Rückstellungen von 183 Mio Fr. für das Riesenloch in der Pensionskasse, grosse Probleme beim grenzüberschreitenden Güterverkehr und eine Pannenserie auf der Bahn-2000-Pilotstrecke Zofingen-Sempach-Neuenkirch: Die SBB kämpften letztes Jahr mit Schwierigkeiten an allen Fronten. Einzig im Bereich Personenverkehr war es für die Bahnen ein goldenes Jahr. Dank der Landesausstellung Expo.02 stieg die Anzahl beförderter Personen auf 320 Mio, rund 54,5 Mio davon reisten 1. Klasse.

Doch auch hier beginnt der Lack zu bröckeln. Aktuellen, noch nicht veröffentlichten SBB-Untersuchungen zufolge fällt das Wachstum der 1.-Klass-Passagiere im ersten Halbjahr 2003 deutlich geringer aus als bei den 2.-Klass-Passagieren. Und das nicht zum ersten Mal. Auch in den letzten Jahren blieb die 1. hinter der 2. Klasse zurück. Laut verschiedenen SBB-internen Kreisen sank der Verkauf von 1.-Klass-Tickets im ersten Halbjahr gar markant - was die Schweizerischen Bundesbahnen jedoch mit aller Schärfe zurückweisen. Anlass zum Handeln sehen die Bundesbahnen trotzdem. Grund: Die SBB-internen Zahlen der ersten zwei Quartale zeigen, dass das letztjährige Rekordjahr heuer noch übertroffen wird, die 1. Klasse aber nur um knapp 2% zulegt, während die 2. Klasse um 5% gewinnt.

*SBB Eröhen Komfort*

«Die aktuelle Situation bewegt uns zum Handeln», sagt Christian Ginsig, SBB-Sprecher im Bereich Personenverkehr. Eine interne Analyse soll jetzt Klarheit darüber geben, weshalb die 1. Klasse schwächelt. Massnahmen werden folgen. So beschäftigt sich etwa die Marketingabteilung der SBB mit der Frage, wie die Attraktivität der 1. Klasse wieder angehoben werden kann. Auch Missstände im Fahrzeugpark werden teilweise ausgeräumt. So brachten die SBB vor wenigen Monaten nachträglich Änderungen bei den Bestellungen der neuen 1.-Klass-Wagen des Typs «Flirt» an, die auf der Basler S-Bahn oder im Kanton Zug zum Einsatz kommen werden. Zweck: Den Komfort in den 1.-Klass-Wagen zu erhöhen. Die Mehrkosten belaufen sich auf rund 10000 Fr. pro Zug.

Zudem wollen die SBB bei künftigen Neuanschaffungen von Rollmaterial ein besonderes Augenmerk auf die 1. Klasse richten. Das Ziel: Den Komfort zu erhöhen und damit das Preis-Leistungs-Verhältnis zu verbessern. Denn obwohl laut SBB 80% der 1.-Klass-Passagiere mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis zufrieden sind, gehört die Schweizer Luxus-Klasse zu den teuersten in Europa. So zahlt ein 1.-Klass-Kunde für ein Einzelbillett oder ein Generalabonnement einen Fahrpreiszuschlag zur 2. Klasse von 65%. Der Benchmark in Europa liegt dagegen bei 50%. Entsprechend deutlich ist der Preisunterschied bei einer vergleichbaren Strecke: Muss man in der Schweiz für ein 1.-Klass-Ticket von Rorschach nach Genf retour 298 Fr. berappen, kostet die nach Kilometer ähnlich lange Strecke von München nach Mannheim für die Hin- und Rückfahrt inklusive Zuschläge 266 Fr. Zudem sind für den 1.-Klass-Passagier in Deutschland Extras wie kostenlose Sonderausgaben von Zeitungen im Fahrpreis inbegriffen.

*Flaute zwingt SBB zum Handeln*

Das Bemühen um die 1.-Klass-Kunden hat für die Schweizerischen Bundesbahnen nicht zuletzt wegen des happigen Preiszuschlags zwischen den Klassen finanzielle Gründe. Wie gross jedoch der Anteil der 1.-Klass-Einnahmen am Gesamtumsatz im Personenverkehr von rund 1,8 Mrd Fr. (Stand 2002) ist, geben die SBB wohl aus strategischen Gründen nicht bekannt. Auf der Hand liegt, dass dieser Anteil deutlich grösser ist als das Verhältnis von 1.-Klass- zu 2.-Klass-Passagieren. Von einer Quersubventionierung wollen die SBB aber nichts wissen. Tatsache ist jedoch, dass der Komfort in der 2. Klasse in den letzten 20 Jahren stetig zugenommen hat, während derjenige in der 1. Klasse bestenfalls stagniert hat. Dennoch haben die SBB den Fahrpreiszuschlag in den 80er Jahren von Faktor 1,5 auf 1,65 angehoben. Bis vor kurzem ging diese Rechnung für die SBB auf - und die Reklamationen der Kunden hielten sich in Grenzen. Jetzt, bei anhaltender Konjunkturflaute, scheinen sich aber immer mehr Passagiere zu fragen, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis noch gerechtfertigt ist. Für die SBB also höchste Eisenbahn, aktiv zu werden. Dass sie das nun tun, zeugt von Einsicht. Ob aber allein Marketinganstrengungen und Nachbesserungen in einigen S-Bahn-Netzen die gewünschte Wirkung bringen, muss sich erst weisen. Nicht mehr als angebracht ist es von den SBB, dieses Jahr die Tarife nicht nochmals zu erhöhen.

Partner-Inhalte