Am Morgen des 31. Juli setzte sich Jean-Claude Goudard, «Secrétaire Général» der Stadt Marseille, in ein Auto und fuhr nach Genf. Dort angekommen, überreichte er Michel Bonnefous von der Firma AC Management Ltd. feierlich ein 800 Seiten starkes Dossier, gerade so, als ob es sich bei dem dicken Buch um ein bibliophiles Stück handeln würde.
Um viel Geld geht es beim Inhalt des in Englisch abgefassten Wälzers in der Tat: mehrere Hundert Millionen Franken. Viel Geld hatten der französische Staat, die Stadt Marseille sowie die Regions- und Departementsbehörden für den Bau eines neuen Hafens in der französischen
Mittelmeermetropole eingesetzt. Von dort aus sollen 2007 jeweils die Hightech-Boote für den 32. America’s Cup in See stechen. Das nach Genf chauffierte Dossier beschreibt das Projekt genau.
Bevor ans Bauen gedacht werden kann, wird unter anderem Michel Bonnefous von der AC Management Ltd. noch ein gewichtiges Wort mitreden. Bonnefous, bis vor kurzem Lead-Manager des siegreichen «Alinghi»-Expeditionscorps in Neuseeland, hat im Juli die Leitung des neu geschaffenen Unternehmens in Genf übernommen. Zusammen mit bald zwanzig Mitarbeitern prüft er die Dossiers der Kandidaten.
Auf die harte Tour. Am 20. August hatten die Städtevertreter erneut persönlich in Genf anzutreten und 80 Fragen mündlich zu beantworten. Fünf Städte sind für das Millionenvorhaben America’s Cup im Rennen geblieben: Neben Marseille sind dies Lissabon, Palma de Mallorca, Valencia und Neapel.
Bonnefous’ AC Management Ltd. ist ein Joint Ven-ture zwischen zwei Grossen: zwischen Serono-CEO und -Hauptaktionär Ernesto Bertarelli (Team «Alinghi», Société Nautique de Genève) und Larry Ellison vom Team Oracle BMW Racing (Golden Gate Yacht Club San Francisco). Sie hatten die Absicht, die Organisation des Toprennens der Segler künftig operativ vom Titelverteidiger zu trennen. Dies ist ein Novum in der 152-jährigen Geschichte des prestigeträchtigen Races, das erstmals nach Europa zurückkehrt. Auch räumlich hat Ernesto Bertarelli Distanz zwischen Rennorganisation und Rennteam hergestellt: Während Bonnefous in Genf logiert, hat sich die «Alinghi»-Equipe neu nahe der ETH in Lausanne niedergelassen.
Welche Stadt am Tag der Entscheidung, am 15. Dezember dieses Jahres, das Rennen machen und als Austragungsort auserkoren wird, ist offen. Klar ist bereits, dass viel Geld und Macht im Spiel ist. Am Beispiel Marseille lässt sich dies ablesen. Ein 75-köpfiges Komitee setzt sich für den Mittelmeerhafen ein. Darunter sind illustre Namen wie der Fussballstar Zinedine Zidane, Chansonnier Charles Aznavour oder Alt-Rocker Johnny Halliday. Premierminister Jean-Pierre Raffarin nimmt auf dem Postweg Anteil. Er schrieb dem Marseiller Stadtpräsidenten, Jean-Claude Gaudin, einen Brief, in dem er einen staatlichen Zuschuss in der Höhe von maximal 60 Millionen Franken für den Bau der Infrastruktur garantiert.
Die Mutter aller Seehäfen soll für rund 180 Millionen Franken auf rund fünf Hektar am Fusse des Forts Saint-Jean und nur wenige Schritte vom Vieux-Port und vom Stadtzentrum entfernt entstehen. Plan J4 heisst das Unterfangen. Ebenfalls beteiligen müssten sich die Stadt und ihr Departement an den Kosten der Durchführung, welche die Südfranzosen auf nochmals rund 225 Millionen Franken schätzen.
Marseille liegt mit seinem Projekt gut im Wind. Neben der projektierten Infrastruktur, zu der eine schwimmende Plattform im Meer gehört, sprechen weitere starke Argumente für Marseille: der konstante Wind, die traditionelle Nähe zum Segelsport, die touristische Anziehungskraft des Ortes sowie die politische Stabilität.
Vor allem die Windfrage ist wichtig: Bei der letzten Austragung des Cups vor dem Hafen von Auckland in Neuseeland störte immer wieder unregelmässiges Wetter den Wettkampf. Dreissig Renntage fielen ins Wasser, was den produzierenden TV-Stationen Millionenverluste bescherte. Dies soll beim 32. America’s Cup anders werden. BA