Brot ist ein simples Produkt und dessen Vermarktung im Grunde keine Hexerei, würde man meinen. Schliesslich hat «Gipfeli-König» Fredy Hiestand gezeigt, wie mit vorgefertigter Massenware tüchtig Gewinn zu machen ist. Doch seit der Gründung von Aryzta, die 2008 aus der Fusion der Hiestand Holding und der irischen IAWS Group hervorgegangen ist, ist von der goldenen Vergangenheit nur noch wenig zu spüren. Im Gegenteil: Sinkende Gewinne und stark wachsende Verschuldung prägen den Konzern – Tristesse pur, und dies seit nunmehr fast zehn Jahren. Keine gute Voraussetzung für die rund 20 000 Mitarbeiter im Konzern, der weltweit 57 Produktionsstätten in 29 Ländern betreibt und damit laut eigenen Angaben globaler Marktführer ist.
Wie schlecht es um Aryzta steht, dürften die Anleger spätestens im Mai realisiert haben, als die Firma eine Gewinnwarnung herausgeben musste und der Kurs daraufhin um 27 Prozent einbrach. Die neue Führungscrew unter CEO Kevin Toland und Präsident Gary McGann, erst vor etwas mehr als einem Jahr ans Ruder gekommen, hat bereits viel Vertrauen verspielt.
Dabei hätten alle Voraussetzungen bestanden, auf Goodwill zu stossen, hatten viele doch aufgeatmet, als das vorherige Management endlich weg war. Vorgänger Owen Killian hatte den Konzern nicht nur heruntergewirtschaftet, sondern sich dafür auch noch einen Toplohn auszahlen lassen. So machten Killian und seine engsten Vertrauten, Finanzchef Patrick McEniff und USA-Chef John Yamin, mit einem Optionsplan Schlagzeilen, mit dem sie sich eine Vergütung von 66 Millionen Euro sicherten.
Aufgebläht durch Zukäufe
Ähnlich wie die Swissair mit ihrer Hunter-Strategie hatte Killian Aryzta durch allerlei Zukäufe aufgebläht und damit bewirkt, dass der Konzern bald bis unters Dach verschuldet war. Das «Grounding» des Backwarenherstellers drohte. Schon seit dem Antritt der Neuen munkelte man daher im Markt, Aryzta werde wohl nicht um eine Kapitalerhöhung herumkommen. Doch Toland und McGann stellen dies wiederholt vehement in Abrede: Sie würden die Sanierung ohne zusätzliches Kapital schaffen. Schliesslich sorgt eine Kapitalerhöhung stets für eine Verwässerung des Aktienwerts – was nicht im Sinne der Altaktionäre ist.
Die Kapitalerhöhung ist auf Druck der kreditgebenden Banken zustande gekommen, die McGann und Toland die Pistole auf die Brust gesetzt haben.
Vor wenigen Wochen dann die überraschende Wende: Im August liess Toland mitteilen, der Konzern plane eine Kapitalerhöhung – um satte 800 Millionen Euro. Der Plan, das Geld auf andere Weise hereinzuholen, etwa durch den Verkauf einzelner Firmenteile, war nicht aufgegangen. Es ist eine Bankrotterklärung der Führung, nicht zuletzt auch darum, weil viel Zeit verloren ging und die Anzahl neuer Aktien angesichts des seit seinem Amtsantritt stark gesunkenen Kurses viel höher sein muss als damals.
Der Schwenker erfolgte nicht freiwillig: Die kreditgebenden Banken hätten McGann und Toland die Pistole auf die Brust gesetzt und sie zu diesem Schritt gedrängt, berichtet ein Banker, der mit den Verhandlungen vertraut ist.
Druckmittel der Banken sei eine Passage aus den Verträgen, die es erlaube, die Kredite unter gewissen Umständen per sofort zu kündigen, berichtet ein anderer Insider, der in die Entscheide auf Seiten der kreditgebenden Banken involviert ist. Sobald das Verhältnis zwischen Verschuldung und Ebidta (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) einen gewissen Quotienten überschreitet, dürfen die Banken ihre Kredite sofort aufkündigen. Dieser Quotient dürfte angesichts der sinkenden Gewinne und der nach wie vor hohen Verschuldung diesen Sommer überschritten worden sein.
«Man kann das Unternehmen zwingen, die Kredite zurückzuzahlen. Doch wenn es nicht zahlen kann, schiesst man sich unter Umständen selber ins Knie.»
Banker, der mit den Verhandlungen vertraut ist
Klar ist aber auch, dass eine sofortige Kündigung der Kredite der Firma das Genick gebrochen hätte. «Man kann das Unternehmen zwingen, die Kredite zurückzuzahlen. Doch wenn es nicht zahlen kann, schiesst man sich unter Umständen selber ins Knie», so der involvierte Banker. Nachdem sich die Banken zunächst intern auf eine gemeinsame Linie geeinigt hatten, gingen sie auf McGann und Toland zu und boten diesen einen Deal an: Ihr gebt eure Ablehnung gegen eine Kapitalerhöhung auf, und wir, die Banken, geben euch dafür etwas Luft. Galt bisher für das Verhältnis zwischen Verschuldung und Ebitda der Quotient 4,0, so wurde er per 31. Januar 2019 auf 5,75 deutlich erhöht.
Am 11. September teilte Aryzta mit, man habe die fünf Banken Bank of America Merrill Lynch, UBS, Credit Suisse, J.P. Morgan und HSBC mit der Durchführung der Kapitalerhöhung beauftragt. Es sind im Grunde dieselben Banken, die Aryzta die Kredite gegeben haben. Zu den Hauptgläubigern gehören Bank of America Merrill Lynch, UBS und HSBC. Von den kreditgebenden Banken ist einzig die holländische Rabobank bei der Kapitalerhöhung nicht dabei. Der Grund: Rabobank hat kein starkes Investment Banking.
Mit Widerstand ist zu rechnen
An der auf den 1. November vorverschobenen Generalversammlung will das Management um Unterstützung für die Kapitalerhöhung werben. Mit Widerstand ist zu rechnen. Im Markt wird davon ausgegangen, dass das Unternehmen einen üppigen Discount beim Emissionspreis wird hinnehmen müssen – die Rede ist von einem Abschlag von bis zu 40 Prozent. Der Verwässerungseffekt für die bestehenden Aktionäre wird schmerzhaft ausfallen.
In weiten Teilen des Aktionariats soll der Unmut denn auch gross sein. Wichtigster Anteilseigner ist heute die spanische Investmentgesellschaft Cobas, ein Value-Investor alter Schule, gegründet von Francisco García Paramés, der als eine Art spanischer Warren Buffett gilt. Cobas ist erst im Frühling 2017 gross bei Aryzta eingestiegen, im Vertrauen auf das neue Management. Die Meldeschwelle hat Cobas im Mai überschritten, inzwischen soll die Gesellschaft laut Insidern auf gegen 15 Prozent aufgestockt haben.
«Die Ankündigung der Kapitalerhöhung kam out of the blue.»
Insider, Cobas
Cobas wollte zur Frage der Kapitalerhöhung auf Anfrage der BILANZ keine Stellung nehmen. Doch aus dem Umfeld des Investors verlautet, man sei «überaus verärgert». Cobas sei von der Ankündigung im August vollkommen überrascht gewesen: «Es kam out of the blue», so der Insider. Dass Aryzta mit dem wichtigsten Aktionär nicht vorab Kontakt aufgenommen hat – dies wäre etwa mit der Unterzeichnung einer Stillhaltevereinbarung durchaus möglich gewesen –, ist das eine. Vor allem aber stört sich Cobas an der Höhe und dem Zeitpunkt der Kapitalerhöhung. Wenn man nur 200 bis 300 Millionen aufgenommen hätte, und dies zudem schon vor einem Jahr bei besseren Kursen, wäre man unter Umständen bereit gewesen, den Plan zu unterstützen. Zahlreiche Analysten teilen diese Meinung: «Zu spät und zu entsprechend schlechten Bedingungen», schreibt etwa die Zürcher Kantonalbank.
Alternativen zur Kapitalerhöhung
Einzelne Schweizer Investoren wollen dem Management nun Alternativen zur Kapitalerhöhung aufzeigen. Gregor Joos, Gründer von Larius Capital, schrieb einen Brief an Präsident McGann, der auf seiner Website einsehbar ist. Joos hat als ehemaliger Partner von Rudolf Bohli vom Hedge Fund RBR viel Erfahrung in Sachen Firmenattacken – RBR ist etwa dem Asset Manager GAM oder dem Flugcaterer Gate Group arg an den Karren gefahren. Joos rät McGann unter anderem, Aryzta solle, statt das Kapital zu erhöhen, lieber die Verkaufsanstrengungen für die Tochter Picard intensivieren. Dies durch die Vollübernahme der 2015 zu 49 Prozent erworbenen französischen Tiefkühlprodukte-Kette und mit dem Ziel, die Firma dann in einem IPO an die Börse zu bringen.
Joos legt damit den Finger auf eine wunde Stelle. Dass es dem Management nicht wie geplant gelungen ist, den 49-Prozent-Anteil an Picard zu verkaufen, dürfte mit ein Grund für die nun nötige Kapitalerhöhung sein. 450 Millionen hatte Ex-CEO Killian 2015 für die Akquisition hingeblättert. Zu veräussern gewesen wäre das Asset wohl nur mit empfindlichem Abschlag: Die Analysten rechneten mit bestenfalls 300 Millionen Euro.
Seinen Antrag traktandieren lassen kann Joos nicht – sein Aktienanteil liegt deutlich unter der Meldeschwelle von drei Prozent. Einen Antrag an der Generalversammlung dürfen laut den Aryzta-Statuten aber nur Aktionäre mit einem Anteil von mindestens zehn Prozent stellen. Dies gilt als Zeichen einer unzeitgemässen Corporate Governance – bei vielen grossen Konzernen liegt die Schwelle bei einem Prozent oder gar noch tiefer.
Es ist indirekt ein Kampf der Gläubiger gegen die Aktionäre. Ein Kampf, der die Firma zerreissen könnte.
Mit der jetzigen Lösung einer starken Kapitalerhöhung sind die Banken die Gewinner im Spiel. Nicht nur sichern sie sich mit dem zusätzlichen Geld ihre Kredite. Ihre Investment-Banking-Abteilungen dürfen sich zudem auf happige Kommissionen freuen – bei 800 Millionen dürften nach den branchenüblichen Ansätzen rund 40 Millionen zusammenkommen. Was bei Aryzta stattfindet, ist indirekt ein Kampf der Gläubiger gegen die Aktionäre. Ein Kampf, der die Firma zerreissen könnte.
Im Zangengriff
Toland sieht sich in der Zange, was umso bedenklicher ist, als die Herausforderungen auch operativ hoch bleiben. Auf der Einnahmenseite droht ein weiterer Verlust von Kundenaufträgen, gehen doch immer mehr Abnehmer zum Insourcing über und backen ihre Brote selber. In der Schweiz etwa Coop, wodurch rund 80 Millionen Umsatz verloren gingen. Die Kunden sind generell am längeren Hebel und verlangen Rabatte, womit der Druck auf die Margen hoch bleibt.
Wenn die Aktionäre dem Management 800 Millionen zur Verfügung stellen, wollen sie die Gewissheit haben, dass es nun endlich gut kommt.
Klar ist, dass Toland bald Zeichen setzen muss, dass es mit der Sanierung vorangeht. Erfahrung hat er: Der Mann, der zuvor CEO des irischen Flughafenbetreibers Dublin Airport Authority war, hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er Turnaround-Situationen meistern kann. Klar ist auch: Wenn die Aktionäre dem Management 800 Millionen zur Verfügung stellen, wollen sie die Gewissheit haben, dass es nun endlich gut kommt.
Neue Verwaltungsräte
Einer der wenigen Lichtblicke ist, dass McGann und Toland begonnen haben, die haarsträubende Corporate Governance zu verbessern. Unter Killian war der Verwaltungsrat eine Art Privatzirkel für die Interessen des CEO, der nicht nur selber im Verwaltungsrat sass, sondern dort auch gleich noch seine Konzernleitungsfreunde McEniff und Yamin platziert hatte.
An der Generalversammlung vom 1. November sollen drei neue Verwaltungsräte zugewählt werden, darunter Branchenprofis wie Michael Andres, bis 2017 Chef von McDonald’s USA. Die Schweizer im Rat bleiben allerdings krass untervertreten: Der Zürcher Wirtschaftsanwalt Rolf Watter ist einziger Schweizer im zehnköpfigen Gremium und sieht sich vier Iren, zwei Briten und drei Amerikanern gegenüber.
Vom Geist des Unternehmensgründers Fredy Hiestand ist bei Aryzta heute denn auch so gut wie nichts mehr zu spüren. Der «Gipfeli-König» musste nach seinem Abgang aus dem Verwaltungsrat 2002 den Niedergang der Nachfolgefirma teilweise als Aktionär miterleben. Inzwischen habe er seinen Einsatz aber «geistig abgeschrieben», liess er die Presse wissen. Die nun angestrebte Kapitalerhöhung werde er auf jeden Fall nicht mitmachen.