Ein Quasi-Naturgesetz der IT-Industrie ist tot: Erstmals seit fünf Jahrzehnten wird sich die Anzahl der Transistoren auf Prozessoren in den kommenden zwei Jahren nicht mehr verdoppeln.

Die prophetische Aussage der Verdoppelung der integrierten Schaltkreise auf einem Prozessor stammt von dem Intel-Mitgründer Gordon Moore, der sie 1965 erstmals zu Papier brachte – noch mit der optimistischen Schätzung, nach der sich die Anzahl der Transistoren jedes Jahr verdoppeln würde. Zehn Jahre später korrigierte er den Zeitraum auf alle zwei Jahre – und behielt über Jahrzehnte recht. Moores Prophezeiung war dabei so akkurat, dass sie Moore's Law – also Moores Gesetz – getauft wurde.

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Das Aus nach 51 Jahren

Bis jetzt. Denn nach den jüngsten Plänen der führenden Chiphersteller Intel, AMD, TSMC, GlobalFoundries und IBM weichen diese erstmals seit ihrem ersten gemeinsamen strategischen Fahrplan von 1992 von der vorhergesagten Verdoppelung über zwei Jahre ab. Das berichten das Wissenschaftsjournal «Nature» und das US-Technikblog «Ars Technica». Das «Gesetz» hielt damit 51 Jahre lang.

Mit der Verdoppelung der Anzahl der Transistoren rund alle zwei Jahre verdoppelte sich auch ungefähr die Leistung der Computerchips. Auf Grossrechner folgten sogenannte Mini-Computer, die nur noch etwa Kühlschrankgrösse hatten, darauf die PC- und dann die Smartphone-Revolution.

Prophezeiter Tod

Moore's Law wurde zur selbsterfüllenden Prophezeiung, weil sich die Chiphersteller bei ihren Plänen künftiger Prozessor-Generationen selbst an dem «Gesetz» orientierten. Sogar als ab den 2000er-Jahren physikalische Grenzen es schwieriger machten, das exponentielle Wachstum beizubehalten, bedienten sich die Chiphersteller allerlei Tricks, um dennoch Moore's Law zu folgen. Das ist nun endgültig vorbei.

Der Tod von Moore's Law wurde von Experten schon lange vorhergesagt, weil die immer kleineren Schaltkreise bei Chips, die die rasante Entwicklung möglich machten, zunehmend auf physikalische Grenzen stossen. Es dauert nicht mehr lange, dann sind die Schaltkreise so klein, dass die physikalischen Gesetze der Quantenmechanik eine Rolle spielen, die bestimmen, wie die Welt im Kleinsten funktioniert. Dann würden Zufälle eine zunehmende Rolle spielen – tödlich für Computer, die sich möglichst vorhersagbar verhalten sollen.

Leben nach dem Tod

Bereits seit etwa 2004 wächst auch die Taktrate von Prozessoren kaum noch, die mitbestimmt, wie viele Befehle ein Prozessor in einer bestimmten Zeit ausführt. Die immer höhere Taktung von Prozessoren – das sogenannte Gigahertz-Rennen bis in die 2000er – sorgte für Energie- und Hitzeprobleme. Prozessorhersteller setzten inzwischen stärker auf mehrere Kerne. Allerdings profitieren nicht alle Anwendungen davon, und sie müssen speziell dafür programmiert werden.

Doch was passiert nun, nachdem Moore's Law offiziell zu Grabe getragen wurde? Die Ingenieure könnten beispielsweise dazu übergehen, in die dritte Dimension auszuweichen. Statt die Transistoren flach nebeneinander aufzureihen, könnten sie wie Hochhäuser in die Höhe wachsen. Eine andere Möglichkeit ist der Ersatz des klassisch verwendeten Siliziums durch neue Materialien aus dem Labor.

Neue Ansätze möglich

Ganz neue Ansätze der IT wie beispielsweise Quantencomputer sind ebenfalls möglich – auch wenn diese vermutlich nur für sehr spezielle Aufgaben sinnvoll einsetzbar wären. Kurzfristig wahrscheinlich ist die Aufspaltung der Aufgaben des Computers auf mehr Spezialchips. Schon jetzt wird beispielsweise der Chip auf der Grafikkarte eines Computers immer wichtiger. Statt wie der wenig spezialisierte Hauptprozessor ist dieser speziell auf die Berechnung von Vektoren ausgelegt, die für die Erstellung von 3-D-Grafik wichtig sind.

Aus Sicht der Konsumenten bedeute Moore's Law nur, «dass der Wert für die Nutzer sich alle zwei Jahre verdoppelt», sagt Intel-Chefforscher Shekhar Borkar «Nature». In diesem Sinne werde Moore's Law noch so lange leben, wie es die Branche schaffe, Geräte mit mehr Funktionalitäten auszustatten.

Dieser Text erschien zuerst bei der «Welt» unter dem Titel «Das fundamentale Computer-Gesetz gilt nicht mehr».