Amazon geht auf Kundenfang. Zum dritten Jahr in Folge zelebriert der Online-Gigant vom 16. bis 17. Juli seinen Prime Day – einen selbst erfundenen Feiertag für Internet-Shopper. Eine riesige Rabattschlacht. Das Pendant zum Singles Day des chinesischen Konkurrenten Alibaba, der letzten November für einen Rekord-Umsatz von 25,3 Milliarden US-Dollar sorgte. Amazon hingegen erzielte 2017 nur 2,4 Milliarden.

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Ein Flop ist der Prime Day aber nicht, im Gegenteil. Denn Amazon hat ganz andere Absichten als Alibaba: Während am Singles Day die verschiedenen Marken mit Rabatten im Vordergrund stehen, dreht sich der Prime Day primär um Amazon selbst. Zwar lockt der Online-Marktplatz mit Rabatten für mehr als eine Million Produkte –  von Lebensmitteln, Haushaltsgeräten, Kleidern bis zum Computer, Fernseher und Möbel. Am meisten bewirbt er jedoch die hauseigenen Geräte, etwa der smarte Lautsprecher Echo, der eBook-Reader Kindle oder Amazons Tablet Fire.

Rabatte als Köder für Mitgliedschaft

Die Aktionen dienen als Köder. Denn der Prime Day bezweckt vor allem eines: Neue Mitglieder für das Kundendienstprogramm Amazon Prime gewinnen. Wer nämlich von den Schnäppchen profitieren will, braucht eine Mitgliedschaft. Amazon wirbt zwar mit einer kostenlosen Probezeit von 30 Tagen. Doch die wenigsten kündigen danach, wie eine Analyse des Consumer Intelligence Research Partners (CIRP) zeigt: 73 Prozent der Nutzer bleiben, auch wenn der Dienst kostenpflichtig wird.

Für Amazon ist Prime eine Erfolgsmodell: Die Mitgliedschaft bindet den Nutzer – finanziell und psychologisch. Mitglieder entrichten nicht nur eine Jahresgebühr von bis zu 119 US-Dollar. Sie geben laut CIRP jährlich 600 Dollar mehr aus auf der Plattform als normale Kunden. Weltweit besitzen 100 Millionen Personen eine Mitgliedschaft. In den USA haben unterdessen fast die Hälfte aller Haushalte einen Prime-Zugang.

Prime

In den USA steigt die Anzahl von Prime-Mitgliedern von Jahr zu Jahr, wie die Grafik von Statista zeigt.

Quelle: Statista

So viele Schweizer nutzen Amazon Prime

Wie sieht es in der Schweiz aus? Das Forschungszentrum für Handelsmanagement der Universität St. Gallen führte dazu eine Befragung durch. Und veröffentlichte im Januar das Resultat in einem Gastbeitrag in der «Handelszeitung». Das Ergebnis: In der Schweiz sollen 10 Prozent über einen Prime-Zugang verfügen – das wären 800’000 Personen. In der Branche sorgte die Zahl für Aufsehen. Zustande kam sie wie folgt: Die Forscher befragten 3000 Personen, von denen 46 Prozent angaben, bei Amazon zu bestellen. Von ihnen gaben 21 Prozent an, Prime zu haben. Das Ergebnis wurde dann auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet.

Thomas Lang, Unternehmensberater für E-Commerce, hat daraufhin die Zahl im Auftrag eines grossen Detailisten geschätzt, wie er auf Anfrage mitteilt. Lang geht davon aus, dass von insgesamt einer Million Schweizer Amazon-Kunden 100’000 bis 150’000 Prime-Mitglieder sind. Wahrscheinlich ist selbst diese Zahl noch hoch angesetzt.

Denn Schweizer profitieren kaum von Amazon Prime. Die beiden grossen Vorteile des Dienstes: eine versandfreie Lieferung, die innerhalb von 24 Stunden im Briefkasten ist. Beides gilt nicht für die Schweiz. «Wenn wir von Prime-Angeboten im Bereich Online-Handel sprechen, dann ist mir nicht bekannt, dass dies in der Schweiz effektiv funktioniert», sagt Patrick Kessler, Präsident des Schweizerischen Verband des Versandhandels (VSV). Vielleicht ändere sich das, wenn Amazon die Verzollung in den Griff bekomme. Ähnlich sieht das Jean-Claude Frick, Digitalexperte beim Vergleichsportal Comparis: «Für Schweizer Kunden lohnt sich Amazon Prime eigentlich nicht.» Und die Zusatzdienste wie etwa Prime Video und Prime Music seien in der Schweiz weniger attraktiv als in den USA.

Wer Amazon Prime hierzulande nutzen möchte, kann trotzdem eine Mitgliedschaft abschliessen. Zwar gibt es keine Version für die Schweiz, man kann sich aber bei Amazon Deutschland anmelden. Die Kosten: Im Monat macht das 7,99 Euro oder 69 Euro im Jahr. Inzwischen voll und ganz erhältlich ist in der Schweiz ist hingegen Amazons Streamingdienst Prime Video, der monatlich 6 Franken kostet. Laut Comparis-Digitalexperte Jean-Claude Frick lohnt sich der Aufpreis für eine vollwertige Prime-Mitgliedschaft momentan aber kaum. Denn die wichtigsten Vorteile von Amazon Prime sind die Gratis-Lieferung und die Zustellung innert 24 Stunden. Von beidem profitieren Schweizer Kunden nur begrenzt. Zwar ist die Lieferung bis zur Deutschen Grenze gratis. Doch dann kommen noch Zoll und Versand innerhalb der Schweiz dazu.

Obwohl Amazon noch nicht mit der geballten Schlagkraft in der Schweiz präsent ist, wächst der Einfluss. Hierzulande ist der Marktplatz mit einem Umsatz von 575 Millionen Franken bereits der drittgrösste Onlineshop – hinter Digitec und Zalando. Das zeigen die am Donnerstag veröffentlichten Zahlen der E-Commerce-Beratungsfirma Carpathia.

Was ändert der Amazon-Deal der Post?

Der Deal, den die Schweizerische Post mit Amazon abschloss, dürfte aber an der Tatsache, dass sich Amazon Prime hierzulande kaum lohnt, nichts ändern. Zwar übernimmt die Post im Verlauf dieses Jahres die Importverzollung und Zustellung in der Schweiz. «Die Post baut für Amazon jedoch keine spezielle Logistikinfrastruktur auf», sagt Post-Sprecher François Furer auf Anfrage. Die Dienstleistungen für Amazon würden ausschliesslich mit Standardprozessen erbracht, in die sich Amazon einfüge. Ob mit Prime bald auch gratis in die Schweiz geliefert werde, liege in der Hand von Amazon. Auf eine entsprechende Anfrage ging Amazon nicht ein. Jedenfalls deutet derzeit nichts darauf hin, dass der Dienst in der Schweiz etabliert würde.

Und so ist der von Amazon hochgekochte Prime Day in der Schweiz höchstens ein lauwarmes Süppchen. Jan Bomholft, Gründer von meineinkauf.ch, sagt: «Letztes Jahr hat sich der Prime Day bei uns nicht stark bemerkbar gemacht.» Über Bomholts Portal können Schweizer Kunden in Deutschen Onlineshops Waren bestellen, die nicht in die Schweiz geliefert werden; gerade auf Amazon gilt das noch immer für viele Produkte. Insgesamt verzeichnete er lediglich 11 Prozent mehr Bestellungen. Ein Grund ist laut Bomholt auch, dass Amazon besonders Elektronik-Artikel mit Rabatten bewirbt. Und diese bestellten Schweizer eher bei Digitec und Brack. «Der Black Friday im November ist für uns wichtiger», sagt Bomholt. Und so werden sich hierzulande viele Online-Shopper noch bis zur grossen vorweihnachtlichen Schnäppchenjagd gedulden.