Schöner kann kein Mensch seine Liebe zum Kaffee demonstrieren: Wenn Francesco Illy tief in einen Jutesack mit gerösteten Kaffeebohnen greift, beide Hände zur Schale formt, diese zur Nase führt, wenn er sich dann kurz konzentriert und schliesslich geniesserisch das Aroma einatmet, dann muss niemand mehr fragen, warum der Mann als «das Gesicht von Illycaffè» gilt. Besser verkörpert keiner die Marke für guten italienischen Kaffee. Francesco Illy ist ein Künstler, einer, der die Marke Illy wesentlich geprägt hat, ein Mann vor allem auch, der die zündenden Ideen hat.
Francesco Illy ist der Vater der Illy-Tässchen und der Design-Kaffeemaschinen FrancisFrancis!. Doch er ist auch ein Mann, der im Familienkonzern neuerdings nichts mehr zu sagen hat. Operativ, da kann sein Auftritt im familieneigenen Kaffeelager noch so perfekt sein, hat er keine Aufgabe mehr. Der 51-jährige Schweizer mit italienischen Wurzeln ist nach zähen Verhandlungen mit seinem Bruder Andrea per Ende Juli in die Rente geschickt worden – nach 31 Jahren im Dienste der Firma hat er sich mit einer Abfindung in einstelliger Millionenhöhe in der Toscana zur Ruhe gesetzt.
Wer die dramatische Geschichte seiner Entmachtung verstehen will, muss zuerst allerdings die ganze Famiglia wenigstens ansatzweise kennen lernen. Und die Firma Illycaffè.
|
An der Via Flavia 110 in Triest begrüsst Ernesto Illy die Besucher des Unternehmens. Ernesto ist Präsident der Firma, und er ist der Vater von Francesco. Er hat Chemie studiert und als Arbeiter in einer Farbenfabrik in Mailand gearbeitet. In den Fünfzigerjahren ist er in das kleine Kaffeeproduktionsunternehmen seines Vaters eingestiegen.
«Als mein Vater 1933 in Triest unsere Firma gründete, hatte er einen Traum», sagt Ernesto Illy, «er wollte den besten Kaffee der Welt herstellen und verkaufen.» Damals wurde der Kaffee in Beuteln aufbewahrt, die Qualität sei jeweils rasant gesunken. Also packte der Pionier den Kaffee in Dosen, die er mit Stickstoff auffüllte. So blieb der Kaffee viel länger frisch – Illy setzte zum Siegeszug durch Italien und die Welt an.
Und dieser hält an: Im Geschäftsjahr 2003 verzeichnete die Illycaffè-Gruppe einen konsolidierten Umsatz von 190 Millionen Euro und einen Reingewinn von 10,8 Millionen Euro. Dieses Jahr wird die Gruppe die 200-Millionen-Marke überschreiten.
Als Kontrollorgan des Familienvermögens fungiert die Finanzholding Buriana, die 100 Prozent der Aktien von Illycaffè Trieste hält. Das Aktienkapital der Buriana wiederum ist zu 100 Prozent unter den vier Kinder aufgeteilt, wobei Francesco 23 Prozent hält. Der Rest verteilt sich auf die drei Geschwister Andrea, Riccardo und Anna, die zu je 25,6 Prozent beteiligt sind. Durch eine geplante Reorganisation werden die Eltern, Ernesto und Anna, künftig zehn Prozent des Kapitals der Buriana halten.
Die Rolle der Familienmitglieder ist klar definiert. Riccardo ist Vizepräsident von Illycaffè. Er trat 1977 mit 22 Jahren in die Firma als Gebietsvertreter ein und war auserkoren, sie zu übernehmen. Später befasste er sich mit der Rationalisierung der Abläufe und dem Aufbau des Marketings, das bis anhin nicht vorhanden war. Durch eine geschickte Vertriebsstrategie steigerte er das Wachstum des Unternehmens erheblich. Bis 1993 stand er dann als «administratore delegato» an der Spitze von Illycaffè.
Auch Riccardo hat seine besonderen Seiten: In seiner Jugendzeit hatte er gegen eine Zukunft in der Familienfirma rebelliert und lieber als Segel- und Skilehrer gearbeitet, als sein Studium zu beenden. Im elterlichen Unternehmen sah er wenig Zukunft und wechselte lieber in die Politik. «Mit Kaffee kann man keine öffentliche Meinung beeinflussen», rechtfertigte Riccardo damals seine Entscheidung. 1993 wurde er zum Bürgermeister von Triest gewählt, acht Jahre lang regierte er in der Folge die Illy-Stadt.
Im Juni gewann er als Kandidat der Linken die Regionalwahlen in der Berlusconi-Hochburg Friaul-Venetien – mit absoluter Mehrheit. In Italien gilt Riccardo Illy schon als möglicher Gegner des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bei den nächsten Wahlen in Rom.
Bruder Andrea, 40 Jahre alt, ging mit 19 Jahren in die Schweiz und arbeitete dort in der Abteilung für Forschung und Entwicklung von Nestlé in Vevey. Danach kehrte er zurück, um wie sein Vater Chemie an der Universität Triest zu studieren. 1990 trat er in den Kaffee-Familienbetrieb ein. Vier Jahre später, inzwischen mit einem Abschluss der Mailänder Business School, übernahm er die Geschäftsführung. Seit acht Jahren steht der Mann mit dem raspelkurzen Haar an der Spitze des Espresso-Imperiums mit dem knallroten Quadrat als Firmenlogo und treibt die Geschäfte voran. Der Umsatz stieg von seinem Amtsantritt 1994 bis ins Jahr 2001 von 80 auf 190 Millionen Euro, die Nettorendite hat sich bei sechs Prozent eingependelt.
Auch im vorigen Jahr, als einige Konkurrenten kräftige Einbussen verzeichneten, legte der Umsatz von Illy noch mal um fünf Prozent zu. Doch das reicht dem Firmenchef nicht: Er will den Markt mit eigenen Kaffee-Bars aufrollen und drängt damit in ein hart umkämpftes Geschäft.
Die bestehenden zwanzig Filialen seien erfolgreich, verkündet der Firmenchef. Bis Ende dieses Jahres sollen es 50, in drei Jahren 200 sein. Sie müssen sich gegen den Gastronomiefilialisten Starbucks und die vielen Kaffee-Bar-Ketten durchsetzen. Der smarte 40-Jährige sieht darin kein Problem: «Unsere Vision ist es nicht, Massen zu verkaufen. Viel eher investieren wir in alles, was die Qualität unseres Produktes stärkt», sagt er.
Andrea Illy arbeitet heute sehr eng mit seiner Schwester Anna im Unternehmen zusammen. Sie ist Vorstandsmitglied für Strategic Source und zeichnet für den Kaffee-Einkauf verantwortlich.
|
Francesco, der Künstler, ist der Schillerndste in der Familie und der Älteste unter den vier Geschwistern. Als 24-Jähriger lernte er seine Frau Annemarie an der Mustermesse in Basel kennen, bis vor vier Jahren wohnte er mit ihr in Küssnacht am Rigi direkt am See. Hier sind seine beiden Kinder Ernesto und Vittoria zur Welt gekommen, hier entwickelte er bis zum Juni 2000, als er sich von seiner Frau Annemarie trennte, seine Strategien für die Vermarktung des Illy-Kaffees.
1979 begann er mit 100 von seinem Vater geliehenen Turmix-Kaffeemaschinen unterm Arm, den Schweizer Markt zu bearbeiten. «Es war harte Pionierarbeit», erinnert sich Francesco Illy an die Anfänge. Er hatte im Schweizer Markt mit zwei Problemen zu kämpfen: Espresso war damals ein diffuser Ausdruck für etwas, das mit starkem Kaffee und Herzklopfen in Verbindung gebracht wurde und als sicherster Garant für schlaflose Nächte galt. Selbst in italienischen Restaurants lag der Anteil an Espresso gerade mal bei 15 Prozent. Heute ist es so, dass von zehn bestellten Kaffees sieben als Espresso über die Theke gehen.
Dem Begriff «Espresso» landesweit das Leben einzuhauchen, war jedoch nicht die einzige Aufgabe. Der Illy-Kaffee aus Triest, der heute in 78 Ländern verkauft wird, wurde aus markenrechtlichen Gründen in der Schweiz zu Amici Caffè (siehe «Das Schweizer Illy-Label» rechts). In dieser Zeit verfasste Francesco gemeinsam mit seinem Bruder Riccardo das Buch «Von der Bohne zum Espresso», das im Verlag Mondadori auch in deutscher Sprache erschien und heute noch ein Referenzwerk darstellt.
1980 ist die Triester Famiglia dann bei seiner Schweizer Firma eingestiegen, Francesco behielt noch zehn Prozent seiner Anteile. Zwei Jahre später absolvierte er die Verkaufsleiterschule am damaligen Sawi in Biel und entwickelte ein umfangreiches Strategiepapier mit sieben wesentlichen Punkten. Zwei davon behandelten die Expansion des Kaffeemultis mit eigenen Bars und Kaffeemaschinen. «Ich wollte für die Kaffeewelt das werden, was Cartier damals für die Uhrenwelt war», meint Francesco. Dem Zürcher Unternehmensberater Joachim Schröder erteilte Francesco den Auftrag, die unternehmerische Situation des Mutterhauses zu analysieren. Schröder fand damals heraus, dass es um die Eigenfinanzierung sehr schlecht stand. «Wachstum aus dem eigenen Cashflow», hiess die Forderung. Die Familie in Triest war darüber nicht sehr erfreut, Francesco übernahm wieder 100 Prozent der Schweizer Firma, und die Distribution wurde einem Wiederverkäufer übertragen.
Francesco konzentrierte sich auf die Espresso-Aufklärungsarbeit in der Gastronomie und beim Konsumenten. «Ich führte einen Krieg gegen die vollautomatischen Kaffeemaschinen.» Zwei Jahre nach der Geburt des Unternehmens Amici Caffè in der Schweiz 1989 wurde die erste Amici-Bar der Schweiz in Zürich eröffnet. Im gleichen Jahr verfasste Francesco ein 70 Seiten starkes Manifest, wie eine Tasse für den Illy-Kaffee auszusehen habe. «Ein guter Espresso ist, kurz gesagt, ein organoleptischer Orgasmus – sein voller Geschmack, der aromatische Duft und ein samtener Körper bringen unsere Geschmacksempfindungen in Verzückung», resümiert Franceso.
Das Illy-Multitalent und der Designer Matteo Thun gaben der Illy-Tasse ihre bis heute unverkennbare Form. Seit 1993 prägen internationale Künstler das Erscheinungsbild der Illy-Tassen, darunter Rauschenberg und Koons, Kosuth und Rosenquist. 52 Kollektionen wurden bisher realisiert. «Der Künstler James Rosenquist hat 1996 auch das aktuelle Firmenlogo kreiert – mit vier Pinselstrichen», so Illy. Seit 1998 liegt die Verantwortung für die Kaffeetassenserie Illy Collection beim künstlerischen Leiter Carlo Bach.
Dass man mit Kaffeemaschinen mehr Kaffee verkaufen kann, darauf kam Francesco Illy 1994. Und so entwickelte er die erste Espressomaschine unter dem Namen FrancisFrancis! X1. Die farbigen Kaffeemaschinen für trendbewusste Liebhaber der Kaffeekultur wurden zum Renner. «Die Produkte des führenden italienischen Kaffeehauses unter dem Label FrancisFrancis! sind weit mehr als nur funktionale Gegenstände des täglichen Gebrauchs. Sie sind Träger einer Philosophie», sagt Francesco Illy.
Drei Jahre später stand ein erneuter Konflikt mit seiner Familie in Triest ins Haus. Familienoberhaupt Ernesto Illy erklärte, die Firma FrancisFrancis! sei ein aufblühendes Pflänzchen, «das nur mit unserem Wasser getränkt wurde». Francesco bot seinem Vater 50 Prozent des prosperierenden Unternehmens, das mittlerweile 60 000 Kaffeemaschinen pro Jahr verkaufte. Die Familie wollte jedoch 100 Prozent. Im Jahre 2002 startete Francesco Illy ein Joint Venture auf einer 50:50-Prozent-Basis und verzichtete zwei Jahre auf einen Lohn. «Im Juli 2004 wurde ich gezwungen, meine 50-prozentige Beteiligung an Illycaffè zu verkaufen. Mein Bruder Andrea, zu dem ich grosses Vertrauen hatte, fungierte als verlängerter Arm der juristischen Person», sagt Francesco Illy.
Damit er zukünftig unter seinem Namen nicht mehr im Bereich Kaffee und Lebensmittel tätig ist, erhält Francesco von der Famiglia jeden Monat einen Scheck. Sein Vater Ernesto hoffe dennoch, so die gemeinsame Sprachregelung, «dass Francesco, der seit 1979 keine operative Funktion im Familienunternehmen hatte, wieder eine operative Tätigkeit im Konzern aufnimmt».
Francescos Stolz wurde verletzt. Er kann es sich leisten zu schmollen – er igelte sich für sechs Monate in sein toscanisches, 57 Hektar grosses Weingut Le Ripi ein, zehn Autominuten von Montalcino entfernt. Mit seiner Olivenöl- und Pastaproduktion hat er Erfolg. Nun denkt er über eine Expansion in die professionelle Weinherstellung und einen möglichen Einstieg in die Biochemie nach.
Francesco bleibt ein Rebell in der Illycaffè-Dynastie und passt in keinen Raster. Schon sein Aussehen provoziert und polarisiert: bequeme unprätentiöse Freizeitkleidung, Dreitagebart und Mozartzopf, den er mit einem Stretchriemen, lässig fast wie eine Frau, verknotet. Er blickt immer grimmig und trotzig, kombiniert Selbstbewusstsein mit Arroganz. «Die Arroganz hat mir oft geholfen im Leben. Ich erlange damit Respekt», entschuldigt er sich. Er fixiert im Gespräch sein Gegenüber mit stechendem Blick, lässt nicht los und wartet auf eine Reaktion des Gesprächspartners. Ein Lächeln in einer solchen Situation wirkt hier Wunder. «Die Rebellen verdienen unsere Bewunderung – weil sie ohne Wenn und Aber in Kauf nehmen, was wir nie riskieren würden: den Liebesentzug der Mehrheit», meint Francesco. seinem Lebensmotto entsprechend.
Francesco Illy wäre nicht Francesco Illy, wenn er nicht noch irgendeinen Joker in der Hinterhand hätte. Er ist unter seinen Geschwistern der einzige Illy mit männlichem Nachkommen. Neun Enkelkinder gibt es in der Familie, acht davon sind Mädchen. Ernesto (21), der Architektur studiert, ist Francescos Sohn. «Es ist eine festgeschriebene Illy-Familientradition, dass bei der Nachfolge immer der Sohn zum Zug kommt», sagt Francesco Illy.
So gesehen ist der Rebell mit halbem Fuss bereits wieder in der Firma.