Antike Komödien kennen einen Kunstgriff: Kommt es zu Konflikten, die sich durch die Darsteller nicht mehr lösen lassen, so braucht es oft das Eingreifen eines Zufalls, einer göttlichen Fügung oder eines «Deus ex machina», der dem Geschehen die entscheidende Wende gibt. Der Gott taucht plötzlich auf, schwebt in einer kranähnlichen Flugmaschine über der Spielfläche und hilft den Notleidenden aus ihrer Patsche.

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Der interimistische Direktor des Zürcher Schauspielhauses, Andreas Spillmann, kennt diesen theatralischen Krisenmanager. Sich selber würde er aber nie als «Deus ex machina» bezeichnen. Zu zurückhaltend, zu wenig narzisstisch ist das Auftreten Spillmanns.

Doch sein Auftritt vor knapp drei Jahren in Zürich, wo ein offener Krach ums Schauspielhaus im Gang war, kam zum richtigen Zeitpunkt. Der 45-jährige Ökonom und Theaterliebhaber hat nicht nur eine Krise bewältigt und die vielen überschäumenden Gemüter beruhigt; er hat als kaufmännischer Direktor vor allem das drohende Grounding des traditionsreichen Theaterhauses verhindert.

Konzentrierter Vielarbeiter

Andreas Spillmann sitzt in seinem Büro. Die hellen Möbel, die er von seinem Vorgänger übernommen hat, und die Topfplanzen verströmen eine leicht verstaubte, altmodische Stimmung. Spillmann sitzt am runden Tisch, vor ihm eine Marlboro-Schachtel.

Er spricht ruhig, denkt lange nach, wenn er seine Gedanken ordnet, und zieht dazwischen immer wieder tief an seiner Zigarette. Er wirkt überarbeitet, aber voll konzentriert. Seine Stimme ist tief, ruhig, einnehmend. Nichts wirkt überhastet, unüberlegt.

Und er hat diplomatisches Geschick. Über seine Vorgänger fallen keine bösen Worte. Wenn gewertet wird, dann stehen fast nur die positiven Aspekte im Vordergrund. Der Rest sei Sache der Öffentlichkeit, er habe kein Urteil zu fällen, sagt Spillmann.

Dabei hätte er eine Menge zu erzählen. Als er in Zürich ankam, herrschte ein erbitterter, öffentlicher Theaterstreit um die Intendanz Christoph Marthalers, der als neuer Messias angekündigt worden war, und um die Finanzen des Schauspielhauses. Es klaffte ein Riesenloch in der Kasse, eine Volksabstimmung stand an gegen den harschen Widerstand der SVP. Die Mittel mussten erhöht werden, um das Fortbestehen des Hauses zu garantieren.

Ein existenzieller Kampf

«Ja, es war ein existenzieller Kampf», sagt Andreas Spillmann mehr zu sich selber und zündet die nächste Zigarette an. Sein Vorteil sei es gewesen, dass er mit der ganzen Vorgeschichte nichts zu tun gehabt habe: Weder mit dem Schifffbau, der neuen und zu teuren Spielstätte im trendigen Zürich West, noch gehörte er zur Marthaler-Familie.

Es hat Spillmann auch nicht gestört, dass er als Nachfolger des in Ungnade gefallenen kaufmännischen Direktors Marcel Müller nicht erste Wahl war. Spillmann kam erst zum Zug, als der Kronfavorit, Peter F. Raddatz aus Hamburg, kurzfristig abgesagt hatte. Doch Spillmann wollte diesen Job, ihn reizte diese Herausforderung, die Auseinandersetzung zwischen Geld und Geist, ein Dauerthema in der Kultur.

Wie viel «wert» ist die Kreation, die Inspiration wie viel darf Kultur kosten, wenn die öffentlichen Mittel zurückgehen und allgemein gespart werden muss?

Spillmann lehnt sich zurück und stellt fest: «Sparsames Verhalten ist in guten Zeiten grundsätzlich schwieriger als in schlechten.» Die neue Direktion um Marthaler, die nach Zürich geholt worden war, um das Schauspielhaus wieder in die Topliga der europäischen Theaterhäuser zu katapultieren, richtete mit grosser Kelle an - zunächst mit einer zu grossen. Die Gelder versickerten im Schiffbau, der erwartete Publikumsaufmarsch blieb aus.

Wenn Spillmann über seine damalige Rolle erzählt, kommt das Gefühl auf, man sitze in einer Stunde eines Understatement-Seminars. «Ich hatte den einfachsten Part. Ich musste die Zahlen analysieren und in erster Linie sie sprechen lassen.» Spillmann bereitete die harten Fakten so auf, dass sie nichts beschönigten. Dies brachte wenigstens etwas Versachlichung in die öffentliche Hysterie.

«Wissen ist ein enormer Vorteil», bemerkt Spillmann. Da habe er als Ökonom, als «Zahlenmensch», wie er sich bezeichnet, einen Vorteil, und diesen habe er genutzt. Es kam alles gut: Die Stimmberechtigten stimmten den zusätzlichen Geldern zu, die Theaterdirektion nahm Abstriche vor, die überhitzte Stimmung beruhigte sich.

Als eineinhalb Jahre später Marthaler Zürich verliess, fragte der Verwaltungsrat Spillmann an, ob er diese «Zwischensaison 2004/05» auch als künstlerischer Direktor leiten wolle, bevor Matthias Hartmann aus Bochum in Zürich beginnt. Spillmann sagte zu.

Er sieht sich aber nicht als «Lückenbüsser». Seine Herkunft sei klar: Ökonom. Dies schaffe keine falschen Voraussetzungen und Erwartungen. «Ich bin kein Künstler», betont Spillmann. Deshalb war es in der Vorbereitung der laufenden Spielzeit seine vordringliche Aufgabe, die wichtigsten Künstler ans Haus zu binden.

Zusammen mit den Regisseuren nahm er die Wahl der Inszenierungen, der Wiederaufnahmen und die Zusammenstellung des Programms vor. Das Resultat stimmt ihn zufrieden. «Vielleicht hat der eine oder andere mal die Augen verdreht und darüber geschmunzelt, dass ausgerechnet ein Ökonom ein Theater führt. Das ist völlig legitim.»

Zuerst ein Umweg über die Schauspielerei

Dass ihm das künstlerische Milieu nicht fremd ist, hat auch mit seiner Herkunft zu tun. Spillmann besuchte mit seinen Eltern und den drei Schwestern regelmässig das Schauspielhaus.Schon als jungen Mann zog es ihn auf die Bühne.

Er wollte Schauspieler werden und besuchte in München die Falckenberg-Schule. Nach dem Abschluss und ersten Bühnenerfahrungen, über die Spillmann nicht öffentlich spricht, stellte er fest, dass die Schauspielerei nichts für ihn sei. «Ich habe unsympathische Rollen unglaubwürdig gespielt», ist sein ironischer Kommentar.

Dafür entdeckte er die Zahlenwelt. Spillmann studierte Volkswirtschaft und gründete nach seiner Dissertation ein Büro für volkswirtschaftliche Beratung, das primär den Einsatz und die Wirkung öffentlicher Mittel analysierte.

1998 sollte dann erstmals die Verbindung zwischen Geld und Geist zustande kommen: Spillmann wurde Kulturbeauftragter des Kantons Basel Stadt, wo er eine konstruktive und produktive Kulturpolitik betrieb, wie ihm rückwirkend attestiert wird.

Da er nun in Zürich eine weitere Stufe einer nicht alltäglichen ökonomischen Karriereleiter erklommen hat, gelüstet ihn danicht nach mehr? Hat er nicht Appetit auf eine «richtige» Intendanz bekommen? Spillmann winkt im Gespräch ab. Sein Job als kaufmännischer Direktor gefalle ihm, sagt er diplomatisch.

Doch dem «Deus ex machina» sind in der Zwischenzeit Flügel gewachsen. Dass er zusammen mit Thomas Oberender, Chefdramaturg am Schauspiel Bochum, Interesse an der Leitung des Deutschen Theaters in Berlin bekundete, bei-de ihre Kandidatur aber wie-der zurückzogen, und dass Spillmann nach Ende der Spielzeit dem Schauspielhaus Zürich den Rücken kehrt, weist darauf hin: Der Ökonom möchte nicht mehr nur als Krisenmanager agieren, sondern einem Theaterhaus sel-ber den künstlerischen und den betriebswirtschaftlichen Stempel aufdrücken. Und zwar von Anfang an.

Drei Jahre im grössten Schweizer Theaterhaus: Steckbrief

Name: Andreas Spillmann

Funktion: Theaterdirektor

Alter: 44

Ausbildung: Dr. rer. pol.

Karriere

1983 Schauspielschule München

1984-1993 Wirtschaftsstudium in Zürich und Basel, Promotion

1993-1997 Mitinhaber der volkswirtschaftlichen Beratungsfirma B,S,S.

1998-2001 Leiter Ressort Kultur im Erziehungsdepartement Basel-Stadt

2002-2005 Kaufmännischer Direktor Schauspielhaus Zürich, seit 2004 auch künstlerischer DirektorFirma

Schauspielhaus Zürich: Seit der Gründung der AG 1938 gehört das Theaterhaus zu den bedeutendsten Bühnen im deutschsprachigen Raum. Mit einem Sitzplatzangebot 1300 Plätzen, verteilt auf drei Bühnen, ist das Schauspielhaus die grösste Sprechbühne der Schweiz. Pro Jahr besuchen über 120000 Zuschauer rund 500 Vorstellungen. In der Spielzeit 1994/95 zählte das Theater 200000 Besucher. Der Aufwand für die Spielzeit 2003/04 belief sich auf 44,2 Mio Fr. Im Sommer übernimmt Matthias Hartmann die künstlerische Direktion, Marc Baumann die kaufmännische.