Dass ein Restart empfehlenswert ist, hat vorab mit den Stimmrechtsinstruktionen zu tun. In kotierten Publikumsgesellschaften findet die Willensbildung der Aktionäre faktisch vor der GV statt. Und sie endet mit der Erteilung der Stimmrechtsinstruktionen an den unabhängigen Stimmrechtsvertreter.
Das heisst auch, dass einmal erteilte Weisungen ohne Einverständnis des Aktionärs bei einer wesentlichen Antragsänderung ihre Gültigkeit verlieren. Dieser Mangel kann nicht durch die Anordnung der Gesellschaft kompensiert werden, dass die Weisung mangels Widerruf perpetuiert und bei der Antragsänderung berücksichtigt wird.
Ziel: ungestörte Willensbildung der Aktionäre
Diese Kompetenz steht der Gesellschaft nicht zu. Denn die Aktionäre haben ja kein Einverständnis für diese Interpretation ihres Stillschweigens gegeben. Es steht einzig dem Stimmrechtsvertreter zu, die Stimmrechtsinstruktionen auf ihren Bestand mit Bezug auf geänderte Anträge zu beurteilen.
Felix Horber ist Jurist und Generalsekretär der Swiss Re.
Gibt es Alternativszenarien? Die nachträgliche Zustellung eines korrigierten und aktualisierten Weisungsformulars würde dem Aktionär zwar theoretisch ermöglichen, zum geänderten Antrag Instruktionen zu erteilen. Ein solches Vorgehen stört aber den Willensbildungsprozess. Dem Aktionär bleibt – wenn überhaupt – eine nur knappe Reaktionszeit. Aus den Stimmrechtsinstruktionen resultiert deshalb ein unausgewogenes und unvollständiges Stimmungsbild.
Den wahren Aktionärswillen mag das kaum zu reflektieren. Der VR könnte sodann einen Änderungsantrag als Ad-hoc-Antrag behandeln. Das ermöglicht es ihm, das angekündigte Traktandum – trotz Antragsänderung – in der einberufenen GV doch noch zur Abstimmung zu bringen. Er stellt in diesem Fall auf die allgemeinen Weisungen ab, welche die Aktionäre zu nicht angekündigten Anträgen zu Verhandlungsgegenständen erteilt haben.
Dies ist möglich und scheint rechtlich vertretbar zu sein, sofern der Verwaltungsrat die Aktionäre über diese Vorgehensweise rechtzeitig und transparent informiert. Und er muss ihnen die Möglichkeit geben, ihre ursprünglich erteilten allgemeinen Weisungen aufgrund der neuen Ausgangslage zu widerrufen.
Allerdings: Institutionelle Aktionäre enthalten sich bei der Eventualweisung für Ad-hoc-Anträge oft der Stimme. Je nach statutarischer Ausgestaltung der Mehrheitsbestimmung kommt dies faktisch einer Ablehnung gleich – und ist wohl nicht zielführend.
Ausserordentliche GV schaltet Risiken der Alternativen aus
Optional kann der VR das Traktandum mit dem ursprünglichen Antrag als Ganzes absetzen und dieses mit geändertem Antrag einer ausserordentlichen GV vorlegen. Dieser Weg mag beschwerlich sein, sorgt aber für Rechtsklarheit. Das kommt dem Interesse der Gesellschaft wie auch jenem der Aktionäre entgegen.
Der Umweg über eine ausserordentliche GV führt dazu, dass das ursprüngliche Traktandum – nun mit der wesentlichen Antragsänderung – neu traktandiert wird. Der Willensbildungsprozess wird neu gestartet. Er kann ordnungsgemäss und störungsfrei abgewickelt werden.
Damit sind die Voraussetzungen für die Ermittlung des wahren Aktionärswillens geschaffen.
Der zusätzliche administrative Aufwand bei der Einberufung einer solchen GV und die Kosten fallen zwar negativ ins Gewicht. Dafür können die bei den Alternativen aufgezeigten Risiken eliminiert werden.