Google legt das meistgenutzte Stück Software der Welt, sein Smartphone-Betriebssystem Android neu auf. Überraschend veröffentlichte der Konzern nun die finale Version seiner Software. Zunächst nur für seine hauseigenen Smartphone-Modelle Pixel und Pixel 2, Modelle anderer Hersteller bekommen das Update in den kommenden Wochen.
Android Pie wurde in jeder Hinsicht darauf optimiert, mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Nutzung zu vereinfachen. Die Geräte sollen künftig anhand des Nutzerverhaltens Absichten und Gewohnheiten ihrer Eigentümer erkennen und darauf reagieren. «Das System erkennt Verhaltensmuster und stellt sich auf seine Nutzer ein», erklärt Sagar Kamdar, Googles Produktmanager für Android.
Weniger Nerverei durch Android
«Es nutzt dadurch Ressourcen wie den Akku effektiver oder vermeidet es, den Nutzer zu stören. Die Bedienung wird einfacher, etwa indem die Helligkeit des Displays oder die Kontrolle der Lautstärke bei der Medienwiedergabe intelligent angepasst wird.» Smartphones mit Android Pie, sagt Kamdar, stellen sich mit teils sehr subtilen Änderungen individuell auf ihre Eigentümer ein.
Die fünf wichtigsten Neuerungen von Android Pie sind bereits aus den Beta-Versionen teilweise bekannt. So soll Android 9.0 seine Nutzer weniger oft nerven. Dazu überarbeitet Google die App-Benachrichtigungen. Künftig reicht es, das Telefon mit dem Bildschirm nach unten abzulegen, um störende Nachrichten aus Apps – seien es Whatsapp-Nachrichten, Amazon-Werbung oder Systemhinweise – stummzuschalten.
Zudem beobachtet Google, ob die Nutzer die Benachrichtigungen einzelner Apps überhaupt nutzen und wahrnehmen. Ist dies nicht der Fall, bietet das System an, diese abzuschalten. Zudem wurden die System-Bedienelemente optimiert, die Nutzer sehen nun einfacher, ob etwa der Flugzeugmodus aktiv ist.
Akkulaufzeit wird optimiert
Mit neuen Gesten sollen die Nutzer einfacher zwischen Apps hin- und herschalten oder zurück springen. Google blendet dazu erstmals die zuvor omnipräsenten drei Android-Bedienelemente an der Unterkante des Bildschirms aus. Sie werden nur noch angezeigt, wenn die jeweilige App sie auch unterstützt. Zudem soll Pie den Start von oft genutzten Apps vereinfachen, sie werden per Wischgeste aufgerufen.
Künftig optimiert das System selbstständig auch die Akkulaufzeit: Häufig genutzte Apps werden aktiv gehalten, andere bekommen weniger Systemressourcen und müssen Strom sparen. Android Pie soll antizipieren, welche Anwendungen der Nutzer in welcher Situation benötigt.
Funktionen, die den Nutzer schützen
Ausserdem will Google seinen Nutzern eine Funktion gegen Smartphone-Sucht zur Hand geben. «Digitales Wohlbefinden» nennt der Konzern Funktionen, die den Nutzer davor warnen und davon abhalten sollen, sein Gerät exzessiv zu nutzen und darüber seine Umgebung oder seine Mitmenschen zu vergessen. Nutzer können selbst kontrollieren, wie oft sie ihr Telefon nutzen und sollen zudem eigene Zeitlimits für Apps vergeben.
Zudem wollen die Entwickler den Tag-Nacht-Rhythmus der Nutzer schützen, indem Android ab einer bestimmten Uhrzeit Benachrichtigungen stummschaltet. Wer diese Funktionen bereits jetzt nutzen will, benötigt dafür allerdings ein Smartphone aus Googles Pixel-Serie und muss explizit zustimmen, Beta-Software zu verwenden. Abgeschlossen ist die Entwicklung der Anti-Sucht-Features nämlich noch nicht.
Bei der Benennung seiner neuen Android-Versionen folgt Google sei 2009 einer festen Tradition: Jede Neuauflage seines mobilen Betriebssystems bekommt den Namen einer Süssspeise in alphabetischer Reihenfolge. Die jüngste Android-Version mit der Versionsnummer 9 trägt den Namen Pie – wie Kuchen.
Das erste Android-Betriebssystem erschien im Jahr 2008 unter dem Namen Base. Das Update namens Base 1.1 folgte ein Jahr später. Von da an wurden alle zukünftigen Versionen nach Süssigkeiten benannt. So kam im April 2009 Cupcake als Version 1.5 auf den Markt. Es folgten Donut (Version 1.6), Eclair (Version 2.0 - 2.1), Froyo (Version 2.2), Gingerbread (Version 2.3), Honeycomb (Version 3.x), Ice Cream Sandwich (Version 4.0), Jelly Bean (Version 4.1), KitKat (Version 4.4), Wear (Version 4.4W), Lollipop (Version 5), Marshmallow (Version 6.0), Nougat (Version 7.0) und Oreo (Version 8.0).
Leichter an Infos herankommen
Darüber hinaus besitzt Pie neue Suchfunktionen, um direkt in den Apps Inhalte zu finden – etwa passende eigene Fotos zu Suchbegriffen oder Informationen über einen gebuchten Flug, wenn nach dem Zielort gesucht wird. Die Nutzer sollen so einfacher an Informationen herankommen, die bislang in Apps verborgen sind. Zudem soll der Google Assistent noch tiefer ins System integriert werden, um dem Nutzer passende Vorschläge zu machen.
Im Herbst werden weitere aktuelle Android-Smartphones das Update erhalten. Sonys Xperia XZ2, das Oppo R15 Pro, das Nokia 7 Plus sowie das OnePlus 6 und das Xiaomi Mi Mix 2s gehören zu den ersten Geräten von Drittherstellern auf der Update-Liste. Für sie hatte Google auch Beta-Versionen bereitgestellt. Samsung verrät noch nicht, welche Geräte die neueste Android-Version bekommen. Bei den Premium-Smartphones Galaxy S8, S9 und Note 8 kommt das Update voraussichtlich innerhalb von sechs Monaten. Ob das Galaxy S7 von 2016 noch Pie bekommt, ist zweifelhaft.
Bei Apple sind Nutzer auf dem neusten Stand
Googles Android-Ökosystem leidet unter seiner Fragmentierung: Es ist den Hardware-Herstellern selbst überlassen, ob sie für ältere Geräte noch einmal eine neue Software-Version zertifizieren und pflegen. Anders als bei Apples iOS bleiben deswegen die Mehrzahl aller aktuell in Gebrauch befindlichen Android-Mobilgeräte auf älteren Software-Versionen hängen, da die Hersteller den Aufwand scheuen, alte Geräte aktuell zu halten. Geld verdienen sie nur mit Neugeräten und Verbraucher akzeptieren bei günstigen Smartphones viel eher, dass bereits nach zwei Jahren keine neue Software mehr nachgeliefert wird.
Die Pie-Vorgängerversion von Android, Version 8.1 Oreo, läuft aktuell auf gerade einmal gut zwölf Prozent aller Android-Geräte weltweit. Über 75 Prozent aller weltweit aktuell in Betrieb befindlichen Android-Geräte werden von ihren Herstellern so nachlässig mit Updates versorgt, dass sie Versionen von 2016 oder älter nutzen müssen. Bei Apple wiederum verwenden mehr als 76 Prozent aller genutzten Geräte das aktuellste verfügbare Betriebssystem iOS 11.
Dieser Artikel erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel: «Android Pie kann vieles besser – und nervt weniger».