Grün, grün, grün. Überall grün. Die Farbe der Hoffnung hat im grössten Reinraum Europas zwei Beine und zwei Hände, sitzt an einem Mikroskop und führt in stoischer Ruhe Arbeiten aus, an der zappelige Zeitgenossen zerbrechen würden. Die hier mit Akribie gefertigten Führungsdrähte, Ballonkatheter und Gefässprothesen (so genannte Stents) sind dazu bestimmt, verstopfte Blutgefässe zu öffnen und damit im Endeffekt Leben zu retten.
Selbiges schien das Bülacher Unternehmen in wirtschaftlicher Hinsicht ausgehaucht zu haben damals, 1999, als es noch unter dem Dach der Schneider-Gruppe operierte und von ihrem amerikanischen Besitzer unter medialem Donnerwetter dicht gemacht wurde. Rettung nahte aus Nordost: Von Know-how und Produkten überzeugt, übernahm das Berliner Medtech-Unternehmen Biotronik im selben Jahr einen Grossteil der Belegschaft und die Räumlichkeiten im Zürcher Unterland. Einen dreistelligen Millionenbetrag soll der deutsche Familienkonzern dem Vernehmen nach in den Forschungsstandort Bülach gesteckt haben. Das Engagement scheint sich zu lohnen. Der Bereich Vaskuläre Interventionen ist heute das zweite Standbein der auf Herzschrittmacher und Defibrillatoren spezialisierten Biotronik.
«Think out of the Box»
Eingepackt in einen mintfarbenen Schutzanzug, das Haar streng unter der engen Haube versteckt, passiert Albert Panzeri die Schleuse zum hermetisch abgeriegelten Reinraum. Seit 2003 steht der Luzerner in Diensten von Biotronik, zum einen in der Funktion des Vizepräsidenten der in Berlin domizilierten Gesamtgruppe, zum anderen als Managing Director des Schweizer Ablegers.
Den Bereich Medizinaltechnik kennt er aus dem Effeff: Bei Sulzer Medica, Boston Scientific und Opopharma hatte er leitende Stellungen inne, hinzu kommen zwei Engagements bei Unternehmen, an deren Gründung und Aufbau er wesentlich mitbeteiligt gewesen ist. «Ich bin», streut der 47-Jährige immer wieder mal ein, «ein Macher; planen, aufbauen, das liegt mir mehr denn eine handwerkliche Arbeit.»
Das habe sich schon früh einmal abgezeichnet. Im bisher mit schöner Regelmässigkeit praktizierten Wechsel zwischen freiem Unternehmertum und faktischem Angestelltenstatus sieht der Abkömmling einer Bauhandwerkerfamilie keinen Widerspruch. «Meine Arbeit mache ich so oder so mit Engagement. Und Rechenschaft ist man immer irgend jemandem schuldig, seis sich selber, seis dem Chef, seis der Konzernleitung oder auch den Aktionären.»
Teamarbeit, das Individuum, das als solches auf seine Stärken besonnen dem Ganzen zum Erfolg verhilft, steht denn auch im Zentrum von Albert Panzeris Motivationsparolen, die da primär lauten: «Business is people», «Think out of the box» und «Jeder Mitarbeiter soll ein Unternehmer im Unternehmen sein».
Er bewegt sich im Umfeld von Produkten und Personen, die Leben retten sollen und wollen. Ein Umstand, der zuweilen auch abfärbt, wie der dreifache Familienvater gesteht. «Man lebt bewusster und hört auf die Signale, die der Körper aussendet. Gleichzeitig aber wird man auch gelassener, denn man weiss, was man sich und seinem Herzen zumuten kann.»
Auf dem Skeleton-Schlitten
Das Herz. Ihm zuliebe hat Albert Panzeri das Rauchen vor ein paar Jahren aufgegeben. Ein Gesundheitsapostel ist er deshalb noch lange nicht. Der 47-Jährige schluckt bei diesem Attribut einmal leer und kommt auf sein Hobby zu sprechen. Wenn oben in St.Moritz der Winter einkehrt, schiesst der weit zurück verfolgbar italienischstämmige Tempofreund («nur neben der Strasse, im Verkehr halte ich mich an die Regeln») bäuchlings den Eiskanal hinunter, auf einem Skeleton-Schlitten, der ihn mit Tempo 130 und einer Handbreit Bodenfreiheit unter dem vakuumverpackten Nabel nach Celerina spediert.
Panzeri, ein Adrenalinjunkie im Cresta-Run? «Ach was», winkt der ab, «der Kick ist nicht das Wesentliche. Was zählt, ist viel mehr das Gefühl, das sich am Ziel einstellt: Jawoll, ich habe die Strecke im Griff, ich habe die Schwierigkeiten gemeistert, ich habe die Kontrolle über Bahn und Gefährt.» Er sei halt, und das habe nicht nur im Sport Gültigkeit, ein Kontrollfreak. «Ich muss stets die Übersicht haben, wissen, woran ich bin und wie etwas weitergeht.»
Damit verbunden sei in seinem Fall ein ausgeprägtes Mass an Ungeduld. Er gibt dies freimütig zu Protokoll, im Wissen darum, dass sein Umfeld von diesem menschlichen Zug sowieso und gezwungenermassen Kenntnis hat. «Ich will mich bessern und arbeite daran», schmunzelt Panzeri, «aber wie heisst es so schön in einem amerikanischen Sprichwort: Never teach an old dog new tricks.»
Überdurchschnittlicher Einsatz ist gefordert
Albert Panzeri ist ein dynamischer, kommunikativer Typ. Ein Mann der klaren Worte, wie sein Umfeld sagt. Schreitet er durch die lange Reihe Arbeitsplätze, an denen Menschen aus annähernd 30 Nationen Katheter herstellen, biegt er gerne ab, um ein kurzes Gespräch zu führen. «Ich bin offen und ehrlich, das gleiche fordere ich von meinem Gegenüber. Ein gewisses Mass an Harmonie ist in einem Betrieb auch unabdingbar», bemerkt der Manager.
Was er zudem fordert: Überdurchschnittlichen Einsatz. «Unsere Eltern haben noch über 60 Stunden die Woche gearbeitet, unsere Generation ist auch am Samstag zur Schule gegangen, und wir müssen wieder lernen, dass für das, was wir verlangen, auch Leistung erbracht werden muss. Nur so können wir uns Wettbewerbsvorteile schaffen.»
Was Panzeri, der Mille-Miglia-Fahrer, Waldläufer und Rotarier, indes nicht ausstehen kann: Unverbindlichkeiten, Engstirnigkeit und Laueri-Zeugs. Die Rolle des Chefs wiederum interpretiert er im Sinne eines Motivators, eines Visionärs mit Bodenhaftung. Letztere ist auch vonnöten in einem Business, in dem der Fortschritt unabdingbar und der Vorsprung gegenüber der mächtigen Konkurrenz aus Übersee entscheidend ist, Hast und Unachtsamkeit sich indes als Todsünde herausstellen können.
Ein Chefarztdouble und eine Weltneuheit
Albert Panzeri, der stetig zwischen Meggen, wo die Familie ihr Zuhause hat, den Arbeitsplätzen Baar, Bülach, der Konzernzentrale in Berlin und dem Rest der Welt hin und her pendelt, navigiert in Richtung Umkleideraum. Kein einfaches Unterfangen in einem Komplex, der mit Schleusen und Sicherheitstüren nur so gespickt ist. Reinraum, rausraum, Reinraum nach einer Zusatzschleife über den Notausgang ist das Ziel erreicht, Panzeri entledigt sich in der Garderobe seines mintgrünen Overalls, der ihn, den Nichtmediziner, hat aussehen lassen wie einen Chefarzt im Operationssaal.
Die Operation am vor sechs Jahren totgesagten Patienten Schneider, der als Biotronik wieder auferstanden ist, ist geglückt. Der Genesungsprozess abgeschlossen, eine verordnete Ruhepause gibt es nicht in Bülach. Im Gegenteil. Der neu gewonnene Elan des Unternehmens soll im nächsten Jahr mit einer Weltneuheit untermauert werden. Mit einem resorbierbaren Stent, der sich nach erfolgter Heilung selber auflöst. Albert Panzeri sieht in dieser Entwicklung nicht zuletzt seine persönliche wie auch die Strategie von Biotronik manifestiert: «Wir wollen in diesem Business nicht einfach mitmachen und anbieten, was andere auch anbieten wir wollen innovativ sein, revolutionär».