Frieren Sie?
Alain Rossier: Frieren? Sollte ich?
Immerhin bläst Ihnen von Deutschland her seit längerem eine kalte Brise ins Gesicht.
Rossier: Es herrscht tatsächlich eine gewisse Eiszeitstimmung mit Süddeutschland.
Was belastet mehr: Das Unglück in Überlingen oder die Diskussion um den Zürcher Flughafen und die Südanflüge?
Rossier: Es kommt alles zusammen. Das raue Klima ist eine Folge verschiedener Ereignisse.
Als Neustes kommen auch noch die Treibstoffablässe dazu. Von deutscher Seite wird behauptet, Sie würden absichtlich Kerosin über süddeutschem Gebiet verteilen.
Rossier: Das ist Blödsinn. Auch über der Schweiz wird Treibstoff abgelassen. Das sind ganz normale betriebliche Vorgänge, die nichts mit bösem Willen zu tun haben.
Also alles Unterstellungen?
Rossier: Es zeigt die Stimmung: Alles Mögliche wird von einigen Leuten für politische Zwecke missbraucht – fern jeglicher Vernunft.
Wann wird sich das Verhältnis normalisieren?
Rossier: Ich sehe leider keine Besserung am Horizont.
Das tönt jetzt gar pessimistisch.
Rossier: Es ist realistisch. Man kann tun, was man will, ein Teil der Bevölkerung wird immer unbefriedigt bleiben. Eine Lösung aller Probleme für alle ist nicht in Sicht.
Themen wie Südanflüge werden weiter Ihre Agenda bestimmen.
Rossier: Wir können nicht bestimmen, ob es nun Südanflüge geben soll oder nicht. Wir müssen uns den vorgegebenen politischen Bestimmungen beugen. Damit muss ich leben. Was ich jedoch nicht akzeptiere, ist, wenn die politische Kontroverse auf dem Buckel der Fluglotsen ausgetragen wird.
Hat sich die Lage für Ihre Fluglotsen verschlimmert?
Rossier: Nein, im Gegenteil, glücklicherweise. Schwierig war die Situation, als der Staatsvertrag abgelehnt wurde und Sofortmassnahmen eingeführt werden mussten.
Übereilte Entscheide, anhaltend schlechtes Klima mit Deutschland – macht da der Job noch Freude?
Rossier: Trotz allem habe ich meine Jobwahl nie bereut. Die Aufgabe ist nach wie vor interessant, man hat Gestaltungsraum.
Der Druck auf Sie bleibt hoch. Vor allem durch die angeheizte Sicherheitsdiskussion der letzten Monate. Ist diese gerechtfertigt?
Rossier: Selbstverständlich darf und muss darüber geredet werden. Die Grundlage für diese Diskussion ist klar: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht. Die Frage ist: Welchen Sicherheitsstandard will man? Was darf er kosten? Welche Auswirkungen ist man bereit, dafür in Kauf zu nehmen?
Die Antwort?
Rossier: Die müssen Sie nicht von mir erwarten – die muss der Regulator liefern. Er gibt uns die Rahmenbedingungen vor.
Hat das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) überreagiert?
Rossier: Sagen wir es so: Noch vor wenigen Jahren wurde zu wenig im Regulationsbereich getan – das ändert sich nun. Es werden klarere Regelungen aufgestellt nach dem Motto: «Was gilt und was gilt nicht».
Begrüssen Sie die neuste Bazl-Regelung, die Sicherheitsdistanzen zwischen zwei Flugzeugen auf den Pisten 14 und 16 zu verlängern – was zu happigen Verspätungen führt?
Rossier: Das ist eine schwierige Frage. Ich begrüsse diese Regelung, wenn man sich im Bazl bewusst ist, was man damit im ganzen System genau auslöst.
Was meinen Sie?
Rossier: Die Frage ist: Was ist die Rolle von Skyguide?
Die Antwort.
Rossier: Unsere Rolle ist, Regeln einzuhalten, die man uns auferlegt. Wenn nun das Bazl zum Schluss kommen würde, es dürfe nur noch ein Flieger pro Stunde Zürich anfliegen, dann müssten wir das akzeptieren.
Wie ist die Stimmung zwischen Skyguide und Bazl?
Rossier: An und für sich gut. Wir haben immer einen starken Regulator verlangt, der die Kriterien festlegt, die gelten sollen. Das Bazl ist daran, sich in diese Richtung zu entwickeln. Wir haben einen guten Draht zum Bazl.
Wie beurteilen Sie die Luftfahrtpolitik von Bundesrat Moritz Leuenberger?
Rossier: Das ist eine unfaire Frage. Andere können die viel besser beantworten.
Die Airlines fordern tiefere Gebühren, gleichzeitig steigen die Sicherheitsansprüche. Wie gehen Sie damit um?
Rossier: Wir sparen intelligent.
Wie?
Rossier: Wir automatisieren gewisse Vorgänge, deshalb gibt es leider auch einen Personalabbau – aber nicht in den sicherheitsrelevanten Bereichen. Dort stocken wir unser Personal dieses Jahr wie schon 2003 um nochmals rund 30 Leute auf.
Und wie viele Personen werden entlassen?
Rossier: Das ist offen. Wir sprechen zurzeit mit den Betroffenen.
Bewegt sich der Abbau in der Grössenordnung der neu eingestellten Mitarbeiter?
Rossier: Ja. Der Personalbestand von 1400 wird sich stabilisieren.
Ausser technischer Optimierung und Entlassungen – wie wollen Sie noch Kosten senken?
Rossier: Wir verhandeln mit unseren Sozialpartnern über Möglichkeiten, auch die Löhne in die Überlegungen einzubeziehen.
Wie gehen Sie mit dem Spardruck der Airlines um?
Rossier: Da wieder mehr geflogen wird und wir gleichzeitig unsere Abläufe optimieren, können wir die Gebühren senken.
Um wie viel? Der Entscheid sollte doch in diesem Monat fallen.
Rossier: Wir haben unseren Vorschlag auch bereits ans Umwelt- und Verkehrsdepartement weitergeleitet. Sobald wir die Entscheidung haben, werden wir kommunizieren. Der Gebührenrückgang wird jedoch erfreulich sein.
Also 20% tiefere Preise?
Rossier: (lacht) Sie werden es früh genug erfahren.
20% des Umsatzes machen Sie mit Swiss. Werden Ihre Bedürfnisse speziell berücksichtigt?
Rossier: In der Schweiz subventionieren die Überflüge zum Beispiel die Abflüge, was vor allem Swiss entgegenkommt. Wir dürfen aber weder Swiss noch eine andere Fluggesellschaft bevorzugen.
Was tun Sie, damit Deutschland, Italien und Frankreich für Ihre Gratisleistungen in der Höhe von 30 Mio Fr. bezahlen?
Rossier: Wir können nicht viel tun. Es ist eine politische Angelegenheit. Die Gespräche zwischen den Regulatoren laufen. Vor 2007 oder 2008 wird es aber wohl keine verbindliche Lösung geben.
Bis dahin werden Sie Gratisleistungen erbringen?
Rossier: Ihre Vermutung ist richtig.
Das ist eine absurde Situation.
Rossier: Das ist so. Wir müssen die Kosten für unsere Auslanddienste all denjenigen verrechnen, die den Schweizer Luftraum nutzen.
Keine Zwischenlösung in Sicht?
Rossier: Man könnte sich auf einen pauschalen Übergangspreis mit den ausländischen Regierungen einigen.
Das bedeutet: Die Tarife könnten nochmals sinken, nach 2007 gar markant?
Rossier: Ja – wenn uns zusätzlich noch das eidgenössische Parlament entgegenkommt und gewisse Kosten übernimmt, die nicht zu unseren direkten Aufgaben gehören.
Welche zum Beispiel?
Rossier: Die rund 15 Mio Fr. jährlichen Regulatorkosten.
Bei den Regionalflughäfen kommen Sie auch nicht zu Ihrem Geld. 20 Mio Fr. müssen Sie deshalb auf die Tarife schlagen.
Rossier: Hier stellt sich die Frage: Was ist Service public, was nicht. Das ist im Luftfahrtbericht nicht klar definiert. Mein Vorschlag ist: Alles, was die Infrastruktur betrifft, hat Service-public-Charakter. Alles, was den Betrieb angeht, nicht.
Soll Skyguide eine staatsunabhängige Aktiengesellschaft sein?
Rossier: Das wäre nur schwer möglich. Luftsicherung ist eine hoheitliche Aufgabe. Weltweit. Der Staat kann diese Aufgabe delegieren, er hält aber zu Recht die Mehrheit wie in allen europäischen Ländern.
Aber etwas mehr Freiraum wäre Ihnen recht.
Rossier: Mir ist bewusst, dass wir in einem politischen Umfeld arbeiten und die Entscheide der Politik umzusetzen haben. Ein Beispiel: Die Umstellung auf das heutige An-flugregime in Zürich kostete 13 Mio Fr.
Fragen wir anders: Wo ist denn Ihr Freiraum?
Rossier: Zum Beispiel setzen wir die Tarife fest. Sie müssen dann noch abgesegnet werden. Aber es ist klar: Wenn wir einen effizienten Betrieb haben möchten, müssten wir anders wirtschaften als jetzt.
Wie?
Rossier: Die Auflagen sind so einschränkend, dass die Kapazität der An- und Abflüge beeinflusst wird. Wenn man uns einzig Kapazität und Sicherheitsstandard vorgeben würde, dann würden wir den Flughafen anders an- und abfliegen.
Der Luftfahrtbericht stellt den Hub in Zürich in Frage.
Rossier: Das ist eine Sorge. Will man einen betriebsfähigen Hub haben? Die Auflagen, die wir heute bekommen, führen dazu, dass der Betrieb immer ineffizienter wird.
Ineffizient heisst auch teurer für jene, die den Flughafen nutzen.
Rossier: Die Kosten bleiben gleich, sie verteilen sich einfach auf weniger «Köpfe», weil der Flughafen weniger angeflogen werden kann. Gegenüber dem vergangenen Jahr hat Zürich rund 0,3% weniger Bewegungen registriert.
Der europäische Luftraum wird aufgeteilt. Eigentlich könnten die Aufgaben von Skyguide von der deutschen, französischen und italienischen Flugsicherung übernommen werden.
Rossier: Man könnte auch sagen, dass Skyguide Teile von Deutschland, Frankreich und Italien übernehmen würde. Schliesslich sind wir die produktivste Flugsicherung in Europa. Das ist ein langer und politischer Prozess.
Was ist vorstellbar?
Rossier: Nehmen wir ein simples Beispiel in Frankreich: Die Luftüberwachung in Marseille könnte an einem Wochenende geschlossen sein, und die Genfer übernehmen deren Luftraum oder umgekehrt.
Dann könnte auch nur ein Zentrum die Überwachung machen.
Rossier: Je grösser, desto günstiger gilt in der Flugüberwachung nicht. Die Kunst ist, die optimale Grösse zu finden. Von heute rund 40 Flugsicherungen in Europa wird die Zahl auf 20 bis 30 sinken.
Warum braucht die Schweiz zwei Zentren?
Rossier: Zum Beispiel für Krisenfälle: Wenn eines brennt, kann das andere übernehmen.
Wie läuft das Geschäft im 2004?
Rossier: Erfreulich. Besser als budgetiert, sowohl beim Umsatz wie auch beim Gewinn.
Also machen Sie mehr Gewinn
als 2003, wo Sie 14 Mio Fr. verdienten?
Rossier: Wir müssen eine Null schreiben, das ist das Ziel. Wir sind nicht gewinnorientiert. Wenn wir Gewinn schreiben, dann haben die Fluggesellschaften ein Jahr lang zu viel bezahlt.
Sie streben nicht danach, besser als im Vorjahr zu sein?
Rossier: Natürlich wollen wir immer einen kleinen Gewinn schreiben, damit wir Manövriermasse haben.
Also wieder 14 Mio Fr.?
Rossier: In der Grössenordnung.
Was ist das dringendste Problem, das man in der Schweizer Luftfahrtpolitik lösen muss?
Rossier: Ich kann mich nicht äussern. Es gibt eine grosse Tabuzone, die heisst: Politik.