Seit Jahrhunderten haben sich Künstler und Künstlerinnen aus verschiedenen Perspektiven und aus unterschiedlichem Interesse mit dem Thema Bewölkung und Himmelslicht auseinandergesetzt. Die neue Ausstellung «Wolkenbilder von John Constable bis Gerhard Richter» im Aargauer Kunsthaus lädt zum Flanieren durch 200 Jahre Kunstgeschichte ein, wobei sich die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema Wolken bis in die Gegenwart zieht. Gezeigt werden Werke von rund 90 internationalen Künstlern und Künstlerinnen Leihgaben aus Museen, Galerien und Privatsammlungen aus Europa, den USA und Kanada. Beleuchtet werden zentrale Aspekte zwischen malerischer Umsetzung des Naturbildes und inhaltlicher Bestimmung der Wolken.
Die Entdeckung der Meteorologie
Erst um 1800 fand die eigentlichen «Entdeckung» des Himmels und der Wolken in der Kunst statt zu einer Zeit, als der Engländer Luke Howard erstmals die Wolken typologisierte und so den Grundstein für die moderne Meteorologie legte. Die Wissenschaftsbegeisterung zur Zeit der Aufklärung und der Beginn der modernen Wetterkunde schufen die Voraussetzung, dass auch die Künstler den Himmel mit anderen Augen sahen.
Die Wolkenmaler hatten ihre Entdeckungen in bescheidenen Formaten und mit zarten Farben begonnen, doch diese leisen, intimen Töne hielten nicht lange vor. Schon bald setzte sich Pathos und apokalyptisches Chaos in symphonischer Fülle durch. Noch im späten 18. Jahrhundert ist etwa in Johann Heinrich Füsslis oder in Caspar Wolfs heroisierenden Wolkengebilden der göttliche Furor spürbar.
Im 19. Jahrhundert dann wurde die Beobachtung und Wiedergabe der Wolken zu einer besonderen Herausforderung für die Maler, welche die europäische Landschaftsmalerei auf eine neue Ebene führte. Zu den herausragenden Beispielen dieser Zeit gehörten in England etwa William Turner und John Constable, in Deutschland Caspar David Friedrich und Carl Blechen.
Wolken als Stimmungsträger
Die Wolken spielten als Stimmungsträger eine wichtige Rolle in einer Malerei, die massgeblich auf Licht und Atmosphäre hin orientiert war, und trieben zu Beginn des 20. Jahrhunderts - etwa bei Emil Nolde, Ferdinand Hodler oder Piet Mondrian - die Abstraktion voran. Die Künstler, die dieses Motiv um 1900 aufgriffen, waren keine Landschaftsmaler mehr, sondern Spezialisten auf dem Gebiet der Abstraktion. Sie suchten nach einem Zusammenhang hinter der äusseren Erscheinung, nach einem Weg zur Steigerung der Farbe, und entfernten sich von der äusserlichen Wirklichkeit, ohne das Sujet zu verlassen.
Der erste, historische Teil der Schau wurde ursprünglich als eigene Ausstellung konzipiert und unter anderem im Jenisch Haus Hamburg und bis Ende Januar 2005 in der Alten Nationalgalerie Berlin gezeigt. Für Aarau wurde die Ausstellung neu zusammengestellt und um einen modernen Teil erweitert, der auch einen separaten Katalog erhalten hat.
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts setzt eine neue Sicht auf die Wolken ein, die sich von der reinen Naturbeobachtung löst und dem Motiv vermehrt inhaltliche Dimensionen verleiht.
Von der Wolke als Metapher bis zum Zufallsbild
In der Moderne und bis in die Gegenwart spielt die Wolke eine herausragende Rolle in verschiedenen künstlerischen Konzepten und Strategien. Sie erscheint auf verschiedenen inhaltlichen Ebenen als Metapher, als Projektionsraum, als Zufallsbild oder als Ausgangspunkt reiner Malerei. Das gilt für die Kunst von Ferdinand Hodler bis Markus Raetz ebenso wie von Alfred Stieglitz bis Balthasar Burkhard und von René Magritte bis Meret Oppenheim.
«Die Erfindung des Himmels» nennt sich der zweite Teil der Ausstellung, in welchem Skulpturen, Fotografien und Installationen einen wichtigen Platz einnehmen. In der Malerei reicht der Bogen von der Wolke als Metapher im Werk von Sam Francis und Mark Rothko bis hin zu den Wolkenbildern von Joseph Beuys und Gerhard Richter. Den Sektor Skulptur bestreiten unter anderem «Wolkenhirt» Hans Arp und Alexander Calder mit seinem luftigen Mobiles, dessen Interesse vor allem der kosmischem Bewegung der Himmelskörper galt.
Exemplarische Künstlerpositionen
Auch in der modernen Fotografie tauchen Wolken immer wieder auf, zumeist in ganzen Serien, wie etwa bei Olafur Eliasson, Andreas Züst, Ingeborg Lüscher oder Balthasar Burkhard. Das Spektrum reicht bis zu den täuschend echt wirkenden «Himmelsfotografien» von Matt Mullican, die jedoch allesamt computersimuliert sind.
«Leicht bewölkt» nennt sich eine 320-teilige Installationsarbeit von Nanne Meyer aus dem Jahr 2000, die mit den schwebend an den Wänden befestigten, bemalten Papierstückchen die Verbindung von Gedanken- zu Wolkenfetzen herstellt.
So folgt die Ausstellung einerseits der chronischen Entwicklung der Kunst der letzten 200 Jahre, darüber hinaus dienen aber auch thematische Gliederungen der Orientierung bei der reichen künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem Thema. Das Resultat ist nicht in erster Linie eine lineare Schau, sondern eine «Flaneurausstellung», welche sehr exemplarische Künstlerpositionen vereint und dabei auf äusserst vielfältige Weise die Sinne anspricht.
Aargauer Kunsthaus, Aargauerplatz, Aarau; bis 8. Mai 2005.