Er ist der älteste Milliardär der Welt, einer der zehn reichsten Schweizer, Mäzen, Pferdezüchter, Handelspionier – und ein Phantom. Seit etwa zwei Jahrzehnten lässt er sich nicht mehr fotografieren, sogar private Bilder, heisst es in seinem Umfeld, lehnt er meist ab. Weder er noch seine Nachkommen sprechen mit Journalisten, Partys und Grossveranstaltungen meiden sie. Dafür kommt der Patriarch noch immer regelmässig ins Büro und schaut nach dem Rechten, nur fährt er heute nicht mehr selber. Am 13. September wird Walter Haefner 100 Jahre alt.
Haefner schuf aus dem Nichts ein Milliardenunternehmen. Heute verkauft seine Amag, Importeur der Volkswagen-Konzernmarken, in der Schweiz jedes vierte Auto. Er hätte jeden Grund, sein Jubiläum zu feiern und sich feiern zu lassen. Dennoch bleibt er beharrlich unsichtbar – ungewöhnlich für eine Figur der Autobranche, in der üblicherweise nicht die leisesten Charaktere unterwegs sind. Aber Walter Haefner, erinnert sich ein Amag-Veteran, «hielt sich immer im Hintergrund, auch bei Betriebsfeiern». Und «üblich» ist für Haefner ohnehin keine passende Kategorie.
Glücksgriff VW. 1910 in Zürich geboren, war Walter Haefner vier Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Vater August Wilhelm, ein reformierter Missionar, hielt sich viel in Tibet auf, Mutter Elise zog die sieben Kinder in Zürich Wollishofen auf. An Geld mangelte es, die Matura konnte Walter nur dank einem Stipendium der Stadt Zürich ablegen. Er studierte Wirtschaft in Lyon und Zürich, arbeitete kurz für den Ölmulti Shell und stieg dann beim Schweizer Aussendienst des Autoriesen General Motors ein. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, sah Haefner eine Geschäftschance, und der Unternehmergeist in ihm wurde aktiviert: Benzin und Diesel wurden knapp, Automobile mussten stehen bleiben, Neuwagen wurden unverkäuflich – es sei denn, sie rüsteten auf Antrieb mit Holzvergaser um. Haefner gründete, mit 26 000 gesparten Franken Startkapital, 1941 seine erste Firma und taufte sie auf den sinnigen Namen Autark AG. Die Vergaser stellte er selber her.
Haefner war klar, dass sein Holzvergaser-Geschäft nach dem Krieg auslaufen würde und dass der robuste Volkswagen Käfer eine interessante Alternative für den Schweizer Individualverkehr wäre, sobald Zivilisten wieder Treibstoff bekämen. Zunächst griff er aber bei den englischen Marken Standard und Triumph zu, den einzigen, die nach Kriegsende zu haben waren. Zeit seines Lebens ein Freund der Angelsachsen, sprach er früh hervorragend Englisch. Als Vehikel legte sich Haefner vom Glarner Jacques Tschudi die Amag Automobil- und Motoren AG zu, die bereits in den dreissiger Jahren Autos von Chrysler und DeSoto in die Schweiz importierte. 1939 geriet die Amag ins Schlingern, später übernahm Haefner sie und gründete die «neue» Amag.
Längst hatte er gute Kontakte zu alliierten Offizieren, insbesondere den Briten – und die Briten waren es, die das Volkswagen-Werk verwalteten. 1948 bekam Haefner den Importeurvertrag, nur kurz nach dem Holländer Ben Pon, der als erster Ausländer VW in sein Land überführen durfte und später den VW Bully erfand. Es war durchaus ein Risiko, den VW Käfer in die Schweiz zu bringen, die «Hitler-Gamelle», das Fahrzeug des verhassten deutschen Diktators. Doch die problemlose Konstruktion und die guten Fahreigenschaften am Berg überzeugten auch die Schweizer Automobilisten, zeitweilig erreichte allein der VW Käfer Marktanteile von 30 Prozent.
«Ein begnadeter Unternehmer, der Chancen früher als andere sah und in internationalen Dimensionen dachte» – höchstes Lob für Haefner vom Konkurrenten Walter Frey, heute hinter der Amag die Nummer zwei im Schweizer Automarkt. Auch privat kennen sich die beiden seit mehr als vierzig Jahren; Amag und Emil Frey AG waren zwar Wettbewerber als Importeure, aber man ging respektvoll miteinander um. Nicht dass Haefner beim Marketing die japanischen Konkurrenten wie Toyota, von Frey importiert, geschont hätte – Markt ist Markt. Aber man tauschte sich aus, Haefner beriet bisweilen auch den deutlich jüngeren Walter Frey, der in ihm einen «hervorragenden Problemanalytiker» fand, zudem einen Geschäftsmann alter Schule, bei dem ein Handschlag galt, «Anwälte oder Verträge brauchten wir nie». Sogar eine Zusammenarbeit prüften die beiden vor Jahrzehnten: Haefner offerierte Frey, in seiner Fahrzeugmontage, die US-Autos mit Swiss Quality zusammensetzte, den Toyota Crown montieren zu lassen. Allerdings konnten die Japaner keine Montagekits liefern, und damit war der Deal gestorben.
So gross die Gemeinsamkeiten, so deutlich aber auch die Unterschiede zwischen den beiden grossen Schweizer Importeuren: Während Frey ein Autonarr ist und selber Rennen fuhr, ist es für Haefner ein Business. Er sah vor allem die Marktchancen. Und wenn beim Importeurverband Auto-Schweiz etwas aufzugleisen war, zogen die beiden Familien zwar meist am gleichen Strang, aber auch hier blieb Haefner lieber im Hintergrund. Den sichtbaren Teil der Arbeit überliess er gern den Freys.
Auch im eigenen Unternehmen hält er es so. Ab Anfang der fünfziger Jahre holte er sich immer angestellte Direktoren und Chefs für die Amag, nicht einmal das Verwaltungsratspräsidium besetzte er auf Dauer selbst. Er «strebte immer danach, den Überblick zu behalten», sagt ein langjähriger Mitarbeiter. Den Geschäftsleitern funkt er nicht in die operative Arbeit hinein, Durchgriffe über Köpfe hinweg gab es bei Haefner nicht. Die grossen Entscheide trifft er natürlich trotzdem selbst, «er war auch immer ansprechbar, hatte eine offene Tür». Ob sich die Mitarbeiter, vor allem später, aber wirklich getraut haben, beim Senior vorzusprechen, steht auf einem anderen Blatt: «Alle hatten einen Heidenrespekt vor ihm.» Gesucht habe man den Kontakt zum Patriarchen eher nicht, «der konnte einen mit seinen hellblauen Augen regelrecht durchleuchten».
Diversifikation. Denselben Durchblick zeigt Haefner als Geschäftsmann. Nicht nur sein Partner, der wachsende Volkswagen-Konzern, erwies sich als gute Wahl und trug seinen Teil zur einzigartigen Erfolgsgeschichte der Amag bei – Haefner gelang auch der Eintritt in neue Felder. 1950 gründete er den Küchengerätehersteller Novelectric, später die Bau-Generalunternehmung Mobag – er erkannte, dass die Schweiz Wohnblöcke brauchte. In den siebziger Jahren verkaufte er beide mit gutem Gewinn; wenn ihm ein Engagement zu gross wurde, reichte er es meist an einen Branchenkonzern weiter. Wie den Autofinanzierer Aufina, den er später an die Bankgesellschaft verkaufte und der in der UBS Leasing weiterlebt. Mit Aufina kann Haefner als Miterfinder der heute populären Autobanken gelten.
Wichtigstes Investment – heute neben, damals für die Amag – ist aber das Automation Center in Wettingen. Haefner ist einer, der an neue Technologien glaubt und darauf setzt. Als die wachsende Grösse der Amag das Bewirtschaften der Ersatzteile immer mühsamer werden liess (die Logistiker nutzten noch das uralte Lochkartensystem), schaffte Haefner die ersten Computer an, damals ein unerhört teures Investment. Als Firmenrahmen gründete er 1960 das Automation Center. Bald kamen Konkurrenten und Vertreter anderer Branchen zur Inspektion der neuen Rechentechnik und baten um Hilfe, Haefner bot die Dienstleistung bald schweizweit, später grenzübergreifend an.
Das Automation Center vertrieb Software zur Buchhaltung, für betriebliche Statistiken und das Personalwesen, der Markt wuchs sprunghaft. Als ihm das Geschäft zu gross zu werden schien, verkaufte er es in die USA, wurde dort via Aktientausch Miteigentümer bei der Wyly Corporation. Als es dort nicht rund lief, schoss Haefner Kapital ein, wurde Mehrheitsaktionär, und das Unternehmen firmierte zu Uccel (sprich: You sell) um, Haefner war als Boardmitglied in die Sanierung eingebunden. Uccel avancierte zur Marktmacht, sodass sich Charles Wang, Gründer von Computer Associates, zu einem Übernahmeangebot genötigt sah. Damit wurde Haefner zum grössten Einzelaktionär mit einem knappen Viertel Anteile an der heutigen CA Technologies, einem der grössten Softwarekonzerne der Welt. Walter Haefner, der bis heute keinen Computer bedienen kann, stieg endgültig zum IT-Tycoon auf.
Auch im Immobilienressort wurde die Amag zum beachtenswerten Player. Wo immer sich eine Garage niederlässt, gehört die Liegenschaft der Amag selbst, und dann immer zu 100 Prozent. Darunter befinden sich Topgrundstücke wie Haefners Holdingsitz am Zürcher Utoquai oder die Garage Riesbach einige hundert Meter stadtauswärts. Zur Miete residieren Amag-Garagen nur in «absoluten Ausnahmefällen», sagt ein Insider.
Stets hat sich Haefner im Hintergrund gehalten, nie ein klassisches Interview gegeben. Teure Restaurants, protzige Anlässe mied er, und «er hat ein sehr feines Auftreten mit viel Understatement», sagt Walter Frey. Über Yacht und Businessjet verfügte er zwar, aber wenn gegenüber Kunden etwas Gutes zu tun war oder Firmenmanager wichtige Termine hatten, trat Haefner zurück und flog Linie – meist Holzklasse. Legendär seine Autos: lange Zeit ein VW Käfer, später Golf und der kleine Skoda Fabia. Wobei der Käfer einen Porsche-Motor eingebaut haben musste, «so wie der röhrte und beschleunigte», lacht ein Zeitzeuge.
Generationenwechsel. Bis Ende der achtziger Jahre stiess Haefner viele Nebengeschäfte ab, um sich auf die Amag und das Software-Engagement zu konzentrieren. Die Amag, heute ein Vier-Milliarden-Konzern, hat im Wert die CA-Beteiligung längst überholt. 1995 bedankte sich der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch bei Haefner anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Importvertrags mit warmen Worten für die Aufbauarbeit in der Schweiz. Tatsächlich hätte selbst der Koloss VW ohne Haefners Einsatz kaum so schnell so grossen Erfolg in der Schweiz erzielt; die Wertschätzung war beidseitig. Viele Jahre sass Haefner als einziger Ausländer im Aufsichtsrat der Volkswagen AG.
2005 überträgt Haefner seinem Sohn Martin das Präsidium der Amag, auch die übergeordnete Careal Holding führt der studierte Mathematiker. Walter Haefner lebt zurückgezogen mit seiner vierten Ehefrau France in Küsnacht – im selben Sechszimmerhaus, das er 1948 kaufte. Zeitlebens sehr sportlich, fuhr er Skeleton in St. Moritz, lief Ski, war erfolgreicher Rennjockey und ritt bis zum 80. Lebensjahr. Seine Reitanstalt Maur hat er 1999 an Ernst und Carolina Müller-Möhl verkauft, das Gestüt in Irland führt Tochter Eva-Maria (siehe «Der Pferdeflüsterer» unter 'Weitere Artikel').
Noch immer betätigt sich Haefner – oft diskret – als Wohltäter. Die Stiftung, die seinen Namen trägt, unterstützt etwa die ETH. Weiterhin ist er bei der Giacometti-Stiftung engagiert, sponsert das Zürcher Kammerorchester, viele kleine Projekte sowie die Organisation Smile Train für missgebildete Kinder in Drittweltländern. Allein ihr hat er Millionensummen gestiftet, immer wieder. Dem Kunsthaus der Stadt Zürich vermachte er, auch als späten Dank für sein Stipendium, zwölf Gemälde der höchsten Kategorie, darunter fünf Magrittes, drei Monets, ein van Gogh und ein Degas.
Ob die Wohltätigkeit wie auch die Verweigerung, sich öffentlich zu Erfolg und guten Taten zu bekennen, vom kirchlichen Elternhaus kommen? Man kann es lediglich vermuten, keiner der Haefners will sich äussern. Martin gilt als mindestens so scheu wie sein Vater. Man weiss zumindest, dass der Senior trotz biblischem Alter gesundheitlich auf der Höhe und noch gut zu Fuss ist.
Entspanntes Verhältnis. Als Martin Haefner das Amag-Präsidium übernahm, schien er zunächst mit der Familienfirma zu fremdeln. Später kamen Angriffe des damaligen Audi-Chefs Martin Winterkorn hinzu, die Amag investiere nicht genug. Heute sind wohl beide Themen keine mehr. Dass die Amag-Niederlassung Dübendorf mit mehr als 100 Millionen Franken zur grössten Garage der Schweiz ausgebaut wird, war allein Martin Haefners Entscheid. Audi bekommt seine gewaltigen «Terminal»-Schauräume in der Schweiz, und Winterkorn, heute VW-Konzernleiter, lobt die Amag inzwischen in den höchsten Tönen. Insofern schätzen Amag-Manager heute das Risiko gering ein, dass VW den Import in die Schweiz in eigene Hände nehmen will: Lukrativ für die Hersteller ist der eigene Import vor allem in Riesenmärkten wie Frankreich, Grossbritannien, Spanien oder Italien. Die kleine Schweiz hingegen mit ihren vier Sprachräumen und einem Gesamtmarkt von nicht einmal 300 000 Autos im Jahr gilt als anspruchsvoller Markt, den man sich nicht notwendigerweise anschnallen will.
Martin Haefner jedenfalls hat intern mehrfach «kategorisch verneint, dass wir verkauft werden», sagt ein Amag-Mann. Und die ganze Branche hat registriert, wie er heute, wenn es um die Amag geht, von «meinen Leuten» spricht. Sieht aus, als sei die zweite Generation Haefner im Unternehmen angekommen.