Jack Ma ist nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer und der reichste Mann Asiens (zumindest für den Moment). Der ehemalige Englischlehrer macht sich auch gerne Gedanken zu anderen Themen und liebt es seine politischen, wirtschaftlichen und philosophischen Überzeugungen mitzuteilen. In einem ausführlichen Interview mit der «South China Morning Post» (SCMP) gibt Ma einen Einblick in die Motive seines Handelns und seine Vorstellungen von Chinas Aufstieg in der Welt. Die Zeitung aus Hongkong war erst im Dezember von Mas Internetkonzern Alibaba gekauft worden.
Er habe das Glück, die Welt bereisen zu können, erklärt Ma. Dabei sei er auf viele falsche Vorstellungen zu China gestossen. «Je mehr ich über die Aussenwahrnehmung von China erfahre, desto stärker wird mein Gefühl, dass die Medien nicht das ganze Bild vermitteln.» Hier sehe er die grosse Chance für die SCMP. Denn während die westliche Kultur auf Wissen und Fakten fokussiert sei und deshalb zu einem schwarz-weissen Weltbild neige, stehe in China der Wandel im Vordergrund: «Es ist wie im Taichi, alles ist ständig im Fluss.»
Kleineres Wachstum ist gut
Chinas schwächelndem Wachstum kann Ma deshalb durchaus etwas Positives abgewinnen. Nach 30 Jahren auf der Überholspur seien die früheren Zuwachsraten für China gar nicht mehr wünschenswert. Zu schnelles Wachstum sei nicht nachhaltig und schlecht für die Umwelt. «Wir müssten uns mehr Sorgen machen, wenn Chinas Wirtschaft weiterhin zweistellig zulegen würde», glaubt Ma. Nur mit einer kleineren Wachstumsrate könne man die echten Probleme angehen.
Die grössten Herausforderungen für China seien Umweltzerstörung und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. «Für ein kleines Schiff ist es einfach den Kurs zu wechseln.» Aber als zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt sei das etwas anderes. «China ist wie ein Ozeandampfer». Da müsse man zuerst abbremsen, bevor man die Richtung ändern könne. Für die nächsten 15 bis 20 Jahre sehe er dennoch weiterhin viele unternehmerische Möglichkeiten, so der Alibaba-Gründer.
Lokale Kultur verstehen und schätzen
«Ich glaube, dass China grossartige Firmen hervorbringen wird», sagt Ma. 1,3 Milliarden Menschen, davon 200 bis 300 Millionen im Mittelstand, seien ein gewaltiges Potenzial für Dienstleistungen und Internet-Technologie. «Für mich ist das Unternehmertum die wichtigste Voraussetzung», sagt der Selfmade-Milliardär. «Wenn es in China gedeiht, dann wird China erfolgreich sein.»
Die aktuelle Panik bei einigen ausländischen Investoren kann Ma nicht verstehen. «Wer in China Geschäfte machen will, braucht einen langen Atem», sagt er mit Blick auf die Kapitalflucht, die das Land in den letzten Monaten erfasst hat. Wer sich in China durchsetzen wolle, müsse die lokale Kultur verstehen und schätzen lernen. «Das ist das Geheimnis des Erfolges in einer globalisierten Welt.»
Niemals aufgehört vom Westen zu lernen
«Die Leute fragen mich, warum es so wenige amerikanische Techfirmen in China geschafft haben», erzählt Ma, «doch auch von den hunderttausenden Internet-Startups, die in den letzten 20 Jahren in China gegründet wurden, haben nur wenige überlebt». Neben Baidu, Alibaba und Tencent gebe es vielleicht 20 bis 30 erfolgreiche Internetfirmen im Land. Doch dies sei normal: «Oder können Sie mir eine chinesische oder europäische Firma nennen, die sich in den USA durchgesetzt hat?»
Während China wirtschaftlich unglaubliche Fortschritte gemacht habe – vor allem was die Bekämpfung der Armut betreffe – gebe es weiterhin viele soziale und kulturelle Baustellen, erklärt der Alibaba-Vorsitzende. Doch die Chinesen hätten niemals aufgehört vom Westen zu lernen. Es sei aber schade, dass der Westen nicht gleichermassen neugierig auf China sei, so Ma. Denn auch die Kultur des Ostens habe ihre Relevanz in der modernen Welt.
«Weisheit» statt «Wissen»
In China sei man traditionell mehr auf «Weisheit» denn auf «Wissen» bedacht, glaubt Ma. Und: «Mit dem Aufkommen von fortgeschrittener künstlicher Intelligenz wie AlphaGo kann der Mensch punkto Intelligenz nicht mehr mit den Maschinen konkurrieren». Doch dafür könne der Roboter das Spiel nicht geniessen, weil ihm das Konzept des Spasses fehle. Für Alibaba bedeute dies, dass Technologie auf Spass und auf die 2H («happyness» und «health») fokussieren müsse. «Wenn Technologie die Menschen nicht glücklicher und gesünder machen kann, ist sie sinnlos», sagt Ma.
Jack Ma gehört zu den schillerndsten Figuren der chinesischen Geschäftswelt. Der ehemalige Englischlehrer gründete 1999 mit 17 Mitstreitern und einem Startkapital von 60'000 Dollar Alibaba.com. Als Büro diente seine Wohnung in Hangzhou, knapp 200 Kilometer südlich von Shanghai gelegen. Heute ist «Chinas Bill Gates» der reichste Mann Asiens, knapp vor Wang Jianlin von der Dalian Wanda Group mit 32,7 Milliarden Dollar.
Nächster IPO im Visier
Mas Beteiligungen an Alibaba (6,3 Prozent) und Ant Financial (37,9 Prozent) sind laut Bloomberg 33,3 Milliarden Dollar wert. Alibaba ist eine der grössten Internetfirmen der Welt und an der New Yorker Börse kotiert. Auch die Tochterfirma Ant Financial (früher Alipay) könnte bald an die Börse gehen. Der IPO wäre der grösste in China seit 2010.
Alibabas Kauf des 112 Jahre alten Zeitungshauses «South China Morning Post» hatte hohe Wellen geschlagen. Nicht wenige Beobachter fürchteten eine Aufgabe der Unabhängigkeit des Blattes. Das sei aber keineswegs das Ziel hinter dem Kauf, versucht Ma die Wogen zu glätten. «Alibaba will [die SCMP] mit unserer Technologie und unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten zu einem globalen Leitmedium machen». Die SCMP werde weiter objektiv und unvoreingenommen über China berichten. Und so einen anderen und vielfältigeren Blick auf das Land ermöglichen, als dies westliche Medien tun.