Koch, der erste Sieben-, Acht- und nun Neun-Sterne-Koch denkt, kreiert, expandiert. Nur hinter dem Herd steht der 46-Jährige schon seit langem nicht mehr.
Alain Ducasse hat ein Geschäftsmodell für die Gastronomie erfunden, das ihn nicht mehr dazu zwingt, selbst an der Pfanne zu wirken. «Savoir faire, faire faire, faire savoir», resümiert er seine Philosophie. «Kochen ist ein Handwerk, das man mit präzisem Know-how und strikter Organisation überall auf der Welt genau gleich gut ausführen kann. Ich habe hervorragende Köche auf allen Kontinenten, mit denen ich seit Jahren freundschaftlich verbunden bin und die meine Rezepte diszipliniert reproduzieren. Jeder meiner Betriebe wird von einem eigenverantwortlichen Küchenchef mit dessen persönlicher Note geführt – so, als wäre es sein eigenes Haus.» Ein Verlust an kulinarischer Qualität? Wer in
einem der 15 Restaurants von Alain Ducasse gegessen hat, weiss, dass sein Delegationssystem Bestand hat. Ducasses «Familie», die inzwischen auf 650 Mitarbeiter angewachsen ist, sorgt dafür, dass Rezepte und Regeln eisern eingehalten werden, dass in Hongkong so gut gekocht wird wie in New York und dass keine Karte der anderen gleicht.
«Die Gastronomie muss eine Luxusindustrie werden», hat Ducasse kürzlich im «Figaro» dargelegt – und definiert gleich auch den Spitzenkoch neu: nicht mehr nur als Handwerker, sondern als Erfinder und Organisator von kulinarischem Hochgenuss. Sein Name ist zur weltweit bekannten Marke geworden, der Mann selbst zur lebenden Legende. Über sein Privatleben sickert nichts durch; bekannt ist, dass er eine zwanzigjährige Tochter und eine langjährige Partnerin hat.
«L’homme pressé», wie ihn die französischen Medien nennen, verbringt mehr Zeit in Flugzeugen als in seinen Restaurants. Schnell muss es bei ihm gehen, immer noch schneller: «Ich arbeite neun Tage in der Woche.» Ein Leben voller Zwänge und Verpflichtungen? «Weder noch. Aber ich muss, wenn es wirklich zählt, im richtigen Moment am richtigen Ort sein. Eine logistische Herausforderung.» Einen Steuerbeamten, der seinen Lebensstil besonders eifrig inspizieren wollte, soll Ducasse unlängst gewarnt haben: «Achtung, wenn Sie mir folgen, werden Sie Ihre 35 Stunden in zwei Tagen machen müssen.»
Die Basis für sein Gastroimperium legte der Herr der Herde im «Louis XV» in Monaco. Dem Hotelrestaurant des «Hôtel de Paris» erkochte der damals 30-Jährige innert 33 Monaten drei Michelin-Sterne. Lobeshymnen über seine Küche gibt es unzählige – wir überlassen sie den anderen. Nur so viel: Es geht bei Ducasse kulinarisch immer um das Einfache, das so schwer zu machen ist.
Im «Louis XV» hat Ducasse gelernt, mit Gourmetlokalen Geld zu verdienen und gleichzeitig die maximalen Bewertungen in den Gastroführern zu ernten. Das Gewinn bringende Rezept: Man nehme ein Weltklassehotel, lasse sich Saal, Küche und Personal vom Hotel bezahlen und sich selber durch ein monatliches «Beraterhonorar» entgelten. Das Modell «Louis XV» konnte Ducasse vor drei Jahren auf das Gourmetlokal im Pariser «Plaza Athénée» übertragen und sich damit ein zweites bezahltes Podium für seine weiteren Marken in anderen Kunden- und Preissegmenten schaffen.
Auf der Gewinnerseite ist nicht nur Ducasse, sondern neuerdings auch das Hotel: Gemäss «Plaza»-Direktor François Delahaye konnte das Pariser Drei-sternerestaurant im vergangenen Jahr 4,1 Millionen Euro Umsatz und einen Gewinn von 108 000 Euro erwirtschaften. Verglichen mit der durchschnittlichen Rendite der Ducasse-Gruppe, die bei zehn Prozent liegt, sowie den Menüpreisen um 250 Euro mag dieses Resultat etwas mager aussehen, aber angesichts des riesigen Aufwands (55 Mitarbeiter in Küche und Service für gleich viele Gäste; 80 Teile Silber, Porzellan und Glas pro Gast) kann sich das «Plaza» glücklich schätzen, sein Gourmetrestaurant nicht über die Zimmer subventionieren zu müssen, wie das in Luxushotels die Regel ist.
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Eines Tages hat sich Ducasse gedacht: Was für die Haute Cuisine funktioniert, lässt sich wohl auch in anderen Restaurants durchdeklinieren. Und er hat eine zweite Karriere gestartet, diejenige eines Entwicklers für Konzeptrestaurants. So entstand im Jahr 1998 das minimalistisch gestylte Fusion-Lokal Spoon in Paris, das inzwischen Ableger von London bis Mauritius hat; im Dezember 2003 kommt das «Spoon des Neiges» in Gstaad hinzu, das ebenfalls im Franchisingsystem betrieben wird. Unter Managementverträgen führt Ducasse auch die Pariser Trendlokale «59 Poincaré» und «Il Cortile» sowie das monegassische «Bar & Bœuf». «Die Wertschöpfung erzielen wir vor allem mit Franchise- und Consultingmodellen», erklärt Ducasse. Dennoch investiert seine Gruppe auch selbst: Im New-Yorker «Alain Ducasse at the Essex House» hält sie 90 Prozent, beim Pariser Bistro Aux Lyonnais ist
sie mit 50 Prozent beteiligt, und das neue Bäckereikonzept Boulangépicier wird derzeit ganz auf eigenes Risiko lanciert. Die beiden Landhaushotels Bastide de Moustiers und Abbaye de la Celle in der Provence gehören Alain Ducasse ebenfalls persönlich.
Vor vier Jahren holte sich Ducasse den heute 36-jährigen Betriebswirt Laurent Plantier ins Haus, der dafür sorgt, dass die Ideen des rastlosen Küchenmeisters Profit abwerfen. Eine der ersten Handlungen von Plantier war der Kauf der damals im Sinkflug befindlichen Hotelvereinigung Châteaux & Hôtels de France mit 526 Betrieben. Inzwischen hat sich die Hotelgruppe einer radikalen Metamorphose unterzogen und überzeugt mit gut funktionierender Reservationszentrale und strikten Qualitätskontrollen. Auch die Kochschule für Profis entstand auf Plantiers Anraten – und macht bereits 1,3 Millionen Euro Jahresumsatz.
Ob neues Kochbuch, neues Restaurant oder neue Partner – Plantier plant den Erfolg der Gruppe und sondiert weitere Verteilkanäle für die Marke Alain Ducasse. Ist es ökonomische Notwendigkeit, stetig zu wachsen, um das ganze Imperium am Laufen zu halten, wie der französische Gastrokritiker Gilles Pudlowski in einem Artikel mit der Überschrift «Dr. Jekyll and Mr. Ducasse» vermutet? Alain Du-casse lassen solche Attacken kalt: «Wir haben eben erst begonnen.»
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