Bescheidenheit war in den Führungsetagen lange Zeit nicht gefragt. Während der Boomjahre beherrschten Visionäre, Evangelisten und «Rockstar-CEO» (Forbes) das Wirtschaftsgeschehen. Ein Hang zum Personenkult galt nicht als Makel, sondern eher als Auszeichnung.
Gefragt waren Manager wie Jean-Marie Messier, Chef des Medienkonzerns Vivendi Universal. Der Franzose betrieb seinerzeit sogar eine eigene Webseite unter der Adresse J6M.com. Dieses Kürzel stand für «Jean-Marie Messier, moi-même, maître du monde». Jean-Marie Messier, ich selbst, Meister der Welt. Tempi passati. Meister Messier hat längst eine harte Landung hingelegt, und mit ihm eine ganze Generation von Visionären in Nadelstreifen eine Wachablösung, die Insider für längst überfällig hielten: «Der Managertypus war überfordert, falsch platziert und nicht selten ein Bluffer oder Egomane», sagt etwa Fredmund Malik, Chef des Beratungs- und Weiterbildungsunternehmens Malik Management Zentrum St. Gallen.
Praktiker statt Visionäre
An die Stelle der Propheten ist in den letzten Jahren ein neuer Typus von Manager getreten: Der nüchterne Durchführer. Dieser Wirtschaftskapitän greift nicht nach den Sternen, sondern hält das Ruder mit fester Hand umklammert.
Er fällt vor allem durch seine Unauffälligkeit auf; schon lange nicht mehr gilt die Zahl der TV-Auftritte eines CEO als Erfolgsindikator. «Die Zeit der ist vorbei», bestätigt Karl Bosshard von der deutschen Managementberatung Kienbaum, «heute kommuniziert man Pläne erst, wenn ihre Verwirklichung auch zeitnah möglich ist.»
So überrascht es kaum, dass auf die Frage «Wer verkörpert den modernen CEO von heute?» Kenner der Topmanagement-Szene meist eher nüchterne Kandidaten nennen: Da fallen Namen wie Oswald Grübel (Credit Suisse Group), Peter Wuffli (UBS) oder Leonhard Fischer (Winterthur Group). Ausserhalb des Finanzsektors findet Hilti-Chef Pius Baschera viele Bewunderer.
Geräuschlos, effektiv, selbstbewusst so wünschen sich Verwaltungsräte heute ihr Führungspersonal, und mit einem Quäntchen gesunder Härte ausgestattet. Denn auf dem Gipfel weht ein eisiger Performance-Wind. «Die Position eines CEO ist kein Schutzschild mehr», sagt Clemens Hoegl, Chef von Egon Zehnder, Zürich. Mit der Mannschaft nur über regelmässige Meetings zu kommunizieren, reiche nicht, so der Executive-Search-Berater, «es wird erwartet, dass Führungskräfte im täglichen Geschäft wesentliche Beiträge leisten».
Der neue Typ von Topmanager muss auf Anhieb Erfolge bringen; für luftige Visionen fehlt ihm schlichtweg oft die Zeit. Schnell operativ tätig werden, so lautet die Devise auch an der Spitze. «Geschäftsführer müssen sich wieder mit Details beschäftigen», meint Personalberater Bosshard, «die Arbeit wird wieder managementlastiger.»
Keine einfache Aufgabe, denn der Job eines CEO ist anspruchsvoller geworden. Vieles, was auf der Agenda der Führungskräfte im Jahre 2006 steht, spielte in den 80er Jahren noch fast keine Rolle.
Allem voran hat die Globalisierung den Alltag in den Unternehmen völlig umgekrempelt. Heute führt ein CEO in der Regel mehr aus- als inländische Mitarbeiter das wäre noch vor einer Dekade undenkbar gewesen.
Hinzu kommt eine ständig steigende Komplexität. Ausufernde Produktpaletten, zusätzliche Absatzkanäle, Akquisitionen, überall locken neue Optionen. Vereinfachen lässt sich vieles davon nicht. «Deshalb setzen sich in Zukunft Manager durch, die es verstehen, die Komplexität für sich zu nutzen», meint Malik.
Auch die unmittelbare Umgebung ist ungemütlicher geworden: Spätestens seit den Skandalen der 90er Jahre verlangen Aktionäre und Analysten nach Informationen, die Aufsichtsgremien verfolgen jeden Schritt ihrer CEO mit Argusaugen. Und Private-Equity-Firmen fragen ungeduldig nach ihrem Return, denn die gemütliche Hausbank allein deckt schon lange nicht mehr den Finanzbedarf.
Angesichts dieser Herausforderungen überrascht es nicht, dass die Verweildauer der Topmanager weiter sinkt. Nur 5,8 Jahre halten sich die Chefs im deutschen Sprachraum heute im Schnitt an der Spitze; 2003 konnten CEO die Aussicht aus der Chefetage noch 8,1 Jahre geniessen. Das hat die Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton in einer aktuellen Studie ermittelt, die den viel sagenden Titel «Mythos CEO vom Alleinherrscher zum kündbaren Mitarbeiter» trägt. Demnach wechselten im letzten Jahr weltweit so viele CEO ihren Posten wie noch nie zuvor (siehe auch «Handelszeitung» Nr. 21, Seite 19).
Vielleicht liegt auch in der hohen Rotation der Grund für die weiter steigenden Manager-Saläre: Die Schäfchen müssen einfach schneller ins Trockene gebracht werden. Wenn ein Unternehmensleiter in Deutschland, Österreich oder der Schweiz seinen Hut nimmt, ist er im Schnitt 54,9 Jahre alt und nur die wenigsten erhalten eine zweite Chance.
Quereinsteiger als Ausnahme
Dafür, dass die Chefs oft nur einen Sommer tanzen, seien aber auch die Verwaltungsgremien verantwortlich, meint Management-Denker Malik: «Es herrscht ein hohes Mass an Orientierungslosigkeit, was die Besetzung von Schlüsselpositionen angeht», so der mehrfache Verwaltungsrat. Er fordert, Geschäftsleiter stärker im Hinblick auf ihre konkrete Aufgabe auszusuchen, und warnt davor, komplett Branchenfremde an die Spitze zu setzen: «Quereinsteiger sollten die Ausnahme sein», so Malik. Hier zeigt sich eine weitere klare Trendumkehr, galten doch zu Boomzeiten gerade die Outsider oft als Heilsbringer getreu dem «Michael-Schumacher-Kalkül»: Wer im Ferrari schnell ist, hängt auch im Golf alle ab.