BILANZ: Herr Schellenberg, die Staranwälte im Swissair-Prozess zerzausten Ihre Berichte für die Staatsanwaltschaft nach Strich und Faden. Bereuen Sie, den Auftrag angenommen zu haben?
Aldo Schellenberg: Keine Sekunde. Es war eine spannende Sache für mich. Selbst mit dem heutigen Wissen um den Sturm vor Gericht würde ich den Auftrag wieder gleich ausführen.
Sie zeigen sich überrascht von der Härte der Kritik. Waren Sie naiv?
Dass die Verteidigung alles daransetzte, meine Berichte inhaltlich zu entschärfen, war mir klar. Betroffen machten mich persönliche Angriffe unter der Gürtellinie.
Als Gutachter sind Sie umstritten. Der Schweizer «Buchhaltungspapst» Max Boemle nennt Sie ein Leichtgewicht unter Wirtschaftsprüfern.
Herr Boemle hat Hervorragendes geleistet. Im Moment stehen wir uns als Gutachter in einem grossen Zivilprozess gegenüber. Möglicherweise versucht Herr Boemle aus diesem Grund, mich in ein schiefes Licht zu rücken.
Ihr Büro erhält immer wieder staatliche Aufträge. Sind Sie ein Gutachter, bei dem die Strafverfolger Berichte je nach Gusto bestellen können?
Der Umsatz von Schellenberg Consulting aus staatlichen Aufträgen liegt im Mittel unter 50 Prozent. Und meine Analysen dienen immer der Wahrheitsfindung. Würde ich einseitig, fachlich falsch oder quasi per Gefälligkeit arbeiten, dann erhielte ich keine Aufträge mehr. Als Gefälligkeitsgutachter könnte ich kaum 15 Jahre lang in diesem Geschäft überleben.
Sie schätzten die stillen Reserven der Swissair-Nebenbetriebe auf über acht Milliarden Franken, dann musste die Staatsanwaltschaft massiv herunterkorrigieren. In einem zentralen Punkt der Anklage griffen Sie arg daneben.
Ich interpretierte eine Analyse der Swissair-Beratungsfirma Roland Berger nicht korrekt. Ein Gegengutachten der Verteidigung kam auf eine tiefere Zahl, der ich mich in einem Zusatzbericht zuhanden meiner Auftraggeberin anschloss.
Damit fällt der zentrale Vorwurf der Überschuldung, der zur Anklage gegen den gesamten Swissair-VR geführt hat, in sich zusammen.
Falsch. Selbst mit meiner Schätzung, die massiv zugunsten der Angeklagten ausfiel, war der Airlinebereich überschuldet. Das zeigt das Ausmass des schwarzen Loches. Aber klar: Dass wir hier der Verteidigung recht geben müssen, hat eine gewisse Peinlichkeit.
Am Prozess sassen Sie wie ein Mitarbeiter in den Reihen der Staatsanwaltschaft. Auf die Richter müssen Sie einen befangenen Eindruck gemacht haben.
Verteidigung, Staatsanwaltschaft und ich sind uns einig, dass ich kein Sachverständiger nach Strafprozessordnung bin, sondern eine Art fachlicher Coach der Anklagebehörde. Ich musste permanent betriebswirtschaftliche Fragen rund um die untersuchten Sachverhalte abklären, manchmal als kurze Memos, manchmal als lange Berichte. Vor Gericht schliesslich half ich der Staatsanwaltschaft, neue Argumente der Verteidigung zu kontern. Wenn meine fachlichen Urteile nachvollziehbar sind, sollten sie für den Prozess verwertbar sein, glaubt die Anklagebehörde.
Sollte das Gericht die Anklage in Bausch und Bogen verwerfen und die Angeklagten grösstenteils freisprechen: Hätte das Folgen für Sie als Gutachter?
Das hängt davon ab, wie über meine Arbeit fachlich geurteilt wird. Ich habe diese nach bestem Wissen und Gewissen erstellt, gestützt auf Akten und Befragungen. Sogar unter den Angeklagten finden sich positive Stimmen. So entstand beispielsweise mit der Ex-Swissair-Finanzchefin ein fachlicher Dialog. Sie schätze das sehr, sagte Frau Fouse einmal. Da kam es auch mal vor, dass ich der Übersetzerin sagte: «Lassen Sie ‹Cashflow› nur stehen, das benützen wir auch auf Deutsch.»