Der Kanzler war in Champagnerlaune, als er in seiner Berliner Privatresidenz die sieben Schweizer Wirtschaftslenker Fritz Gerber, Rainer E. Gut, Eric Honegger, Rolf Hüppi, Lukas Mühlemann, Marcel Ospel und Daniel Vasella erstmals zum Diner empfing. Am Nachmittag dieses 6. Juli hatte die Fifa Deutschland die Fussballweltmeisterschaft 2006 zugesprochen. Gerhard Schröder himself war tags zuvor nach Zürich geeilt, um für den Fussballstandort Deutschland die Werbetrommel zu rühren. Den Schalk des siegreichen Managerfreundes bekamen die beiden Grossbanken-Chefs Ospel und Mühlemann zu spüren: «Selbstverständlich könnt ihr euer Bankgeheimnis behalten – allerdings nur für euch Schweizer», spottete er beim Treffen.
Schröder hatte damit auf den Punkt gebracht, was die EU am zweitätigen Gipfel im portugiesischen Feira im Juni überraschend beschlossen hatte: die Steuerflucht bis 2010 durch Einführung eines Meldeverfahrens grenzüberschreitend zu unterbinden. Auch Finanzplätze in Drittstaaten wie der Schweiz sollen zur sektoriellen Aufgabe des Bankgeheimnisses bewogen werden.
Zwar sind Angriffe auf das Schweizer Bankgeheimnis beileibe nichts Neues. Doch diesmal wird die Attacke nicht nur von der EU geritten; an der Flanke galoppieren die USA sowie die von ihr beherrschten Organisationen OECD, G7 und Weltbank. Die heimischen Bankiers reagieren in Einmütigkeit: einigeln und so tun, als ob das Unwetter rasch weiterzieht. «Das Bankgeheimnis ist für uns ein zentraler Punkt, das steht nicht zur Disposition», meint Philip Baumann, Leiter Privatebanking Schweiz und Teilhaber der Bank Sarasin, Basel. «Das Bankgeheimnis wird nicht so rasch abgeschafft, dazu ist es für unser Land zu wichtig», doppelt Bénédict Hentsch, Präsident der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers sowie Teilhaber der Genfer Privatbank Darier Hentsch, nach.
Der Bundesrat hält in Treue fest zu den Banken – zumindest mehrheitlich. Während Finanzminister Kaspar Villiger und Wirtschaftsminister Pascal Couchepin sich mit Verve für das Bankgeheimnis engagieren, sät SP-Minister Moritz Leuenberger Zweifel mit der Bemerkung, er möchte nicht, dass der Bundesrat der letzte Mohikaner sei, der es verteidigt. Wegen des «voreiligen Kniefalls» des parteiintern angefochtenen Genossen sei auch im Ausland «die Verwirrung gross», schimpft FDP-Nationalrat Gerold Bührer.
Doch trotz den lautstark vorgetragenen Durchhalteparolen ist es den Bankiers und Politikern klar, dass sie diesmal nicht mehr ungeschoren davonkommen. Laut Daniel Zuberbühler ist unser Bankgeheimnis «grosso modo denselben Regelungen unterworfen wie in anderen Ländern». Einzig der Steueraspekt «ist eine Besonderheit», schiebt der Chef der Eidgenössischen Bankenkommission nach. Eine Besonderheit, an der sich die Gemüter erhitzen. In der Schweiz wird einfache Steuerhinterziehung von Privaten nicht als Delikt betrachtet. Bei Verdacht auf einfache Steuerhinterziehung darf die Schweiz also gar keine Auskunft erteilen – ausser sie ändert das Steuergesetz.
«Nicht das Bankgeheimnis steht für die EU zur Diskussion, sondern der Aspekt der einfachen Steuerhinterziehung», resümiert denn auch Niklaus Blattner, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizerischen Bankiervereinigung. Dass sich die Schweiz auf ihr unantastbares Rechtsverständnis kapriziert, nur bei kriminellen Handlungen wie Steuerbetrug Rechtshilfe zu leisten, nicht jedoch Amtshilfe bei blosser Steuerhinterziehung, stösst bei den angelsächsischen Ländern auf kein Verständnis. Denn sie haben diesen Unterschied nie gemacht, da er in ihrer Rechtskultur schlicht nicht existiert.
Den EU-Staaten sei sowieso nicht an juristischen Feinheiten gelegen, ist aus Bankierskreisen zu vernehmen. Sie seien am Resultat interessiert, nämlich der Steuerflucht ihrer Bürger einen Riegel zu schieben und entgangenes Fiskalaufkommen einzutreiben. Da wittert die offizielle Schweiz Morgenluft: Das Bankgeheimnis stehe nicht zur Debatte, aber über eine Ausweitung der Verrechnungssteuer lasse man mit sich reden, wird signalisiert. Denn von der üblichen Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen ausgenommen sind Auslandsanleihen; bei den in der Schweiz zur Zeichnung aufgelegten Anleihen ausländischer Schuldner lässt sich eine Quellensteuer (beim Unternehmen) nicht erheben. Dafür eine so genannte Zahlstellensteuer, die bei der Zahlstelle der Zinsen, meist einer Bank, kassiert wird.
Finanzminister Villiger jedenfalls lässt eine solche 20-prozentige Zahlstellensteuer prüfen, um im Verhandlungspoker mit Brüssel nicht mit leeren Händen dazustehen (siehe «Villigers Obli-Joker» auf Seite 82). Dass die Schweiz künftig den EU-Staaten jährlich Milliardenbeträge zurückerstattet, wird hitzige Diskussionen auslösen. Villigers Parteifreund Gerold Bührer meldet bereits Opposition an, weil wegen der neuen Abgabe ein Teil des bisher quellensteuerfreien Geschäftes abwandern dürfte. Noch ist allerdings vieles unklar: Wie sollen das Clearing und die Verteilung der Einnahmen funktionieren? Wie werden Drittstaaten wie die USA abgegolten?
So oder so werden nur wenige EU-Staaten nach Villigers Köder schnappen. Die Deutschen, die auf EU-Terrain den entscheidenden Part spielten, als der Anfang vom Ende «der leichten Steuerhinterziehung» (Schröders Finanzminister Hans Eichel) eingeläutet wurde, vertraten bislang im Streit um die steuerliche Erfassung von Zinserträgen das Koexistenzmodell. Danach hatten die EU-Staaten die Wahl, entweder die Zinsen an der Quelle zu besteuern oder die Steuerdaten grenzüberschreitend zirkulieren zu lassen. Mit dem Quellensteuermodell könnte die Schweiz durchaus leben.
Nur haben die Engländer aus ihrer Abneigung gegenüber dem Koexistenzmodell nie ein Hehl gemacht; sie sprachen sich gegen eine Besteuerung an der Quelle aus, propagierten dafür den Informationsaustausch. Auf den ersten Blick eine widersprüchliche Haltung, ist Grossbritannien doch dank zahlreichen Offshore-Zentren wie Jersey, Guernsey, der Isle of Man, Gibraltar und anderen Mini-Steueroasen oder via Trust-Konstrukten dick im Geschäft mit der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung. Die Erklärung: In London konzentriert sich der Eurobondmarkt, der dank Quellensteuerfreiheit auf ein Volumen von etwa 6500 Milliarden Franken angeschwollen ist. «Wird eine Quellensteuer eingeführt, ist dieses lukrative Geschäft tot», spricht Daniel Zuberbühler von der Bankenkommission Klartext.
Seit Feira setzt auch die EU auf Informationsaustausch, der deutsche Finanzminister Hans Eichel, einst Anhänger der Quellensteuer, ist auf britischen Kurs umgeschwenkt. Herr Bundesminister, wollen die Engländer auf Kosten der Schweiz und Deutschlands einen Teil des Privatebanking an sich reissen? Sind die Deutschen naiv? «Mit Verlaub: Das ist doch Unsinn. Es ist ein grosser europäischer Erfolg, dass die Briten nun bereit sind mitzumachen. Es war das Ziel aller Verhandlungen, einen europäischen Konsens zu erreichen. Und ein klein wenig war auch ich an diesem Erfolg beteiligt», führt Hans Eichel gegenüber der BILANZ aus.
Die «Neue Zürcher Zeitung» sieht das anders. Damit sei Londons «ökonomisches Kalkül aufgegangen», schimpfte die bankennahe Tageszeitung, Grossbritannien habe «sein wichtigstes Ziel» erreicht: nämlich das Bankgeheimnis auf den die City konkurrenzierenden Finanzplätzen zu knacken. Und der schweizerische Finanzminister Kaspar Villiger klagte, mit dem Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden werde «ein administrativ äusserst aufwändiges Verfahren» eingeführt, das «zudem einen unverhältnismässigen Eingriff des Staates in die Privatsphäre des Bürgers darstellt».
Was Villiger besonders schmerzt: Seit dem EU-Gipfel in Portugal hält er den schwarzen Peter in der Hand. Österreich und Luxemburg, die sich EU-intern gegen die Einführung des «gläsernen Sparers» («Focus») wehrten, wollen nur dann die geplante EU-Richtlinie akzeptieren, wenn auch die Schweiz Steuerdaten an ausländische Amtsstellen weitergibt. Die EU will das künftige Recht exterritorial durchsetzen: In den assoziierten Gebieten wie den Kanalinseln sollen die gleichen Massnahmen erwirkt werden. Mit Drittstaaten wie den USA, Liechtenstein und der Schweiz will sie Verhandlungen führen, damit «global» gleichwertige Lösungen zu Stande kommen. Nur in einer Übergangsphase soll das Koexistenzmodell noch zum Tragen kommen.
Die heimische Finanzbranche ist unversehens aus ihren Illusionen gerissen worden. Erste Illusion: Die EU kann sich ja ohnehin nie einigen. 1989 war das Ansinnen auf Informationsaustausch noch am Veto Luxemburgs gescheitert. Seit 1995 führten die 15 Mitglieder eine «komplexe Auseinandersetzung» um die Zinsbesteuerung (Bankenlobbyist Niklaus Blattner), ehe sie sich nun zu einem fragilen Kompromiss durchrangen.
Zweite Illusion: Alle wollen sie nur den Tod des Finanzplatzes Schweiz. Doch die Welt hat sich geändert, Ziele haben sich verschoben. So gewann die Philosophie, weltweit minimale Steuerstandards durchzusetzen, an Akzeptanz, seit zunehmender Steuerwettbewerb und Internet das Steuersubstrat der Nationalstaaten bedrohen. Die fiskalische Belastung soll gesenkt, im Gegenzug sollen die Steueroasen jedoch ausgetrocknet werden. Die mächtigsten Industrienationen (G7) prangern neuerdings die Offshore-Zentren an; auf der veröffentlichten Liste des Financial Stability Forum figuriert auch die Schweiz, die immerhin noch als kooperationswillig eingestuft wird. Längst geht es nicht mehr ums Strafgesetzbuch, sondern um Makroökonomie.
Feira symbolisiert den vorläufigen Tiefpunkt in der Geschichte des schweizerischen Bankgeheimnisses (siehe «Schweigepflicht mit Grenzen» auf Seite 80). Dabei hatte Finanzminister Villiger im April freudestrahlend vom Bericht des OECD-Fiskalausschusses Kenntnis genommen. Noch einmal war es gelungen, das Bankgeheimnis zu retten, obwohl die Schweiz nicht besonders hart verhandelte, wie Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker im BILANZ-Interview kritisiert (siehe «Nichts gegen die Schweiz» auf Seite 84). Die Stossrichtung der OECD war jedoch deutlich: Die Behörden sollen weltweit Zugang zu Steuerdaten erhalten.
Früher war das Bankgeheimnis ein innenpolitischer Zankapfel erster Güte, jetzt droht es sich unter äusserem Druck aufzulösen. «Mittelfristig wird das Bankgeheimnis fallen. Bis dahin geht es nur noch darum, wie sich die Branche organisiert.» Der Geschäftsführer des Verbands Schweizerischer Vermögensverwalter, Viktor Sauter, spricht das aus, was mancher Bankier erst zu sagen wagt, wenn ihm Anonymität zugesichert wird. Die Erfahrung lehrt: Wer sich vorwagt, wird zurechtgestutzt. Wie jener Spitzenmann einer Privatbank, der nach eher harmlosen Äusserungen rüd als Nestbeschmutzer tituliert wurde.
Dabei halten die führenden Geldhäuser, so sie ihre «Hausaufgaben» gemacht haben, bereits pfannenfertige Konzepte bereit für «die Zeit danach». Nur wird das nicht gerne an die grosse Glocke gehängt. Dazu gehört das Kreieren steueroptimierter Anlageprodukte, dank denen völlig legal fiskalische Vorteile zu holen sind. Oder das Onshore-Banking, ganz unter dem Motto: Kommt der Kunde nicht zu uns, gehen wir halt zu ihm. Nicht zuletzt aus dieser Warte ist die Übernahme von PaineWebber durch UBS zu betrachten. Für viel Geld hat sich die Schweizer Grossbank in den attraktiven US-Markt für vermögende Privatkunden eingekauft, ihre Stellung als weltgrösster Vermögensverwalter zementiert und ein Gegengewicht geschaffen zum heimischen Geschäft.
Das Bankgeheimnis, «wie es bis in die Sechzigerjahre bestanden hat, gibt es heute in dieser Form nicht mehr», gibt Daniel Zuberbühler, Oberaufseher über die Schweizer Banken, zu bedenken. Trotz anhaltender Durchlöcherung ist das Bankgeheimnis im Buhlen um Privatkundengelder immer noch ein Standortvorteil – wenn auch ein arg schwindender. Die Zeiten, als der Bund bis in die Siebzigerjahre über Negativzinsen versuchte, ausländische Gelder von der Schweiz fern zu halten, sind Geschichte. Swiss Banking steht heute weniger für Verschwiegenheit denn für Kenntnisse des Geschäfts, erstklassige Dienstleistungen und eine vergleichsweise gute Performance, verbunden mit politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Die Banken täten gut daran, vermehrt solche Vorzüge herauszustreichen, als sich lamentierend hinter dem Bankgeheimnis zu ducken.
Welchen Schaden das Ende des Schweigens anrichten würde, lässt sich grob abschätzen. 1998 steuerten die Banken elf Prozent zum Bruttosozialprodukt bei, davon stammt gut die Hälfte (oder 22,1 Milliarden Franken) aus der Vermögensverwaltung. Von dem auf 4000 Milliarden Franken geschätzten Total an verwalteten Vermögen entfallen etwa 1600 Milliarden auf ausländische Privatanleger. Knapp zwei Fünftel davon oder 600 Milliarden dürften laut Fachleuten primär wegen des Bankgeheimnisses in Schweizer Tresoren lagern, die Hälfte oder 300 Milliarden sind abzugsgefährdet. Damit würde sich die Wertschöpfung, vor allem Saläre und Bankenkommissionen, um etwa 1,7 Milliarden Franken vermindern, weitere Folgekosten nicht eingerechnet.
Die effektiven Einbussen jedoch hängen von vielen Faktoren ab. Von Bedeutung ist einmal der Fahrplan. «Bei der heutigen Struktur des Privatebanking hätte der rasche Fall des Bankgeheimnisses schwer nachteilige Auswirkungen. Wird den Instituten ein vernünftiger Zeitrahmen eingeräumt, ist der Schaden bedeutend geringer», so Beat Bernet, Professor für Banking an der Universität St. Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen. Eine wesentliche Rolle spielt auch das Wettbewerbsumfeld. Gelingt es der EU und den USA, sämtliche Finanzplätze von Rang und Namen in Abkommen einzubinden, müssen alle mit gleich langen Spiessen kämpfen. So dürfte nach dem Wegfall des Steuervorteils relativ wenig Kapital die Schweiz verlassen, weil echte Alternativen fehlen.
Ein Muss bei der Einführung eines Meldeverfahrens ist eine Steueramnestie – mindestens in der Schweiz und der EU, wenn möglich auch in den USA. Ohne fiskalischen Pardon versickerten die unversteuerten Vermögen auf Nimmerwiedersehen an exotischen Finanzplätzen. Wer bleibt, dem droht im Extremfall, «dass mit Strafsteuern und Nachsteuern sein Depot praktisch weggesteuert würde», warnt Bruno Gehrig, Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank. Nur verschlingen die Vorbereitungen für eine flächendeckende Steueramnestie Jahre. Wie auch die Verhandlungen mit den Finanzplätzen. Für Niklaus Blattner ist Feira «ein Meisterstück der Diplomatie». Denn da hätten die Finanzminister den Eindruck erweckt, alle Probleme seien bereits gelöst.
Das letzte Wort bei einer Abschaffung des Bankgeheimnisses respektive einer Revision des Steuergesetzes hat wohl der Souverän. Wie 1984; damals wurde die von der Linken lancierte Volksinitiative «gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht» mit 73 Prozent der Stimmen abgeschmettert. Der heutige Versuch, das Bankgeheimnis aus der Gesetzgebung zu eliminieren, «hätte vor dem Volk keine Chance», repetiert Finanzminister Villiger. SVP-Nationalrat Christoph Blocher sieht einen willkommenen Anlass, die Souveränität des Landes auf einem neuen Kampfgebiet zu verteidigen. Fest steht: Für einen EU-Beitritt müsste die Latte nochmals etwas höher gelegt werden, falls die Aufgabe des Bankgeheimnisses tatsächlich zur Bedingung gemacht wird.
Schröder hatte damit auf den Punkt gebracht, was die EU am zweitätigen Gipfel im portugiesischen Feira im Juni überraschend beschlossen hatte: die Steuerflucht bis 2010 durch Einführung eines Meldeverfahrens grenzüberschreitend zu unterbinden. Auch Finanzplätze in Drittstaaten wie der Schweiz sollen zur sektoriellen Aufgabe des Bankgeheimnisses bewogen werden.
Zwar sind Angriffe auf das Schweizer Bankgeheimnis beileibe nichts Neues. Doch diesmal wird die Attacke nicht nur von der EU geritten; an der Flanke galoppieren die USA sowie die von ihr beherrschten Organisationen OECD, G7 und Weltbank. Die heimischen Bankiers reagieren in Einmütigkeit: einigeln und so tun, als ob das Unwetter rasch weiterzieht. «Das Bankgeheimnis ist für uns ein zentraler Punkt, das steht nicht zur Disposition», meint Philip Baumann, Leiter Privatebanking Schweiz und Teilhaber der Bank Sarasin, Basel. «Das Bankgeheimnis wird nicht so rasch abgeschafft, dazu ist es für unser Land zu wichtig», doppelt Bénédict Hentsch, Präsident der Vereinigung Schweizerischer Privatbankiers sowie Teilhaber der Genfer Privatbank Darier Hentsch, nach.
Der Bundesrat hält in Treue fest zu den Banken – zumindest mehrheitlich. Während Finanzminister Kaspar Villiger und Wirtschaftsminister Pascal Couchepin sich mit Verve für das Bankgeheimnis engagieren, sät SP-Minister Moritz Leuenberger Zweifel mit der Bemerkung, er möchte nicht, dass der Bundesrat der letzte Mohikaner sei, der es verteidigt. Wegen des «voreiligen Kniefalls» des parteiintern angefochtenen Genossen sei auch im Ausland «die Verwirrung gross», schimpft FDP-Nationalrat Gerold Bührer.
Doch trotz den lautstark vorgetragenen Durchhalteparolen ist es den Bankiers und Politikern klar, dass sie diesmal nicht mehr ungeschoren davonkommen. Laut Daniel Zuberbühler ist unser Bankgeheimnis «grosso modo denselben Regelungen unterworfen wie in anderen Ländern». Einzig der Steueraspekt «ist eine Besonderheit», schiebt der Chef der Eidgenössischen Bankenkommission nach. Eine Besonderheit, an der sich die Gemüter erhitzen. In der Schweiz wird einfache Steuerhinterziehung von Privaten nicht als Delikt betrachtet. Bei Verdacht auf einfache Steuerhinterziehung darf die Schweiz also gar keine Auskunft erteilen – ausser sie ändert das Steuergesetz.
«Nicht das Bankgeheimnis steht für die EU zur Diskussion, sondern der Aspekt der einfachen Steuerhinterziehung», resümiert denn auch Niklaus Blattner, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizerischen Bankiervereinigung. Dass sich die Schweiz auf ihr unantastbares Rechtsverständnis kapriziert, nur bei kriminellen Handlungen wie Steuerbetrug Rechtshilfe zu leisten, nicht jedoch Amtshilfe bei blosser Steuerhinterziehung, stösst bei den angelsächsischen Ländern auf kein Verständnis. Denn sie haben diesen Unterschied nie gemacht, da er in ihrer Rechtskultur schlicht nicht existiert.
Den EU-Staaten sei sowieso nicht an juristischen Feinheiten gelegen, ist aus Bankierskreisen zu vernehmen. Sie seien am Resultat interessiert, nämlich der Steuerflucht ihrer Bürger einen Riegel zu schieben und entgangenes Fiskalaufkommen einzutreiben. Da wittert die offizielle Schweiz Morgenluft: Das Bankgeheimnis stehe nicht zur Debatte, aber über eine Ausweitung der Verrechnungssteuer lasse man mit sich reden, wird signalisiert. Denn von der üblichen Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen ausgenommen sind Auslandsanleihen; bei den in der Schweiz zur Zeichnung aufgelegten Anleihen ausländischer Schuldner lässt sich eine Quellensteuer (beim Unternehmen) nicht erheben. Dafür eine so genannte Zahlstellensteuer, die bei der Zahlstelle der Zinsen, meist einer Bank, kassiert wird.
Finanzminister Villiger jedenfalls lässt eine solche 20-prozentige Zahlstellensteuer prüfen, um im Verhandlungspoker mit Brüssel nicht mit leeren Händen dazustehen (siehe «Villigers Obli-Joker» auf Seite 82). Dass die Schweiz künftig den EU-Staaten jährlich Milliardenbeträge zurückerstattet, wird hitzige Diskussionen auslösen. Villigers Parteifreund Gerold Bührer meldet bereits Opposition an, weil wegen der neuen Abgabe ein Teil des bisher quellensteuerfreien Geschäftes abwandern dürfte. Noch ist allerdings vieles unklar: Wie sollen das Clearing und die Verteilung der Einnahmen funktionieren? Wie werden Drittstaaten wie die USA abgegolten?
So oder so werden nur wenige EU-Staaten nach Villigers Köder schnappen. Die Deutschen, die auf EU-Terrain den entscheidenden Part spielten, als der Anfang vom Ende «der leichten Steuerhinterziehung» (Schröders Finanzminister Hans Eichel) eingeläutet wurde, vertraten bislang im Streit um die steuerliche Erfassung von Zinserträgen das Koexistenzmodell. Danach hatten die EU-Staaten die Wahl, entweder die Zinsen an der Quelle zu besteuern oder die Steuerdaten grenzüberschreitend zirkulieren zu lassen. Mit dem Quellensteuermodell könnte die Schweiz durchaus leben.
Nur haben die Engländer aus ihrer Abneigung gegenüber dem Koexistenzmodell nie ein Hehl gemacht; sie sprachen sich gegen eine Besteuerung an der Quelle aus, propagierten dafür den Informationsaustausch. Auf den ersten Blick eine widersprüchliche Haltung, ist Grossbritannien doch dank zahlreichen Offshore-Zentren wie Jersey, Guernsey, der Isle of Man, Gibraltar und anderen Mini-Steueroasen oder via Trust-Konstrukten dick im Geschäft mit der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung. Die Erklärung: In London konzentriert sich der Eurobondmarkt, der dank Quellensteuerfreiheit auf ein Volumen von etwa 6500 Milliarden Franken angeschwollen ist. «Wird eine Quellensteuer eingeführt, ist dieses lukrative Geschäft tot», spricht Daniel Zuberbühler von der Bankenkommission Klartext.
Seit Feira setzt auch die EU auf Informationsaustausch, der deutsche Finanzminister Hans Eichel, einst Anhänger der Quellensteuer, ist auf britischen Kurs umgeschwenkt. Herr Bundesminister, wollen die Engländer auf Kosten der Schweiz und Deutschlands einen Teil des Privatebanking an sich reissen? Sind die Deutschen naiv? «Mit Verlaub: Das ist doch Unsinn. Es ist ein grosser europäischer Erfolg, dass die Briten nun bereit sind mitzumachen. Es war das Ziel aller Verhandlungen, einen europäischen Konsens zu erreichen. Und ein klein wenig war auch ich an diesem Erfolg beteiligt», führt Hans Eichel gegenüber der BILANZ aus.
Die «Neue Zürcher Zeitung» sieht das anders. Damit sei Londons «ökonomisches Kalkül aufgegangen», schimpfte die bankennahe Tageszeitung, Grossbritannien habe «sein wichtigstes Ziel» erreicht: nämlich das Bankgeheimnis auf den die City konkurrenzierenden Finanzplätzen zu knacken. Und der schweizerische Finanzminister Kaspar Villiger klagte, mit dem Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden werde «ein administrativ äusserst aufwändiges Verfahren» eingeführt, das «zudem einen unverhältnismässigen Eingriff des Staates in die Privatsphäre des Bürgers darstellt».
Was Villiger besonders schmerzt: Seit dem EU-Gipfel in Portugal hält er den schwarzen Peter in der Hand. Österreich und Luxemburg, die sich EU-intern gegen die Einführung des «gläsernen Sparers» («Focus») wehrten, wollen nur dann die geplante EU-Richtlinie akzeptieren, wenn auch die Schweiz Steuerdaten an ausländische Amtsstellen weitergibt. Die EU will das künftige Recht exterritorial durchsetzen: In den assoziierten Gebieten wie den Kanalinseln sollen die gleichen Massnahmen erwirkt werden. Mit Drittstaaten wie den USA, Liechtenstein und der Schweiz will sie Verhandlungen führen, damit «global» gleichwertige Lösungen zu Stande kommen. Nur in einer Übergangsphase soll das Koexistenzmodell noch zum Tragen kommen.
Die heimische Finanzbranche ist unversehens aus ihren Illusionen gerissen worden. Erste Illusion: Die EU kann sich ja ohnehin nie einigen. 1989 war das Ansinnen auf Informationsaustausch noch am Veto Luxemburgs gescheitert. Seit 1995 führten die 15 Mitglieder eine «komplexe Auseinandersetzung» um die Zinsbesteuerung (Bankenlobbyist Niklaus Blattner), ehe sie sich nun zu einem fragilen Kompromiss durchrangen.
Zweite Illusion: Alle wollen sie nur den Tod des Finanzplatzes Schweiz. Doch die Welt hat sich geändert, Ziele haben sich verschoben. So gewann die Philosophie, weltweit minimale Steuerstandards durchzusetzen, an Akzeptanz, seit zunehmender Steuerwettbewerb und Internet das Steuersubstrat der Nationalstaaten bedrohen. Die fiskalische Belastung soll gesenkt, im Gegenzug sollen die Steueroasen jedoch ausgetrocknet werden. Die mächtigsten Industrienationen (G7) prangern neuerdings die Offshore-Zentren an; auf der veröffentlichten Liste des Financial Stability Forum figuriert auch die Schweiz, die immerhin noch als kooperationswillig eingestuft wird. Längst geht es nicht mehr ums Strafgesetzbuch, sondern um Makroökonomie.
Feira symbolisiert den vorläufigen Tiefpunkt in der Geschichte des schweizerischen Bankgeheimnisses (siehe «Schweigepflicht mit Grenzen» auf Seite 80). Dabei hatte Finanzminister Villiger im April freudestrahlend vom Bericht des OECD-Fiskalausschusses Kenntnis genommen. Noch einmal war es gelungen, das Bankgeheimnis zu retten, obwohl die Schweiz nicht besonders hart verhandelte, wie Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker im BILANZ-Interview kritisiert (siehe «Nichts gegen die Schweiz» auf Seite 84). Die Stossrichtung der OECD war jedoch deutlich: Die Behörden sollen weltweit Zugang zu Steuerdaten erhalten.
Früher war das Bankgeheimnis ein innenpolitischer Zankapfel erster Güte, jetzt droht es sich unter äusserem Druck aufzulösen. «Mittelfristig wird das Bankgeheimnis fallen. Bis dahin geht es nur noch darum, wie sich die Branche organisiert.» Der Geschäftsführer des Verbands Schweizerischer Vermögensverwalter, Viktor Sauter, spricht das aus, was mancher Bankier erst zu sagen wagt, wenn ihm Anonymität zugesichert wird. Die Erfahrung lehrt: Wer sich vorwagt, wird zurechtgestutzt. Wie jener Spitzenmann einer Privatbank, der nach eher harmlosen Äusserungen rüd als Nestbeschmutzer tituliert wurde.
Dabei halten die führenden Geldhäuser, so sie ihre «Hausaufgaben» gemacht haben, bereits pfannenfertige Konzepte bereit für «die Zeit danach». Nur wird das nicht gerne an die grosse Glocke gehängt. Dazu gehört das Kreieren steueroptimierter Anlageprodukte, dank denen völlig legal fiskalische Vorteile zu holen sind. Oder das Onshore-Banking, ganz unter dem Motto: Kommt der Kunde nicht zu uns, gehen wir halt zu ihm. Nicht zuletzt aus dieser Warte ist die Übernahme von PaineWebber durch UBS zu betrachten. Für viel Geld hat sich die Schweizer Grossbank in den attraktiven US-Markt für vermögende Privatkunden eingekauft, ihre Stellung als weltgrösster Vermögensverwalter zementiert und ein Gegengewicht geschaffen zum heimischen Geschäft.
Das Bankgeheimnis, «wie es bis in die Sechzigerjahre bestanden hat, gibt es heute in dieser Form nicht mehr», gibt Daniel Zuberbühler, Oberaufseher über die Schweizer Banken, zu bedenken. Trotz anhaltender Durchlöcherung ist das Bankgeheimnis im Buhlen um Privatkundengelder immer noch ein Standortvorteil – wenn auch ein arg schwindender. Die Zeiten, als der Bund bis in die Siebzigerjahre über Negativzinsen versuchte, ausländische Gelder von der Schweiz fern zu halten, sind Geschichte. Swiss Banking steht heute weniger für Verschwiegenheit denn für Kenntnisse des Geschäfts, erstklassige Dienstleistungen und eine vergleichsweise gute Performance, verbunden mit politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Die Banken täten gut daran, vermehrt solche Vorzüge herauszustreichen, als sich lamentierend hinter dem Bankgeheimnis zu ducken.
Welchen Schaden das Ende des Schweigens anrichten würde, lässt sich grob abschätzen. 1998 steuerten die Banken elf Prozent zum Bruttosozialprodukt bei, davon stammt gut die Hälfte (oder 22,1 Milliarden Franken) aus der Vermögensverwaltung. Von dem auf 4000 Milliarden Franken geschätzten Total an verwalteten Vermögen entfallen etwa 1600 Milliarden auf ausländische Privatanleger. Knapp zwei Fünftel davon oder 600 Milliarden dürften laut Fachleuten primär wegen des Bankgeheimnisses in Schweizer Tresoren lagern, die Hälfte oder 300 Milliarden sind abzugsgefährdet. Damit würde sich die Wertschöpfung, vor allem Saläre und Bankenkommissionen, um etwa 1,7 Milliarden Franken vermindern, weitere Folgekosten nicht eingerechnet.
Die effektiven Einbussen jedoch hängen von vielen Faktoren ab. Von Bedeutung ist einmal der Fahrplan. «Bei der heutigen Struktur des Privatebanking hätte der rasche Fall des Bankgeheimnisses schwer nachteilige Auswirkungen. Wird den Instituten ein vernünftiger Zeitrahmen eingeräumt, ist der Schaden bedeutend geringer», so Beat Bernet, Professor für Banking an der Universität St. Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen. Eine wesentliche Rolle spielt auch das Wettbewerbsumfeld. Gelingt es der EU und den USA, sämtliche Finanzplätze von Rang und Namen in Abkommen einzubinden, müssen alle mit gleich langen Spiessen kämpfen. So dürfte nach dem Wegfall des Steuervorteils relativ wenig Kapital die Schweiz verlassen, weil echte Alternativen fehlen.
Ein Muss bei der Einführung eines Meldeverfahrens ist eine Steueramnestie – mindestens in der Schweiz und der EU, wenn möglich auch in den USA. Ohne fiskalischen Pardon versickerten die unversteuerten Vermögen auf Nimmerwiedersehen an exotischen Finanzplätzen. Wer bleibt, dem droht im Extremfall, «dass mit Strafsteuern und Nachsteuern sein Depot praktisch weggesteuert würde», warnt Bruno Gehrig, Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank. Nur verschlingen die Vorbereitungen für eine flächendeckende Steueramnestie Jahre. Wie auch die Verhandlungen mit den Finanzplätzen. Für Niklaus Blattner ist Feira «ein Meisterstück der Diplomatie». Denn da hätten die Finanzminister den Eindruck erweckt, alle Probleme seien bereits gelöst.
Das letzte Wort bei einer Abschaffung des Bankgeheimnisses respektive einer Revision des Steuergesetzes hat wohl der Souverän. Wie 1984; damals wurde die von der Linken lancierte Volksinitiative «gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht» mit 73 Prozent der Stimmen abgeschmettert. Der heutige Versuch, das Bankgeheimnis aus der Gesetzgebung zu eliminieren, «hätte vor dem Volk keine Chance», repetiert Finanzminister Villiger. SVP-Nationalrat Christoph Blocher sieht einen willkommenen Anlass, die Souveränität des Landes auf einem neuen Kampfgebiet zu verteidigen. Fest steht: Für einen EU-Beitritt müsste die Latte nochmals etwas höher gelegt werden, falls die Aufgabe des Bankgeheimnisses tatsächlich zur Bedingung gemacht wird.
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