Der Ärger liess nicht lange auf sich warten. Gerade zwei Wochen lag der Sieg des Schweizer Syndikats Alinghi beim America’s Cup im Juli 2007 zurück, als sich der Gewinner und Ausrichter der kommenden Regatta mit einer saftigen Klage konfrontiert sah. Der in San Francisco ansässige Golden Gate Yacht Club (GGYC), Heimat von Team BMW Oracle Racing, forderte vor dem Obersten Gericht in New York, als offizieller Vertreter aller Herausforderer und Verhandlungspartner des Schweizer Cupsiegers anerkannt zu werden. Die Schweizer Société Nautique de Genève (SNG) und somit Alinghi hatten wenige Tage zuvor das spanische Team Desafío Español zum Challenger of Record bestimmt.
Die Klage markiert den Beginn einer unsäglichen Geschichte mit noch offenem Ende. Was Alinghi-Chef Ernesto Bertarelli damals zu Protokoll gab, klingt aus heutiger Sicht geradezu rührend blauäugig: «Man kann sagen, dass der 33. America’s Cup alles andere als gut gestartet ist, und ich habe den Wunsch, das wieder in Ordnung zu bringen», erklärte der Alinghi-Präsident in einem offenen Brief. Gemeinsam mit dem GGYC und dem New York Yacht Club, der die Stiftungsurkunde, die Deed of Gift, vor rund 150 Jahren verfasste, wolle er das Regelwerk den neuen Zeiten anpassen. «Über das Wochenende habe ich mich lange mit Oracle-Chef Larry Ellison unterhalten, um unseren Vorschlag zu erklären», so Bertarelli damals. «Und ich freue mich, dass er den Prinzipien in den vorgeschlagenen Änderungen sehr positiv gegenübersteht.»
Welche Fehleinschätzung. Vor wenigen Tagen blitzte Alinghi in New York vor Gericht ab – es war die siebte Klage in dieser Causa – und darf nun doch nicht wie geplant im arabischen Emirat Ras al-Khaimah zum nächsten Amercia’s Cup antreten. Zwar legten Alinghis Anwälte Rekurs ein, der Ausgang bleibt offen. Eine Atempause gab es keine: Nun ist bereits eine achte Klage gegen Alinghi eingegangen.
Damit dürfte auch Bertarelli endgültig aufgegangen sein, mit wem er es da auf der anderen Seite des Atlantiks zu tun hat. «Es reicht nicht, dass wir gewinnen», zitiert der Geschäftsmann Larry Ellison gern den Mongolenherrscher Dschingis Khan. «Alle anderen müssen verlieren.» Dass sich Ernesto Bertarelli angesichts des egomanischen Kontrahenten – dessen Geschäftsgebaren seit eh und je berühmt-berüchtigt ist – überhaupt je Hoffnung auf einen reibungslosen Ablauf der Veranstaltung machte, ist das Überraschende an der Geschichte. «Larry Ellison hat die gleichen Ideen wie ich, wie wir den Cup modernisieren können», wollte der Schweizer 2003, im Jahr des ersten America’s-Cup-Gewinns von Alinghi, erkannt haben.
Kampfjet und Superyacht. Von wegen. Larry Ellison zeigte sich von Anfang an getrieben von wildem Ehrgeiz, seinen Willen durchzusetzen. Dass er in diesem Zustand nur schwer zu bremsen ist, bekam zuletzt auch Scott McNealy zu spüren, der Chef von Sun Microsystems. Monatelang hatte sich das Unternehmen gegen eine feindliche Übernahme durch Oracle gesträubt. Doch Ellison liess nicht locker, aktivierte sein weit verzweigtes Beziehungsnetz. Er drohte, schmeichelte, taktierte – und stand am Ende als Sieger da. Wie so oft.
Mike Wilson, der einst eine Biografie über Ellison schrieb, betitelte sie mit «The Difference Between God and Larry Ellison» (Der Unterschied zwischen Gott und Larry Ellison), was beredtes Zeugnis für den Ruf ablegt, den Ellison geniesst. Sein exzentrischer Lebensstil ist Legende. Vor einigen Jahren liess er sich unter Aufsicht eines Zenmönchs ein japanisches Haus im Stil des Kyoto-Palasts bauen. Auf dem Highway 101 vor seiner Haustür prügelt er seine Ferraris und McLarens gerne mal in den Grenzbereich. Anwohner treibt er seit Jahren zur Verzweiflung, indem er mit einem italienischen Kampfjet nachts über San Jose donnert. Seine Privatyacht, das 140-Meter-Monstrum «Rising Sun», sehe aus «wie eine auf den Kopf gestellte Hochzeitstorte», lästerte die Fachpresse anlässlich der Bootstaufe.
Was treibt einen dazu, es ständig allen beweisen zu müssen? Seine Mutter gab, weil sie noch ein Teenager war, ihr uneheliches Baby zur Adoption frei. Der kleine Lawrence Joseph landete in einer jüdischen Familie in Chicago bei einem Vater, der ihn für einen nichtsnutzigen Lümmel hielt. Ellison revanchierte sich auf seine Weise: Mit aggressivem Siegeswillen katapultierte sich der Studienabbrecher in die Topliga der Milliardäre.
Die hohe See hat den Softwarekönig schon immer fasziniert, und das, obwohl er sich beim Surfen in der Brandung Hawaiis einst schwer verletzte. Als vor elf Jahren bei der Regatta Sydney–Hobart sechs Segler bei stürmischem Wetter ertranken, kam der Haudegen mit seiner 27-Meter-Yacht «Sayonara» wohlbehalten als Erster ins Ziel. Damals entstand wohl der Plan, den America’s Cup nach 1992 erstmals wieder in die Vereinigten Staaten zu holen. Koste es, was es wolle.
Vergiftetes Protokoll. Natürlich waren Skandale und Intrigen schon immer Teil der Geschichte des Cups. Legendär ist etwa das Rennen von 1895, als es einen heftigen Streit um die Länge der Wasserlinie und den Ballast gab. Jeder Herausforderer musste damals zehn Monate vor den Rennen den Amerikanern die genauen Masse seines Schiffes mit Angaben zu Rigg und Segeln melden. Die Briten witterten Betrug. Der irische Earl of Dunraven und seine Yacht «Valkyrie III» kämpften dennoch tapfer drei Rennen gegen die amerikanische «Defender», aber sie verloren alle drei. Anschliessend brach ein transatlantischer Pressekrieg zwischen englischen und amerikanischen Zeitungen aus, der erst nach Jahren zur Ruhe kam.
Das aktuelle Gezänk schliesst sich da nahtlos an – und ist für Nichtjuristen längst nicht mehr durchschaubar. Der 33. America’s Cup ist zur Farce verkommen. «Das vergiftete Protokoll von Alinghi ist die Ursache allen Übels», findet Russell Coutts, Skipper bei BMW Oracle Racing und America’s-Cup-Sieger mit Alinghi 2003. Die Leute von Alinghi hätten schon immer schummeln wollen und versuchten es auch weiterhin. «Sie haben ihr eigenes Schiedsgericht aufgestellt, um einen traditionslosen spanischen Yachtclub zum Herausforderer zu erklären», so Coutts. Und letzten Sommer habe Alinghi mit dem internationalen Verband ein geheimes Abkommen getroffen, das dem Team erlaube, die Kontrolle über die Regeln zu behalten.
Tatsächlich waren Bertarellis Pläne ausgesprochen ambitioniert. Er wollte die älteste Sportkonkurrenz der Welt zu einem Wirtschaftsunternehmen und zu einem Medienspektakel mit gigantischer Reichweite aufblasen. Den Traditionalisten innerhalb der Seglergemeinde war das von Anfang an ein Dorn im Auge. «Die reden die ganze Zeit vom Geld, und das gefällt uns nicht», wetterte Bruno Troublé, der die Herausforderer-Runde, den Louis Vuitton Cup, ins Leben gerufen hatte.
Heillos zerstritten. Das Recht, den Cup nach eigenem Gutdünken zu gestalten, sei nun mal in den Statuten festgelegt, kontert das Alinghi-Lager. «Indem sie gegen den Titelverteidiger acht Rechtsklagen in zwei Jahren einreichten, haben Larry Ellison und sein GGYC gezeigt, dass ihre wahre Absicht darin besteht, die prestigeträchtige Trophäe im Segelsport vor Gericht anstatt auf dem Wasser zu gewinnen», schimpft Paco Latorre vom Team Alinghi gegenüber BILANZ. Alinghi-Skipper Brad Butterworth hat derweil seinen eigenen Vorschlag zur Lösung der Misere: «Wenn sie den Wettbewerb nicht auf dem Wasser austragen wollen, sollten sie zur Seite treten und andere Teams ranlassen.»
Alles lächerliche Unterstellungen, kontert BMW-Oracle-Sprecher Tim Jeffery. «Wir haben einige der besten Segler der Welt in unserem Team. Die brennen darauf, es ihren Kontrahenten im Wettkampf zu zeigen, glauben Sie mir!» Um gleich den nächsten Vorwurf in Richtung Konkurrenz zu schleudern. «Dass erstmals in der 158-jährigen Geschichte der Veranstaltung ein Motor an Bord anstelle der Muskelkraft der Segler die Winschen antreibt, mit denen die grossen Segel eingestellt werden, ist schlecht für unseren Sport. Hart arbeitende Männer gehören nun mal zum Image des America’s Cup.» Er bezieht sich dabei auf die Entscheidung des Teams Alinghi vom letzten Juli, kurzerhand die Regeln 49 bis 54 der Racing Rules of Sailing ausser Kraft zu setzen.
Es bleibt zu konstatieren, dass beide Seiten alles daransetzen, das Reglement des Wettbewerbs zu ihren Gunsten auszureizen. Nach zwei Siegen hat Ernesto Bertarelli vielleicht ein bisschen zu selbstbewusst damit begonnen, den Cup nach seinem Gusto zu verändern. Und Larry Ellison ist einfach Larry Ellison. Das Dilemma ist nur, dass sich angesichts der exorbitanten Summen, die eine Teilnahme am America’s Cup heute kostet, kaum noch ein Syndikat eine Niederlage erlauben kann.
Ist der America’s Cup mithin zu gross, zu kommerziell geworden? Droht er, an seiner eigenen Bedeutung, der Hybris und der Megalomanie seiner Kontrahenten zu ersticken? «Der 32. America’s Cup war ein positiver Wendepunkt für diesen historischen Event», stellten Bertarelli und sein Team nach ihrem Sieg 2007 fest. Bis dato ist es ihnen nicht gelungen, diese Aussage zu erhärten.