Der britische Pharmakonzern AstraZeneca soll laut Informationen von «Bloomberg» an einem Zusammenschluss mit der amerikanischen Biotech-Firma Gilead interessiert sein. Die beiden Unternehmen bringen zusammen eine Marktkapitalisierung von gegen 240 Milliarden Dollar auf die Waage, es entstünde ein neuer Pharmagigant.

Zum Vergleich: Die beiden Basler Pharmakonzerne Roche und Novartis sind zur Zeit mit 286 Milliarden beziehungsweise mit 205 Milliarden Franken bewertet. 

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Oder anders: AstraZeneca und Gilead kommen zusammen auf einen addierten Jahresumsatz von 46 Milliarden Dollar – das wären knapp weniger als Novartis (47,4 Milliarden Dollar, Stand 2019). Roche schaffte im letzten Jahr Pharma-Verkäufe von 48,5 Milliarden Franken.

Die Frage ist: Warum sollten sich die beiden Unternehmen in einem britisch-amerikanischen Mega-Deal zusammentun? Diese Punkte sprechen dagegen:

AstraZeneca: Schnelles Wachstum alleine

Pascal Soriot, ein ehemaliger Roche-Manager, hat AstraZeneca in den vergangenen Jahren zu einer Erfolgsgeschichte gemacht. Das britische Unternehmen, das 2014 selbst Gegenstand eines Übernahmeversuchs durch die amerikanische Pfizer war, hat eine florierende Onkologiesparte und wächst zweistellig. Warum sollte er sich mit Gilead ein Unternehmen ins Haus holen, das weniger schnell wächst und mit HIV-Therapien gross geworden ist?

Gilead: Unabhängigkeit  und Flexibilität

Auch bei Gilead dürfte ein Verkauf auch kaum das sein, was CEO Daniel O’Day anstrebt, nachdem er erst vor einem Jahr seinen Job als Chef des Pharmasparte von Roche für den neuen Job quittierte. Immerhin übersah er bei Roche ein brummendes Pharma-Geschäft mit schon damals knapp 44  Milliarden Franken Umsatz: Er war nach Roche-Konzernchef Severin Schwan einer der wichtigsten Top-Manager in Basel. Das kalifornische Unternehmen hat eine gut gefüllte Kriegskasse, mit der es alleine – und in voller Unabhängigkeit – nach neuen Akquisitionschancen suchen kann.

Covid-19: Hier Impfung, da Therapie

Gewiss: Beide Unternehmen spielen bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie eine Schlüsselrolle. Gilead hat als erstes Unternehmen die US-Zulassung für ein Covid-19-Medikament bekommen: Sein Remdesivir vermag die Virenlast zu reduzieren, nun wird das Medikament in einer Studie zusammen mit dem Actemra, einem Arthritis-Medikament von Roche, in einer klinischen Studie getestet. AstraZeneca wiederum hat eines der vielversprechendsten Impfstoffprojekte in der Pipeline. Die Briten spannen dazu mit der Universität von Oxford zusammen. Die Produktion des Impfstoffs beginne «right now», sagte AstraZeneca-Chef Pascal Soriot dieser Tage der BBC. Ziel sei es bereit zu sein, sollten die Tests erfolgreich verlaufen und sollte der Impfstoff zugelassen werden.

Nur: Covid-19 dürfte wohl kaum Anlass sein, zwei Unternehmen zu fusionieren. Denn so dramatisch die Covid-19-Krise ist: Sie wird vorübergehen. Als Geschäftsfeld bleiben andere Therapiegebiete wie Krebs oder neurologische Krankheiten wie Alzheimer für die Industrie interessanter. Zudem: Das Geschäft mit Covid-19 ist für die Industrie weniger dankbar als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das Geschäft insbesondere mit das Impfstoffgeschäft, ist hochpolitisiert, die Reputationsrisiken sind beträchtlich.

Warum ausgerechnet in diesen Zeiten?

Die Pandemie ist auch für die Pharmaindustrie noch nicht ausgestanden. Im Unterschied zu den meisten anderen kämpft diese Branche zwar nicht mit Nachfrageproblemen und auch bei der Medikamentenproduktion läuft bis jetzt das meiste im grünen Bereich. Ihr Risiko liegt darin, dass klinische Studien wegen der Pandemie nicht plangemäss ausgerollt werden können oder dass – noch schlimmer – bereits laufende Studien gestoppt werden müssen.

Warum also sollten sich die beiden ehemaligen Roche-Manager und heutigen Pharmachefs ausgerechnet in solchen Zeiten einen Megamerger aufhalsen – mit all den Folgen, die das hat: Unruhe im Unternehmen, Managementkapazitäten, die für den Merger absorbiert sind und deshalb anderweitig nicht zur Verfügung stehen?