Neue Technologien verbessern die Produktivität, führen zu mehr Wachstum und Wohlstand. Dieses Rezept aus zwei Jahrhunderten Industriezeitalter hat das unternehmerische Denken und Handeln nachhaltig beeinflusst. Wir sind jedoch bereits in einem neuen Zeitalter angelangt: dem Informationszeitalter. Und je weiter wir uns vom Industriezeitalter entfernen, desto mehr verändern sich die herkömmlichen Vorstellungen von Produktivität und Wachstum. Die wirtschaftlichen Spielregeln der Informationsgesellschaft machen eine neue Sicht auf jene Faktoren notwendig, die Arbeitsproduktivität und Wirtschaftswachstum verbessern und uns langfristigen Wohlstand sichern. Erfolgreiche Schweizer Unternehmen unterschiedlichster Branchen und Grössenordnungen machen es uns schon heute vor: Unter den Rahmenbedingungen hoch entwickelter Volkswirtschaften in einem globalen und informationsgetriebenen Umfeld ist ein Überleben nur möglich, wenn gleichzeitig nachhaltiges Wachstum stattfindet. Solche Unternehmen vereinen gleichermassen unternehmerische Kreativität, Innovationskraft und Risikobereitschaft, bewegen sich in flachen Hierarchien, finden neue Geschäftsmodelle und Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit ihren Kunden und Partnern. Und sie setzen auf das Potenzial ihrer Mitarbeitenden, ihre Motivation, ihren Ideenreichtum und ihre Eigenverantwortung. Damit sich diese Komponenten nahtlos zu einem erfolgreichen Geschäftsmodell verbinden, ist der zielgerichtete Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) entscheidend. Denn nur nachhaltig eingesetzte IKT bieten auch wirkliche Lösungsansätze betriebswirtschaftlicher Innovation und tragen zur Produktivitätssteigerung bei.
Als Präsident der Stiftung Produktive Schweiz setze ich mich intensiv mit der Bedeutung von Produktivität durch den geschickten Einsatz von Informationstechnologien auseinander. Es ist offensichtlich, dass wir das entsprechende Potenzial für ein nachhaltiges Produktivitätswachstum in der Schweiz – anders als beispielsweise in den skandinavischen Ländern – bisher nicht genügend konsequent genutzt haben. Dafür spricht auch das «Schweizer Paradox», wie es Xavier Comtesse von Avenir Suisse beschreibt: das Missverhältnis zwischen unseren Investitionen in Informationstechnologien – die Schweiz ist weltweit das Land mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben im IKT-Bereich – und dem Beitrag dieser Investitionen zum tatsächlichen Produktivitätswachstum, bei dem unser Land unter 15 Staaten (14 europäischen sowie den USA) den 11. Rang belegt. Es gehört zur vordringlichen Aufgabe unserer Stiftung, das Bewusstsein für den enormen zusätzlichen Nutzen moderner IKT zu schärfen und aufzuzeigen, dass es sich lohnt, ausser in Technologien vor allem in die Mitarbeitenden und ihren Umgang mit Informationstechnologien zu investieren. Denn letztlich sind es immer die motivierten Mitarbeitenden, die echte Innovation schaffen.
Und dies ist heute notwendiger denn je. Denn der internationale Wettbewerb ist weitgehend ein Innovationswettbewerb auf vielen Ebenen. Er verlangt die rasche Umsetzung von Ideen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen, in neue Geschäftsmodelle und kreative Wertschöpfungsketten, um wieder auf den Wachstumspfad zurückzukehren. Gleichzeitig müssen wir Marktsignale noch schneller erkennen und richtig interpretieren. Deshalb basiert Innovation nicht zuletzt auch auf der Fähigkeit, Informationen nicht nur effizient, sondern vor allem effektiv zu verarbeiten und daraus handlungsrelevantes Wissen zu schaffen. So hat Peter Drucker angesichts des am Horizont aufscheinenden Informationszeitalters bereits 1959 den Begriff des «knowledge worker», des Wissensarbeitenden, geprägt. Und dieses Konzept hat uns die Türen geöffnet für das Verständnis eines weiter gefassten Begriffs der Informationsarbeit. Heute basiert ein massgeblicher Teil der Wertschöpfungsaktivitäten auf Information und Kommunikation – ein Trend, der langfristig anhalten wird. Beschaffung, Anwendung und Verteilung von Informationen sind damit zum Lebensnerv der modernen Wirtschaft geworden, und der planvolle Umgang mit Informationen ist für alle Berufe und Hierarchiestufen unabdingbar.
Genau hier setzen wir mit der Stiftung Produktive Schweiz und dem uns angegliederten Schweizerischen Produktivitätsinstitut an. Wir wollen aufzeigen, was gute Informationsarbeit leisten kann, mit konkreten Anwendungen ebenso wie mit Forschungsbeiträgen. Und wir wollen mithelfen, die Kluft zwischen Anwendern und Technologieanbietern zu schliessen, damit die Schwerpunkte von der reinen Technologie- hin zur praktischen Anwendungsberatung verschoben werden. Unser Ziel ist es, den Dialog zwischen Technologen und Anwendern massiv zu fördern und aktiv mitzugestalten. Mit der Entwicklung eines Produktivitätsbarometers wollen wir bis zum kommenden Frühjahr erst einmal aufzeigen, wo die Schweiz bezüglich Informationstechnologien und der daraus gewonnenen Produktivität überhaupt steht. Denn nur was messbar ist, kann auch nachweislich verbessert werden. Dafür sind neue Denkansätze notwendig, denn die herkömmlichen Methoden der Produktivitätsmessung berücksichtigen die «weichen» Faktoren erfolgreicher Informationsarbeit zu wenig; qualitativ bessere Entscheidungen, eine höhere Qualität von Produkten und Dienstleistungen, schnellere Reaktionszeiten, zufriedenere Kunden und Mitarbeitende oder die Förderung eines aktiven Innovationsgeistes wurden mit herkömmlichen Methoden kaum je bewertet.
Dabei spielt es eine zentrale Rolle, dass wir uns vom Erfahrungswissen der traditionellen Industrieorganisation verabschieden, die das Handeln im Unternehmensalltag nach wie vor leitet. Starre Hierarchien und in Stein gemeisselte Prozesse und Wertschöpfungsketten, in denen der Mensch als Produktionsfaktor eisern eingebunden ist, haben sich heute weitgehend überlebt. Gefragt sind Flexibilität und das Abflachen traditioneller Hierarchien. Ausgedient haben auch feste Kommunikationsstrukturen – sie werden durch eine dynamische Team- und Gruppenkommunikation abgelöst. Werte wie Eigenverantwortung, Selbständigkeit, Selbstverwirklichung und Individualität werden in diesem Umfeld immer wichtiger. Sie tragen dazu bei, dass die Arbeitsgestaltung und die Formen der betrieblichen Wertschöpfung einen tief greifenden Wandel durchmachen.
Damit sind beträchtliche Anforderungen an die Fähigkeiten der Mitarbeitenden verbunden. Sie müssen laufend mehr Informationen aufnehmen, richtig interpretieren und verarbeiten und dabei erst noch kundenorientiert handeln. Auf der Grundlage einer verbesserten Anwendungskompetenz im Umgang mit moderner IKT arbeiten Informationsarbeitende sämtlicher Stufen und Hierarchien nicht nur effizienter, sondern sind auch motivierter und daher besser in der Lage, versteckte Innovationspotenziale auszuschöpfen. Hier lohnt es sich, Investitionen zu tätigen in die gezielte Aus- und Weiterbildung von Informationsarbeitenden, die diese neuen Formen der Kommunikation und partnerschaftlichen Zusammenarbeit in betrieblichen Prozessen ausführen, gestalten und leiten werden. In diesem Wissen entwickeln die Stiftung Produktive Schweiz und das Schweizerische Produktivitätsinstitut geeignete Methoden und Hilfsmittel für eine Optimierung der Informationsarbeit. So sollen Produktivitäts-Assessments Aufschluss über Schwachstellen und Doppelspurigkeiten geben, während einfach zu handhabende Werkzeuge, Checklisten und Handlungsanweisungen geschaffen und vermittelt werden, um solche Unzulänglichkeiten zu beheben. Ob für den Gebrauch von E-Mail, für Lösungen der Echtzeitkommunikation oder die Planung und Ausführung der unternehmenseigenen Sitzungskultur – zunehmend entscheiden stets umfassendere, noch enger vernetzte Informations- und Kommunikationstechnologien über Erfolg oder Misserfolg unserer geschäftlichen Aktivitäten. Dabei ist insbesondere das Management gefordert, die Steigerung der Produktivität in der Informationsarbeit als eine zentrale Aufgabe wahrzunehmen und systematisch umzusetzen, ein Prozess, der – ebenso wie etwa die Personalentwicklung – auf Kontinuität und Langfristigkeit angelegt sein muss. Rasche Gewinne wird es nicht geben. Wer heute beginnt, sich mit dieser Aufgabe zu befassen, wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine nachhaltige Wirkung erzielen und besser für den Innovationswettbewerb gewappnet sein. Mit der in dieser Ausgabe der BILANZ beginnenden Serie zur Steigerung der Produktivität wollen wir einen ersten Beitrag dazu leisten.