Die Schweiz gilt – besonders in internationalen Vergleichen – als sauberes, reinliches Land. Dennoch: Littering lässt sich nicht wegdiskutieren. Wo wurden Sie letztmals mit weggeworfenem Unrat konfrontiert?

Andreas Münch: Littering ist eine wachsende Herausforderung in Städten und Agglomerationen, der man in den Ballungszentren täglich begegnet. Littering ärgert doppelt, weil man in fast allen Fällen sieht, aus welcher Quelle die weggeworfene Verpackung, die Dose oder die Flasche stammt.

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Was und wo wird achtlos entsorgt?

Münch: Die Antwort gibt die typische Zusammensetzung des Abfalls. Weggeworfen werden vor allem Take-away-Verpackungen, Getränkedosen und Flaschen, Zigaretten und – eher eine Erscheinung der neueren Zeit – Zeitungen. Dies überall dort, wo Menschen unterwegs sind, auf Strassen, Plätzen und Grünflächen, sehr stark in den Mittagspausen und am Abend, aber auch an Festen, Festivals, an Sportanlässen usw. Störend ist längst nicht allein die Menge, gemessen in Tonnen. Schon ein paar wenige Papiertüten oder PET-Flaschen hinterlassen, am falschen Ort, einen negativen Eindruck. Der «optische Abfall» stört.



«Gelittert» wird nicht im direkten Umfeld der eigenen Wohnung oder des Arbeitsplatzes, sondern dort, wo man sich – losgelöst vom hauptsächlichen Lebensraum – temporär aufhält, vor allem in der Freizeit. Wo ist der Grossverteiler Migros am stärksten mit dem Littering konfrontiert?

Münch: Überall dort, wo Konsumenten Fast- oder Convenience-Food einkaufen, also fertige Esswaren zum Sofortverzehr.



Lässt sich das Littering begründen mit den veränderten Essgewohnheiten unserer Gesellschaft?

Münch: Ja, sogar schwergewichtig. Auch mit den heutigen Lebensgewohnheiten, weil vieles sehr rasch gehen muss. So beispielsweise die Verpflegung über Mittag. Die Hemmschwelle, in der Mittagspause ebenso acht- wie gedankenlos Verpackungsmaterial zu entsorgen, in dem man dieses einfach liegen lässt, ist tief. Zu Hause, in den eigenen Wänden, käme das keiner Konsumentin oder keinem Konsumenten in den Sinn.



Ist Littering primär ein Problem der urbanen Bevölkerung?

Münch: Es existiert ein Unterschied zwischen den ländlichen und den städtischen Gegenden, abhängig von den Essgewohnheiten. Zudem ist die Affinität der ländlichen Bevölkerung zur Umwelt grösser als bei der städtischen. Auch die Anonymität in der Stadt spielt eine Rolle. «Mich kennt hier ja niemand, also …» mag einen bedeutenden Einfluss spielen. Und ein Kaugummi oder ein Zigarettenfilter sind ja nur klein …



Wie sieht es mit den Regionen aus: Gibt es in der Schweiz deutliche Unterschiede?

Münch: Konkrete Daten, wie weit sich die einzelnen Schweizer Ballungsgebiete voneinander unterscheiden, liegen mir nicht vor. Lassen Sie mich aber eine subjektive Feststellung einbringen. Ich habe das Gefühl, dass ich in der Westschweiz, so in Genf, auf weniger verschmierte Wände – auch diese zähle ich zum Littering – stosse als beispielsweise in Zürich.



Ist Littering ein Problem der Generationen? Sind vor allem Jüngere die Sünder?

Münch: Nicht zwingend, es sind die veränderten Lebensgewohnheiten, die dem Littering förderlich sind. Mir scheint, die jüngste bis jüngere Generation besitzt durchaus eine Affinität zu den Anliegen des Umweltschutzes. Entscheidend ist der Verlust von Wertvorstellungen. Dieser manifestiert sich in vielen Bereichen. Dazu kommt die Anonymität. Deshalb auch das Gefälle Stadt-Land. Littering ist aber nicht erst ein Problem der heutigen Zeit. Früher wurden ganze Lastwagenladungen mit Abfall an abgelegenen Orten «entsorgt».



Fehlt es uns an Zivilcourage? Eigentlich müsste man den Mut aufbringen, Schuldige auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen.

Münch: Das ist durchaus ein Lösungsansatz, um das Littering und deren Verursacher aus der Anonymität zu holen.



Heute führen Organisationen und die Wirtschaft den Kampf gegen das Littering. Was macht die Migros?

Münch: Eingebunden ist der Kampf gegen das Littering in alle unsere Bemühungen um Nachhaltigkeit. Unser vornehmliches Ziel ist es, jeden Tag die Nachfrage unserer Kundinnen und Kunden nach Qualitätsprodukten zu günstigen Preisen zu erfüllen. Wir möchten aber auch, dass sie mit gutem Gewissen bei der Migros einkaufen können, indem wir uns für eine umweltgerechte Produktion, aber auch für betriebsökologische Optimierungen in all unseren Einrichtungen engagieren.



Was bedeutet dies konkret im Zusammenhang mit dem Littering?

Münch: Es sind vier Schienen, auf denen dem Littering zu begegnen ist: a) den Abfall so gering wie nur möglich zu halten; b) den späteren Abfall – die Verpackung also – so ökologisch wie möglich herzustellen; c) den Abfall fachgemäss in den Sammelstellen zu entsorgen und d) müssen letztlich all diese Massnahmen begleitet werden durch Aufklärung und Information.



Das achtlose Liegenlassen und Wegwerfen von Abfall muss im Verbund gelöst werden. Gibt es hier Zusammenarbeit?

Münch: Wir gehen das Littering unter anderem in der Interessengemeinschaft Detailhandel Schweiz, der IG DHS, an; in dieser engagieren sich Migros, Globus, Charles Vögele, Coop, Denner, Manor und Valora. Allerdings: Nur rund 30% der in der Schweiz gelitterten Abfallmenge stammen von den Kunden der IG-DHS-Mitgliedfirmen.



Ein gutes Beispiel liefert die Stadt Luzern. Dort haben Geschäfte aus der Innenstadt gemeinsam ein Littering-Konzept erarbeitet, wie Luzern sauber gehalten werden kann.

Münch: Und es funktioniert!



Die Migros setzt auf Kooperation?

Münch: Ja. Die Lösung liegt nicht in zusätzlichen flächendeckenden Abfallgebühren wie zum Beispiel in Bern. Drohfinger und eventuell sogar Bussen wirken nicht in die entscheidende Richtung. Wichtig sind Aufklärung und Sensibilisierung im erzieherischen Sinn. Der Konsument muss wissen, dass er beim Kauf die Verpackung mitkauft, dementsprechend trägt er auch die Verantwortung für die richtige Entsorgung.



Einzelne Städte und Kantone gehen neuerdings mit Bussen gegen die Littering-Verursacher vor. Was halten Sie davon?

Münch: Bussen sind vielleicht die letztmögliche Variante. Wenn, dann muss aber jener oder jene bestraft werden, der oder die den Abfall liegengelassen hat, nicht der Detailhandel. Schliesslich werden auch nicht die Autohersteller dafür gebüsst, dass man mit ihren Fahrzeugen die vorgeschriebene Geschwindigkeit überschreiten kann …



Was kostet der Kampf gegen das Littering die Migros?

Münch: Detailzahlen zu den Kosten des Litterings erheben wir nicht zentral, wir rechnen aber mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Massnahmen wie das Aufstellen von Entsorgungsgefässen, das Reinigen der direkten und der weiteren Umgebung usw. sind – mit Ausnahme der Aufklärungsarbeit und der Information – Sache der einzelnen Genossenschaften; sie sind aber eingebunden in unsere gemeinsamen Bemühungen zur Nachhaltigkeit. Die Migros «produziert», inklusive die firmeneigenen Industriebetriebe, im Jahr um die 200000 t Betriebsabfälle; deren Entsorgung kostete im letzten Jahr 11 Mio Fr. Zudem wissen wir, dass die Migros schweizweit das grösste Rücknahmesystem für Leergebinde und ausgediente Produkte betreibt. Ausnahmen sind Aluminium und Glas; diese beiden Verpackungsmaterialien werden im öffentlichen Raum zurückgenommen.



Was bedeutet die Leaderrolle in Zahlen?

Münch: 2006 hat die Migros rund 13000 t Kundenabfälle zurückgenommen und zu 100% dem Recycling zugeführt, darunter sicherlich einige 100 t Abfall aus dem Littering. Zurück genommen wurden 8420 t PET-Flaschen, 3510 t ausgediente Elektrogeräte, 800 t PE-Milchflaschen und 200 t Batterien. 63% unserer Betriebsabfälle von insgesamt 200000 t pro Jahr wurden ebenfalls dem Recycling zugeführt, 32% in KVAs oder in Zementwerken verbrannt, 4% in der betriebseigenen Verbrennung in Energie umgewandelt und lediglich 1% wurde auf Deponien endgelagert.



Drei Viertel der Abfälle, die die Kunden in die Migros zurückbringen, entfallen auf Verpackungen. Diese über 9000 t liessen sich weiter reduzieren, wenn Verpackungen auf einen minimalen Umfang beschränkt würden.

Münch: Für Verpackungen gelten drei Anforderungen, jene des Gesetzgebers, jene des Konsumenten und letztlich auch jene des Produzenten/Lieferanten. Alle diese teils stark divergierenden Anforderungen müssen unter einen Hut gebracht werden.



Als grösster Schweizer Detailhändler hat es Migros in der Hand, auf die Art der Verpackung Einfluss zu nehmen, diese so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten.

Münch: Auf die Ausgestaltung der Verpackungsart kann die Migros Einfluss nehmen, das trifft zu. Glauben Sie mir: Was immer wir offen verkaufen können, bieten wir ohne Verpackung an! Unser Ziel heisst «Möglichst wenig Verpackung». Der Ökologie wird entsprechend grosse Bedeutung zugemessen, auch aus ökonomischen Überlegungen. Verpackungen sind immer auch ein Kostenfaktor. Gelingen muss der Spagat zwischen den Ansprüchen an eine Verpackung und der Ökologie.



Besitzt der Konsument die Sensibilität, ob eine Verpackung die Anliegen der Umwelt mitträgt?

Münch: Diese Affinität ist vorhanden. An uns ist es, alle Ansprüche, die an eine Verpackung gestellt werden, auch jene des Marketings, möglichst in einer idealen Verpackung zu vereinen.

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Andreas Münch, Leiter des Departementes Logistik beim MGB: «Drohfinger und Bussen wirken nicht in die entscheidende Richtung.»

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Zur Person

Steckbrief

Name: Andreas Münch

Funktion: Leiter Departement Logistik und Informatik; Mitglied der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes (MGB), Zürich

Ausbildung: Elektroingenieur ETH

Geboren: 1957

Familie: Verheiratet, zwei Töchter

Wohnort: Kanton Aargau

Karriere

Bis 1989: Leiter einer Engineering-Abteilung bei der damaligen BBC

1989–1994: Geschäftsbereichsleiter bei Ascom

1994–1999: Mitglied der Konzernleitung Swisslog, Leiter der Tochtergesellschaft Digitron

1999–2002: Konzernweite Verantwortung für Sulzer Infra Gebäudetechnik

2003: CEO Feintool

Seit April 2005: Leiter des Departementes Logistik und Informatik sowie Mitglied der GD Migros-Genossenschafts-Bund (MGB)