Es war nicht sein erster Trip nach Tripolis. Doch dieses Treffen mit dem Vorsitzenden der National Oil Corporation brachte den Durchbruch. Claus Niederer war als Chef von Migrol stets auf der Suche nach hochwertigem und preiswertem Erdöl. Jetzt überzeugte er Abdalla Salem El-Badri in dessen Büro von der Übernahme der bankrotten libanesischen Gatoil samt deren Walliser Raffinerie. Unter einem übergrossen Porträt des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi besprachen sie den Deal. Er brachte Tamoil und damit das Ölimperium des Wüstenregimes in die Schweiz.
Das war im Winter 1990 - und der Beginn einer Expansionsstory. Tamoil fasste im Schweizer Markt rasch Fuss, investierte Millionen in die Raffinerie in Collombey, belieferte Kunden wie die Migrol und baute ihr eigenes Tankstellenetz massiv aus. Heute ist sie mit einem Umsatz von über 2,7 Milliarden Franken gemäss eigenen Angaben die führende Ölgesellschaft in der Schweiz. Mit rund 320 Tankstellen und Kooperationen mit Valora und Spar zählt sie neben Avia, Agrola, BP und Shell zu den fünf grossen Trankstellenbetreibern.
Vom Bohrloch bis zur Zapfsäule
2500 Kilometer vom Tamoil-Suisse-Sitz im Walliser Örtchen Collombey entfernt, herrscht jetzt das Chaos. Gaddafi kämpft in Libyen mit brachialster Gewalt gegen sein Volk. Über 40 Jahre konnte er sich an der Macht halten - auch dank den üppigen Einnahmen aus dem Ölgeschäft, in dem Tamoil und deren Muttergesellschaft Oilinvest eine zentrale Rolle spielen. Geld soll auch in private Taschen geflossen sein. «Familienmitglieder und Gaddafi nahestehende Kreise - so wird gesagt - besitzen grosse Anteile an Tamoil und Oilinvest», kabelte der Botschafter der USA in Tripolis 2006 nach Washington.
Mit dem Segen des libyschen Diktators gab Tamoil in ganz Europa Gas. Getrieben von der Vorstellung, vom Bohrloch bis zur Zapfsäule die ganze Produktions- und Verteilerkette zu kontrollieren, ging das Unternehmen auf Einkaufstour.
So gehören Tamoil heute auch Raffinerien in Cremona und Hamburg. Die Gruppe unterhält in Italien 1900 Tankstellen, in Deutschland 390. Aktiv ist sie auch in Holland und Spanien - und grosse Pläne hegte die Gesellschaft zuletzt in Afrika: «Wir streben danach, die Präsenz auf den wachsenden Märkten auszubauen und die Stellung als führender Öl- und Energiekonzern in Europa zu verbessern», sagte Oilinvest-Chef Isam Zanati vor drei Jahren. Der Manager nannte Tamoil die «Perle von Libyens Investionen» im Ausland.
Ein Klima der Angst
Heute weiss keiner, wie sich das Machtgefüge im Wüstenstaat verschieben wird. Zwar zweifelt keiner daran, dass auch eine neue Führung in Tripolis im Ölgeschäft rasch zur Tagesordnung übergehen würde. Branchenkenner glauben aber, dass die Tamoil-Spitze dann mit anderen Köpfen besetzt sein wird. Mögliche Kontensperren in der Schweiz und der EU dürften den Prozess beschleunigen.
Bis jetzt mussten die Tamoil-Manager vor dem Regime in Tripolis stets kuschen. Die Entscheide von Diktator Gaddafi trafen sie teils völlig unerwartet und hart. So sah man sich in der Raffinerie in Collombey 2008 etwa wegen des diplomatischen Konflikts um die Festnahme von Sohn Hannibal urplötzlich mit einem Öllieferstopp in die Schweiz konfrontiert.
Gleichwohl blieben die Mittel zur Gegenwehr begrenzt. Da herrschte stets «viel Respekt», wie ein ehemaliges Top-Mitglied berichtet, das nicht mit Namen genannt werden möchte. «Und auch etwas Angst.» Immer wieder sollen in den oberen Gremien auch «obskure Figuren» aufgetaucht sein, um deren Funktion man ein Geheimnis machte. Als Geschäftspartner werden die libyschen Tamoil-Manager aber durchwegs als sehr zuvorkommend, bestens qualifiziert und kompetent beschrieben.
Für Aussenstehende bleiben sie jedoch unnahbar. So scheint es auch mitten in der schwersten Krise des Wüstenstaates nicht möglich, mit Oilinvest-Chef Zanati Kontakt aufzunehmen. Von Tamoil erhält man zu den Tumulten und den möglichen Folgen für den Betrieb nur ausweichende Antworten: «Wir haben kein Problem, genügend Rohöl zu erhalten», sagt Sprecher Laurent Paoliello. Überhaupt kaufe man das Rohöl für die Walliser Raffinerie inzwischen von verschiedensten Ländern.
Tatsächlich würde ein kurzfristiger Produktionsausfall in Libyen die Versorgung in der Schweiz kaum gefährden. «Nur etwa 10 Prozent des Öls, das wir hierzulande verbrauchen, stammt aus Libyen», bestätigt Rolf Hartl, Geschäftsführer der Schweizerischen Erdölvereinigung. Auch bei Tamoils Tankstellen-Partnern Valora mit fast 50 Shops und dem Detailhändler Spar, der derzeit sieben Supermärkte bei Tamoil-Stationen betreibt, spielt man die Ereignisse herunter: «Wir pflegen mit Tamoil Suisse eine langjährige gute Beziehung», sagt Valora-Sprecherin Stefania Misteli. «Die Zusammenarbeit steht nicht im Zusammenhang mit der politischen Situation in Libyen.» Auch Spar sieht keinen Anlass für Änderungen, war doch die Partnerschaft mit Tamoil bisher «sehr erfolgreich», wie Vertriebschef Thomas Weilenmann betont.
Überholte Geschäftsstrategie
Branchenkenner zweifeln indes, ob Tamoils vertikale Integrationsstrategie noch Sinn macht. Inzwischen kann man auch allein mit Rohöl viel Geld verdienen. Die Raffineriekapazitäten in Westeuropa hingegen sind zu hoch und der Benzinabsatz wegen verbrauchsärmerer Autos rückläufig. Der Preiskampf ist hart. Die Margen sind unter Druck. «Da fragt sich, wie lange sich ein solches Engagement der Libyer noch lohnt», meint ein Experte. Schon 2007 hatte Tripolis einen Teilverkauf von Tamoil beschlossen. 65 Prozent sollten an einen US-Investmentfonds gehen. Knall auf Fall wurde der Deal abgeblasen. Warum weiss man bis heute nicht genau.
Nun werden die Karten in Tripolis neu gemischt. Noch ist offen, unter welchen Augen in den weitläufigen Büros der National Oil Corporation künftige Deals beschlossen werden.