Am 12.  Juli musste Apple etwas sehr Googliges tun: Auf Druck zweier amerikanischer Kongressmänner nahm die Firma Stellung zu ihrer Praxis, heimlich Daten und Standorte der iPhone-Benutzer zu sammeln. Man habe nicht vor, diese Informationen personenbezogen zu analysieren oder weiterzugeben, liess Apple verlauten. Das Horten und Auswerten von Benutzerdaten war bisher eine Spezialität des Suchmaschinenbetreibers Google.

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Nur vier Tage später musste Google etwas sehr Appliges tun: Die Firma beendete ihren Ausflug in die Welt der Handy-Verkäufer und verkündete, ihr Smartphone Nexus One nicht mehr zu vertreiben. Das Ziel sei erreicht, das hauseigene Handybetriebssystem Android auf dem Markt zu etablieren. Das Gründen (und gelegentliche Schliessen) neuer Hardwarekategorien war bisher eine Spezialität des Computerherstellers Apple.

Wenn zwei so grundverschiedene Firmen auf einmal mit den gleichen Problemen kämpfen, heisst das: Der Kampf zwischen ihnen ist voll entbrannt. Die Branche hatte schon immer ihre legendären Duelle: IBM vs. DEC, Atari vs. Commodore, Microsoft vs. Netscape, Dell vs. HP, Intel vs. AMD, SAP vs. Oracle. Das Duell Apple gegen Google stellt alle bisherigen in den Schatten. Denn erstmals ist nicht nur eine Produktkategorie betroffen. Die zwei Giganten duellieren sich auf einer ganzen Reihe von Schlachtfeldern (siehe Grafik «Die Schlachtfelder» im Anhang) – von Betriebssystemen über Browser und Office-Software bis demnächst zu Musikdiensten. Es geht um nichts Geringeres als um die Vorherrschaft in der IT-Welt.

Vom Freund zum Feind. Dabei waren Apple und Google jahrelang freundschaftlich verbunden. Apple-Gründer Steve Jobs war Mentor und Berater der 18 Jahre jüngeren Google-Gründer Sergey Brin und Larry Page. Bis letzten August sass Google-CEO Eric Schmidt sogar im Board von Apple. Das erste iPhone, vollgestopft mit Google-Anwendungen, präsentierten er und Jobs gemeinsam der Öffentlichkeit. So eng sei die Zusammenarbeit, scherzte Schmidt, dass sie die beiden Firmen zusammenlegen und «AppleGoo» nennen sollten. Der gemeinsame Feind hiess Microsoft. Ihn daran zu hindern, seine Vormachtstellung von der PC-Welt ins Internet und auf mobile Geräte auszubauen, war das Ziel der Allianz. Es ist erreicht: Microsoft hat an Bedeutung verloren. Jetzt tobt der Diadochenkampf um die Nachfolge als Hegemonialmacht in der Computerindustrie.

Wichtigstes Schlachtfeld ist der Handymarkt. Mit 60 Millionen verkauften iPhones ist Apple in den letzten Jahren auf Platz drei der weltgrössten Smartphonehersteller vorgestürmt. Als Google Ende 2007 erstmals Pläne für ein eigenes Handybetriebssystem diskutierte, löste das Spannungen mit Apple aus. Android übernahm wesentliche Eigenschaften des iPhone – und wird noch dazu von Google den Handyherstellern kostenlos zur Verfügung gestellt. Seither fühlt sich Jobs hintergangen von Page, Brin und Schmidt. Letzterer musste deshalb das Apple-Board verlassen. Das Fass zum Überlaufen brachte das Nexus One, hergestellt von der taiwanischen Firma HTC, vertrieben aber von Google unter eigener Marke. Denn es erlaubt jene Zwei-Finger-Bedienung, die typisch ist für das iPhone und mitverantwortlich für dessen Erfolg. «Bis zum Nexus One war die Rivalität distanziert», sagt Gene Muster, Analyst bei Piper Jaffray. «Dann nahm Apple es persönlich.» An einer Mitarbeiterversammlung Ende Januar rief Jobs erbost: «Google will das iPhone killen. Das werden wir nicht zulassen!» Kurze Zeit später beschimpfte er das Google-Mantra «Don’t be evil» als «Bullshit» und verklagte HTC wegen 20 Patentverletzungen – ein Stellvertreterkrieg. Den Erfolg von Google konnte er damit freilich nicht aufhalten: Auf dem wichtigsten Markt, den USA, wurden im ersten Quartal dieses Jahres laut den Marktforschern der NPD Group erstmals mehr Android-Handys als iPhones verkauft. Das – nur mässig erfolgreiche – Nexus One braucht es deshalb nicht mehr. «Wir wollten den Entwicklungszyklus anheizen und beschleunigen. Und wir glauben, dass das sehr gut funktioniert hat», sagt Googles Nord- und Zentraleuropachef Philipp Schindler.

Keine zehn Meilen voneinander entfernt liegen die Hauptsitze von Google in Mountain View und Apple in Cupertino. Doch im Zentrum des Silicon Valley prallen zwei Firmen aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Hier der alteingesessene Hardwarehersteller, der mit Apple II den PC erfand, der in den 34 Jahren danach alle Höhen und Tiefen durchmachte und geprägt ist durch den Veteranen Steve Jobs. Dort der rasant gewachsene Suchmaschinenanbieter, der ein Rekordquartal ans nächste reiht und wie kein anderer für die Internetgeneration steht, auch wegen der Wunderkinder Page und Brin. Klar, manches verbindet beide Firmen: Innovationsfreudigkeit, ein starkes Branding, Draufgängertum, gepaart mit technischem Perfektionismus. Und für beide Firmen ist die Schweiz wichtig: Google hat in Zürich ihren grössten Forschungssitz ausserhalb der USA, und in kaum einem anderen Land ist die Affinität zu Apple-Produkten so hoch wie hier.

Aber schon das Geschäftsmodell ist grundsätzlich verschieden. Auf der einen Seite Google, die ihr Geld nur mit zielgerichteter Werbung verdient, indem sie digitales Wissen kartografiert und den Surfer auf die richtigen Websites (Suchmaschine), Videos (YouTube), Landkarten (Google Maps) oder Bücher (Google Books) verweist. Für den Endkunden sind die Dienste kostenlos – Eric Schmidt äusserte sogar schon die Idee eines Gratishandys.

Kontrollfreak. Auf der anderen Seite Apple, die sich in den letzten Jahren vom Computerbauer zum breit aufgestellten Multimedia-Konzern gewandelt hat und das Geld mit Hard- und Software, mit Musik- und Video-Downloads und mit dem Vertrieb von Apps verdient. Das Unternehmen kassiert auf beiden Seiten: bei den Firmen für den Vertrieb ihrer Inhalte via iTunes, bei den Endkunden für den Zugang zur Apple-Welt. Damit diese ein stimmiges Benutzererlebnis bietet, ist der Zugang streng kontrolliert. Apple allein entscheidet, welche Medieninhalte, welche Apps in den iTunes Store kommen und so auf über 60 Millionen iPhones, über 40 Millionen iPods Touch und über 3 Millionen iPads geladen werden können. Blanke Brüste? Unerwünscht. Freche Comics über den Papst? Wo kämen wir da hin! Software von Konkurrenten wie Google, die das eigene Geschäftsmodell untergraben? Muss leider draussen bleiben. Inzwischen beschäftigt sich eine gewaltige Zensurabteilung bei Apple nur mit derartigen Kontrollfragen.

Im Gegensatz dazu ist der offene Zugang zum Internet der Kern des Google-Geschäftsmodells. Brin und Page wurden als Montessori-Schüler erzogen. «Sie glauben fest daran, dass die Leute selber wissen, was für sie das Beste ist», sagt Marissa Mayer, Google-Topmanagerin der ersten Stunde und einst Lebenspartnerin von Page. Zugangsbeschränkungen für den Android-Marketplace gibt es nicht. Selbst der Quelltext der Betriebssysteme ist Open Source, also für die Öffentlichkeit zugänglich. Jeder kann Produkte entwickeln, die damit kompatibel sind – 60 Android-Handys von 21 Herstellern gibt es inzwischen. Die Apple-Betriebssysteme hingegen laufen nur auf der eigenen Hardware. Die Folge: Statt Dutzende Geräte gibt es nur ein iPad und zwei iPhones (plus Farb- und Speichervarianten), die Preise sind höher, die Entwicklungszyklen langsamer.

Googles Datenobsession. Auch die Führungsphilosophie beider Firmen ist vom Gegensatz Kontrolle vs. Vertrauen geprägt: Steve Jobs führt den 34  000-Mann-Konzern extrem hierarchisch. Er ist ein Mikromanager, der die kleinsten Details prüft und korrigiert. Geht sein Daumen hoch, ist alles gut, geht der Daumen runter (was deutlich häufiger der Fall ist), können die Entwickler wieder von vorne anfangen. Auf über 100 Patenten steht neben den Namen der verantwortlichen Ingenieure auch jener von Jobs, obwohl er, wie Apple-Mitgründer Steve Wozniak einst bemerkte, «auf der technischen Ebene keine Ahnung hat».

Bei Neuentwicklungen verlässt sich Jobs allein auf sein Gespür – «zur Marktforschung schaut er morgens in den Spiegel», schreiben Jeffrey Young und William Simon in einer (unautorisierten) Biografie. Dafür ist die Anzahl der Flops bemerkenswert gering, das Design häufig wegweisend, Hard- und Software meist perfekt integriert. Bis zur offiziellen Lancierung unterliegen die Entwicklungen höchster Geheimhaltung, die eine interne Sicherheitsmannschaft namens Worldwide Loyalty Team überwacht. Wer plaudert, fliegt und wird verklagt. Selbst die Apple-Mitarbeiter wissen nicht, woran der Rest der Firma arbeitet. «Wir haben Zellen wie Terrorgruppen», sagte schon im Jahr 2000 der damalige Hardwarechef John Rubinstein, heute bei Palm. Der Presse gegenüber verweigert sich das Unternehmen (ausser bei Produktlancierungen) sowieso – auch für diesen Artikel wollte kein Apple-Vertreter Stellung beziehen.

Google geht einen ganz anderen Weg. 20 Prozent der Arbeitszeit dürfen Ingenieure an selbst gewählten Aufgaben arbeiten, die nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben – so entstanden etwa der Nachrichtendienst Google News oder der E-Mail-Service Gmail. Nimmt eine Produktidee Gestalt an, werden sehr früh Prototypen an Testkunden herausgegeben. Deren Aktivitäten werden akribisch ausgewertet: Das gefällt – das nicht – damit kommt der Kunde nicht klar – hier geht es gut. Diese Datenobsession ist Entscheidungsgrundlage für die weitere Entwicklung und letztlich die Lancierung. Flops inklusive: «Wir bringen eine Vielzahl von Produkten heraus. Der Markt entscheidet, welche erfolgreich sind und welche nicht», sagt Schindler.

Google gerät dabei immer wieder an Apple. Den jüngsten heftigen Schlagabtausch lieferten sich die einstigen Partner im Zukunftsmarkt der mobilen Werbung. 600 Millionen Dollar werden heute mit Anzeigen auf Smartphones umgesetzt, nicht viel im Vergleich zum gesamten Online-Werbemarkt von 60 Milliarden Dollar. Doch die Wachstumsraten sind gewaltig, denn schon 2012 werden weltweit mehr Mobilgeräte als Computer auf das Internet zugreifen. Um sich in diesem Markt zu positionieren, bot Apple letzten Herbst den stolzen Preis von 600 Millionen Dollar für das Start-up AdMob. Als die Verhandlungen stockten, konterte Google und erhielt den Zuschlag für 750 Millionen Dollar. Als «strategisch absolut wichtig» bezeichnet Schindler die Akquisition. «Google ist gekommen und hat uns AdMob weggeschnappt, nur weil sie nicht wollten, dass wir es haben», sagt hingegen Jobs. Kurze Zeit später schlug er zurück und kaufte den Konkurrenten Quattro Wireless für 300 Millionen Dollar.

Nun wetteifern beide Firmen im Geschäft mit der mobilen Werbung. Wobei Apple bereits angekündigt hat, konkurrenzierenden Anzeigenvermarktern auf ihrer Hardware keinen Zugriff auf die Standortdaten der Benutzer zu gewährleisten. Auf dem iPhone bleibt Googles AdMob damit aussen vor.

Ungeklärt ist noch, was Apple mit den Daten macht, die sie auf diese Weise über ihre Benutzer sammelt. Google hat sich wegen der langen und teilweise harschen Kritik darauf beschränkt, die Informationen über das Surfverhalten nur für den jeweiligen Computer statt für den einzelnen Benutzer auszuwerten. Zudem kann der User die gesammelten Daten einsehen und löschen. Apple hat Selbstbeschränkungen im Brief an die Kongressmänner zumindest angedeutet.

Offen vs. monolithisch. Weitere Konfliktlinien zwischen den Giganten zeichnen sich ab. Um gegen das iPad anzutreten, setzen viele Hardwarehersteller wie Dell oder Archos auf das Google-System Android. Und auch Google selbst wird nachgesagt, bald mit einem eigenen Tablet-Rechner auf den Markt zu kommen. In Sachen Fernsehen sind die Pläne schon konkreter: In Zusammenarbeit mit Logitech und Sony lanciert der Suchmaschinenhersteller ein Produkt namens Google TV, welches das Internet auf den Fernseher bringen soll – ein Gebiet, auf dem sich der Konkurrent aus Cupertino mit seinem Apple TV schon seit Jahren abmüht. Und auch im Musikmarkt dürften sich die beiden in die Haare geraten, wenn Google wie erwartet demnächst eine eigene Downloadplattform aufschaltet, die mit Apples iTunes konkurriert.

Apple vs. Google – wer wird die IT-Welt der Zukunft prägen? Zwei Visionen stehen sich gegenüber. Geht es nach dem Suchmaschinenkonzern, wird diese Welt offen und dynamisch sein, mit vielen grösseren und kleineren Playern. Im Zentrum des Ökosystems sitzt Google, die intensiv Daten über die Benutzer und ihre Vorlieben sammelt, um daraus zielgerichtete Anzeigen zu erstellen. So entsteht einerseits eine grosse Auswahl von kostenlosen, weil werbefinanzierten Anwendungen für den Kunden, andererseits eine immer grösser werdende Wissensmacht für Google. Wer als Benutzer nicht mitmachen will, kann seine persönlichen Daten zwar weiterhin löschen. Doch das tun erfahrungsgemäss nur die wenigsten, sei es aus Unkenntnis, sei es aus Faulheit.

Geht es nach Apple, ist die IT-Welt der Zukunft ein monolithisches System mit einem einzigen starken Player, mit Apple selber. Die Firma lockt Kunden mit virtuosem Marketing und emotionalen Produkten, deren Hard- und Software perfekt aufeinander abgestimmt sind, in ihr System, kontrolliert die Inhalte und den Zugang dazu. Und kassiert an allen Ecken und Enden mit. Die Vision erinnert an den berühmten «1984»-Werbespot, als Apple mit ihrem Macintosh antrat, um die Welt von Big Brother IBM zu befreien – nur dieses Mal mit umgekehrten Vorzeichen. Die Abgeschlossenheit hat Apple Ende der neunziger Jahre schon einmal an den Rand des Ruins gebracht (freilich sind die Marktanteile heute mit der damaligen Nischenrolle nicht vergleichbar). Das Modell Google hingegen ähnelt dem Erfolgsmodell von Microsoft der neunziger Jahre. Ein sich immer weiter ausdehnendes, artendiverses Ökosystem, in dem jeder seine Nische findet und das dennoch von einer zentralen Kraft gesteuert wird, die davon am meisten profitiert.

Welche Vision hat mehr Zukunft? «In 40 Jahren habe ich noch nie erlebt, dass sich das geschlossene System gegen das offene durchgesetzt hat», sagt Logitech-Gründer Daniel Borel, der mit beiden Firmen zusammenarbeitet. Will Apple die Herrschaft über die IT-Welt langfristig übernehmen, müsste die Firma demnach noch einiges googliger werden. Google hat den erfolgversprechenderen Ansatz. Und dennoch würde es der Firma guttun, in einigen Bereichen – wie beim Marketing oder in Sachen Emotionalität – etwas appliger zu werden.