Obwohl Louise Bourgeois bereits 1945 ihre erste Einzelausstellung in New York erhielt, fand sie erst vor gut 20 Jahren, als über 70-Jährige, internationale Anerkennung. Nun zeigt die Daros Collection im Zürcher Löwenbräuareal eine repräsentative, vorwiegend aus der eigenen Sammlung bestückte Ausstellung mit Gemälden, Skulpturen, Installationen und Zeichnungen, welche die Künstlerin in sechs Jahrzehnten geschaffen hat. Ergänzt werden die neueren Ankäufe durch Exponate aus dem Studio der Künstlerin sowie Leihgaben von Privatsammlern.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Geboren in Paris am Weihnachtstag 1911, studierte Louise Bourgeois zunächst kurze Zeit Mathematik und Geometrie an der Sorbonne, bevor sie ab 1933 verschiedene Kunstschulen besuchte und auch Schülerin von Fernand Léger war. 1938 heiratete sie den amerikanischen Kunsthistoriker Robert Goldwater und zog zu ihm nach New York. Erst relativ spät, 1955, wurde sie Amerikanerin und legte die französische Staatsbürgerschaft ab. 1982 widmete ihr das Museum of Modern Art in New York eine grosse Ausstellung und machte die damals 71-Jährige weltbekannt. Heute lebt die 93-Jährige nach wie vor in New York und arbeitet immer noch täglich.

Enorm wandlungsfähig und experimentierfreudig

Die Ausstellung bei Daros zeigt Bourgeois als enorm wandlungsfähige Künstlerin, die eine Vielzahl ästhetischer Ausdrucksformen beherrscht. Sie arbeitet mit so unterschiedlichen Materialien wie Papier, Gips, Stahl, Holz, Stoff, Marmor und Bronze. Sie malt, zeichnet, kreiert Skulpturen und Installationen.

In der zweiten Hälfte der 40er Jahre tauchen erste skulpturale «Personnages» auf als Teil eines privaten Rituals, mit dem Bourgeois die Leute versammelt, die sie in Frankreich zurückgelassen hat und vermisst. Mit Holzstelen wie «Brother & Sister» oder «Depression Woman» schafft sie sich ein Gegenüber und kämpft so auf ihre Weise gegen die Angst vor Verlust und Verschwinden an. Um 1950 beginnt sie, die «Personnages» aus kleinen, farbigen Holzteilen zusammenzubauen. Quasi Wirbel auf Wirbel setzend, reiht sie die Holzsegmente aneinander und stapelt sie auf. Zehn Jahre später werden ihre Skulpturen mehr und mehr amorph und selbstbezogen; diese neuen Plastiken erwachsen aus dem direkten körperlichen Kontakt mit einem modellierbaren Werkstoff. Zunehmend experimentiert Bourgeois mit traditionellen Materialien wie Bronze und Marmor, aber auch mit synthetischen Materialien wie Gummi und Fiberglas.

Unabhängig vom Material bleiben ihre Themen jedoch stets die gleichen: Sie kreisen um eine Welt, in der Angst, Schmerz und Einsamkeit dominieren. Ausgangspunkt für ihre Arbeiten ist stets das eigene Leben und Erleben. Die Kunst ist für sie ein heilender Prozess. «Mein Ziel besteht darin, eine vergangene Emotion wieder zu durchleben. (...) Angst erneut zu erfahren. (...) Angst ist ein passiver Zustand, und das Ziel besteht darin, aktiv zu sein und die Kontrolle zu übernehmen.» Trotz ihrer übergrossen Furcht macht sich Bourgeois nie zum Opfer, sondern wird aktiv und stellt sich ihrer als schmerzlich empfundenen Geschichte.

«Ich habe kein Ich. Ich bin mein Werk.»

Kunst ist für Louise Bourgeois die Garantie für Gesundheit. «Art is the guarantee für sanity» hat sie auf einen der drei Bettüberwürfe in «Cell 1» (1991) gestickt, die der Besucher im Zentrum der Ausstellung vorfindet: In einem engen Raum steht die Tür einen schmalen Spalt offen. Darin befinden sich die unwohnlichen Requisiten einer verlassenen, düsteren Behausung ein Feldbett, umgeben von medizinischen Instrumenten, die an Folterinstrumente erinnern, schäbiges Bettzeug aus alten Postsäcken, ein gepackter Koffer, der offenbar doch nicht mitgenommen wurde, eine Stehlampe, die düster leuchtet. Die Installation handelt von Krankheit und Leiden, von Hinfälligkeit und Vergänglichkeit. Bourgeois vergleicht das Pflegen ihrer (früh verstorbenen) Mutter mit der Kunstproduktion als heilendem Prozess. Die von Louise Bourgeois gestalteten Räume sind sowohl Werkzeug als auch Werk, sowohl Ort als auch Handlung, sowohl Innen als auch Aussen. Sie selbst sagt: «Ich habe kein Ich. Ich bin mein Werk.»

Herzstück von Bourgeois' Werk in der Daros Collection sind die rund 220 «Insomnia Drawings», die zwischen November 1994 und Juni 1995 entstanden sind, und die vor zwei Jahren mit verschiedenen ihrer «Cells» an der Documenta XI gezeigt wurden. Zeichnend nutzt Bourgeois die schlaflosen Nächte, die Ausdruck ihrer existenziellen Angst sind. Diese Zeugen ihrer schlaflosen Nächte dokumentieren das reiche formale wie motivische Vokabular der Künstlerin und gewähren Einblick in die Denk- und Arbeitsweise der damals über 80-Jährigen. Hier finden sich auch Hinweise auf das Motiv der Spinne, die in ihrem Werk mitunter als riesige Skulptur auftaucht. Die Spinne, die Fäden spinnt, hat bei Bourgeois jedoch eine positive Bedeutung als Ode an ihre Mutter, die als Restauratorin beschädigte Tapisserien reparierte. Überhaupt sind Nähen und Sticken Techniken, die sie häufig verwendet bis hin zu dem grausig verstümmelt wirkenden Torso aus Draht und Bettfedern, der mit Stoff von Nylonstümpfen überspannt ist oder den aus rosa Stofffetzen zusammengeflickten Köpfen und lieblos übereinander gestapelten Stoffpuppen, die den Betrachter irritieren und schockieren. «Der Zweck der Kunst ist, die Angst zu besiegen. Nichts mehr und nichts weniger» konsequent bis zur Schmerzgrenze wird Louise Bourgeois ihrem Credo gerecht.

Daros Exhibitions, Limmatstrasse 268 (Löwenbräu-Areal), Zürich; bis 12. September 2004.