Als der Richter vor wenigen Wochen die Zeugenbefragung unvermittelt abbrach, schrillten auch die letzten Alarmglocken. «Was wir derzeit in Russland vor Gericht erleben, ist äusserst ernüchternd und hat mit rechtsstaatlichem Vorgehen wenig zu tun», sagt Andreas Zivy, Präsident und Miteigentümer des Baselbieter Handelskonzerns Ameropa.

Siebzig Jahre Firmengeschichte, fast dreissig Jahre Handel mit Russland. Doch alle Tradition hilft nichts: Der Konzern und Zivy persönlich sind in Russland wegen Verschwörung angeklagt. «Wir haben keinerlei Möglichkeiten, uns vor Gericht zu verteidigen», sagt er. Es drohen Bussen in Milliardenhöhe und harte Haftstrafen.

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Erst Yukos, jetzt Ameropa

Der Vorwurf: Düngemittel soll unter Mithilfe von Ameropa aus Russland ausgeführt worden sein, allerdings nicht zu Weltmarktpreisen, sondern deutlich billiger. Dadurch seien dem Staat massive Steuereinnahmen entgangen. In Russland fällt das in die Kategorie Verschwörung. In solchen Fällen sind die Strafen – oft politisch motiviert – drakonisch. Der Ölkonzern Yukos von Magnat Michail Chodorkowski ging an einem solchen Prozess vor gut zehn Jahren zugrunde.

Der Untersuchungsleiter von damals ist der gleiche, der jetzt für den Fall Ameropa zuständig ist.

Zeugenbefragungen plötzlich beendet

In Binningen im Kanton Baselland, wo die global operierende Ameropa den Hauptsitz hat, befürchtet man das Schlimmste. «Die Zeugenbefragungen und die Einvernahmen wurden urplötzlich für beendet erklärt. Dem Richter scheint es zu eilen», sagt Zivy. Interventionen von Schweizer Behörden und diplomatische Avancen in der Vergangenheit brachten nichts.

Die Vorgänge, die in der Provinz Samara verhandelt werden, gehen zurück auf die 1990er Jahre nach dem Ende der Sowjetunion. Damals begann Ameropa, das fragliche Düngemittel über eine Tochterfirma aus Russland auszuführen. Das Material stammt vom russischen Produzenten Togliattiazot oder kurz Toaz, an dem auch die Baselbieter beteiligt sind. Sie halten laut eigenen Angaben 12,9 Prozent der Anteile.

Togliattiazot

Ammoniak-Werk von Togliattiazot in Togliatti, Samara.

Quelle: PD toaz.ru

Ameropa beteuerte stets, das Material zu korrekten Preisen übernommen zu haben, und liess Gutachten erstellen, die das belegen. Die Gegner fragen, warum Ameropa nie die Belege gezeigt habe, zu welchen Preisen der Dünger weiterverkauft worden sei. Aus Binningen heisst es, entsprechende Belege seien vom Gericht ignoriert worden. Was stimmt, ist von aussen unmöglich abzuschätzen.

Übernahmekampf um Toaz

Klar ist aber, dass um den Produzenten Toaz ein äusserst hart geführter Übernahmekampf tobt. Im Zentrum steht der russische Milliardär Dmitry Masepin. Er kündigte 2011 in der Branche an, er wolle mit seiner Uralchem zum grössten Düngemittelproduzenten Russlands avancieren. Zuvor hatte er bereits Investor Viktor Vekselberg dessen 10-Prozent-Paket an Toaz abgekauft.

Masepin wollte allerdings die Kontrolle über die ganze Firma und unterbreitete in der Folge den übrigen Aktionären von Toaz – darunter Ameropa – ein Übernahmeangebot. Einmal reiste er zu diesem Zweck in die Schweiz.

«Jede bekannte Raiding-Taktik»

Ameropa wäre verkaufswillig gewesen, aber andere Aktionäre sagten Njet und deshalb scheiterte der Deal. Schon vorher kam es zu Hetzkampagnen und Demonstrationen gegen die Toaz- und Ameropa-Führung. Nun aber verschlechterte sich die Lage drastisch. Aussenstehende sehen einen Zusammenhang. «Ich habe keinen Zweifel daran, dass Herr Masepin (...) ein Firmen-Raider ist», schrieb etwa Richterin Emma Arbuthnot. Sie führte 2016 in London ein Nebenverfahren in derselben Sache.

In ihrem Urteil verweist sie darauf, dass «jede bekannte Raiding-Taktik» gegen Toaz angewendet worden sei. «Dazu gehören Fälschung und Betrug, böswillige Strafverfolgung, Steuerprüfungen, Missbrauch von Aktien, Missbrauch des Bankensystems, Gewalt, Dark PR und Missbrauch der Rechtsstaatlichkeit», hiess es im Urteil, in welchem sie sich gegen die Auslieferung eines früheren Toaz-Direktors an Russland stellte.

Uralchem lehnt diese Darstellung ab und schreibt auf Anfrage, das Gericht habe «Schlussfolgerungen gegen russische Staatsangehörige und Unternehmen gezogen, ohne sie auch nur vor Gericht vorzuladen». Das Vorgehen sei «unangemessen», es fehle an Rechtsstaatlichkeit.

Interpol allerdings weigerte sich 2017 ebenfalls, einem Begehren von Russland nachzukommen. Diesmal ging es um einen Haftbefehl gegen Zivy.

Die Autorin des Berichts ist krank

London ist weit weg von der russischen Provinz Samara, wo der Toaz-Fall gerade verhandelt wird. Genauso wie Uralchem das Verfahren in London kritisiert, genauso bemängelt Ameropa die Vorgänge in Samara als parteiisch.

Das beginnt bei der Anklageschrift der russischen Staatsanwaltschaft, welche dem ganzen Prozess zugrunde liegt. Geschrieben wurde das Dokument offenbar nicht auf einem Computer der Behörde, sondern auf einem Gerät von Masepins Uralchem. Das zumindest erklärten die Anwälte der Beschuldigten vor Gericht, nachdem sie die Metadaten des Dokuments analysiert hatten.

Uralchem sagt dazu, Beweise für diese Behauptung hätten die Anwälte dem Gericht nicht vorgelegt. «Dieser billige Trick wurde nur aufgesetzt, um das Gericht unter Druck zu setzen.»

Schwer fällt Ameropa die inhaltliche Verteidigung. Die ganze Anklage fusst im Wesentlichen auf einem Expertenbericht, der zu tiefe Transferpreise des exportierten Düngers postuliert. In den Augen von Ameropa ist dieser Bericht hanebüchen. Ameropas Problem ist nur: Seinen Anwälten ist es vor Gericht nicht erlaubt, die Verfasser des Berichts zu befragen. Die eine Autorin sei krank und nicht befragbar, teilte der Richter offenbar kürzlich mit. Die Einvernahme des zweiten Experten hätte der Richter ohne Angabe von Gründen abgesagt.

Allzu lange dürften die Vorgänge vor Gericht nicht mehr dauern. Als Nächstes stehen die Plädoyers an. Beobachter würde es überraschen, käme die Verteidigung da gross zu Wort.