Das Baltikum ist nicht gerade als Finanz-Drehscheibe bekannt. Das dürfte sich ändern. Spätestens, wenn die digitale Revolution im Banking voll durchschlägt. Denn Littauen ist bestrebt, ein führender Fintech-Hub zu werden – zum Portal für den EU-Markt. Insbesondere für chinesische Fintechs, wie Marius Jurgilas von der Litauischen Nationalbank im Oktober an einer Konferenz verkündete. Aufgrund des Brexits wird London diese Funktion bald verlieren.
Für Schlagzeilen sorgte jüngst, dass Googles Bezahldienst Google Pay in Littauen eine Fintech-Lizenz erhielt. Sie hilft Google künftig in ganz Europa digitale Finanzdienstleistungen anzubieten. Dass der Tech-Gigant für die Lizenz Littauen wählt, dürfte Signalwirkung haben. Der Suchmaschinenhersteller ist damit jedoch kein Pionier: Die britische Digitalbank Revolut – mit bereits 50’000 Kunden in der Schweiz – erhielt bereits Anfang Dezember in Litauen eine Banklizenz – und so den vollen Zugang zum europäischen Markt.
Ein anderes Fintech-Startup mit Niederlassung in London und Litauen ist Transfergo – es ermöglicht weltweit Überweisungen innerhalb weniger Minuten. Oder das chinesische Fintech-Unternehmen International Business Settlement, das eine Plattform für Überweisungen zwischen der Europäischen Union und China aufbaut. Laut Deutsch-Baltischen Handelskammer (AHK) sollen darüber bald Zahlungen im Wert von 500 Milliarden Euro im Jahr fliessen.
Barclays, Western Union und Nasdaq setzen auf Litauen
In Litauen treffen Finanzstartups auf grosse Namen der Finanzbranche. Bereits 2009 eröffnete die britische Grossbank Barclays in der Hauptstadt Vilnius ein Technologie- und Servicecenter. Gemäss AHK arbeiten dort 1200 Mitarbeiter an der Entwicklung neuer IT-Systeme, Mobile Apps und Infrastrukturen bis hin zu Sicherheitslösungen für Barclays Banking-Systeme.
2010 folgte der Zahlungsanbieter Western Union, der heute 1800 Mitarbeiter in seinem Operations-Center für Europa beschäftigt. Seit 2014 betreibt ebenfalls die US-Technologie-Börse Nasdaq ihr weltweit drittgrösstes Support-Center für Business und Technologie in der litauischen Hauptstadt Vilnius.
Laut dem «Lithuania Fintech Report 2017» waren damals bereits 117 Fintechs im Land ansässig – tendenz stark steigend. Im Jahr 2013 waren es erst 45. Dass sich viele Finanzstartups in Litauen bilden und niederlassen, ist besonders dem regulatorischen Umfeld zu verdanken.
Die Plattform «Invest Lithuania» des litauischen Wirtschaftsministeriums wirbt mit einer Fintech-Lizenz, die innert drei Monaten ausgestellt wird und Zugang zu 28 EU-Länder eröffnet. Zudem sind für eine Banklizenz «lite» die Kapitalanforderungen fünfmal tiefer als in anderen EU-Ländern; erhältlich ist sie innert sechs Monaten. Überdies profitieren Startups von einer sogenannten Sandbox, die sie im ersten Jahr von Regulationen befreit.
Schweiz will führender Fintech-Hub werden
Zu einem weltweit führenden Fintech-Hub will auch die Schweiz werden. Dieses Ziel verfolgt etwa der 2016 von 18 Banken und Versicherungen gründete Verband Swiss Fintech Innovations. Ein starker Schweizer Fintech-Sektor sei ein wesentlicher Faktor für die künftige Entwicklung des Schweizer Finanzplatzes, hiess es in der Mitteilung zur Gründung.
Patrik Schär, Chef des Fintech-Startup Selma Finance und Gründungsmitglied des neuen Verbands Swiss Wealthtech Leaders sagt, dass die Schweiz von ihrem internationalen Ruf der Stabilität und Vertrauenswürdigkeit profitiere. Darauf verlassen kann sie sich allerdings nicht: «Länder wie Estland und Lettland, sehen es als Chance, sich als Fintech-Hub zu positionieren. Für die Schweiz ist es deshalb wichtig, dass sie ebenfalls eine zukunftsgerichtete Regulation anbieten kann», sagt er. Die Finanzmarktaufsicht sei jedoch bereits offener geworden und trete heute mit Fintechs frühzeitig in den Dialog.
Neue Schweizer Fintech-Lizenz für Startups
Seit 2019 können Startups nun bei der Finma eine Fintech-Bewilligung beantragen. Sie erlaubt beispielsweise, Kunden-Einlagen bis maximal 100 Millionen Franken entgegenzunehmen, die jedoch weder angelegt noch verzinst werden dürfen. Um ein Gesuch zu stellen, hat die Finma kürzlich eine Wegleitung veröffentlicht.
Das Problem: Im Gegensatz zu Litauens Lizenz bietet die Schweizer Version keinen Zugang zum EU-Markt. «Als Schweizer Fintech hat man den Nachteil, dass man zusätzlich eine EU-Lizenz braucht, wenn man dort seine Dienstleistungen anbieten will», sagt Schär. Dann jedoch unterstehe man an zwei Orten der Regulation.
Stark im B2B-Bereich
Laut Fintech-Experte Thomas Ankenbrand von der Hochschule Luzern sind Schweizer Finanz-Startups besonders im B2B-Bereich stark. Das dürfte kein Zufall sein. «Für das direkte Kundengeschäft ist der Markt oftmals zu klein», sagt er. In der von Ankenbrand mitverantworteten «Fintech-Study 2018» zeigte sich denn auch, dass die Unternehmer weniger das regulatorische Umfeld stört. «Vielmehr haben sie Mühe, genügend Kunden zu finden», sagt Ankenbrand. Ein Problem, das sich litauischen Fintechs wohl weniger stellt, können sie doch ihre Produkte direkt für die ganze EU ausrollen.
Dennoch sieht Ankenbrand die Schweiz als attraktives Land für Fintechs. «Sie treffen hier auf gute ökonomische Bedingungen und können auf ein breites Talent-Pool zugreifen.» Zudem gäbe es etwa mit Google, IBM und Walt Disney internationale Unternehmen, die hier im Tech-Bereich Forschung betreiben.
Mit einem Fokus auf B2B-Lösungen bleiben der Schweiz auch ohne direkten EU-Zugang Chancen, sich als führenden Fintech-Hub zu etablieren.